Gottes neue Kleider
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- 19. August 2013
Direkt zum Artikel von Guido Rodheudt
Die Entscheidung, die Vorträge des Würzburger Liturgiekongresses in der neugestylten Augustinerkirche stattfinden zu lassen, muß als außerordentlich glücklich angesehen werden. Nicht nur, weil sie den „multifunktionalen“ Charakter der Raumeinrichtung beim Wort nimmt und praktisch unterstreicht. Die gebaute Häresie der Anlage harmonierte zweifellos auch aufs Glücklichste mit dem Inhalt der meisten Vorträge, wenn wir uns auch nur ein wenig an das halten können, was wir aus dieser Richtung an liturgologischem Neusprech vernehmen dürfen.
Daß und wie man Häresie bauen kann, hat Dr. Guido Rodheudt in der Juli-Ausgabe des Vatican-Magazin in mehrfacher Hinsicht dargestellt - wir zitieren hier zunächst eine seiner Kernaussagen, die sich erfreulicherweise ganz konkret auf das Beispiel der Augustinerkirche bezieht:
Hier in Würzburg kulminiert wie in einem Brennglas die Ideologisierung der zeitgenössischen Kirchenraumgestaltung, die den bisherigen Orten realer Gottesbegegnung eine neue Bedeutung unterschiebt und sie zu Stätten des Menschenkultes macht, dem Gott – man muß befürchten nicht als Realität, sondern als Chiffre – untergeordnet wird.
Es kann daran eine Quasiregel zeitgenössischer Kirchenraumgestaltung aufgestellt werden: Die Abstraktion in der Kunst, die den Betrachter zum Mitschöpfer des Kunstwerks macht, die Entrümpelung aller eindeutig dem zweckfreien kultischen Geschehen zugeordneten Gegenstände und Gebetshilfen wie Kniebänke oder anschauliche Bilder, die die Realität des Himmels außerhalb des eigenen Kopfes bekundeten, die gezielte Einführung von Häßlichkeit, wie die Verwendung verrosteter Metalle oder unbehandelter Hölzer, und die immer wieder beschworene Communio als eigentlicher Ort der „Realpräsenz“ Gottes nutzt die Kirchen auf eine mehr als subtile Weise um und macht aus dem Arkadien kultischer Teilnahme an der Liturgie des Himmels den trostlosen Raum eines verfehlten Menschenkultes.
Hier hat die Aufklärung in vollem Maße gesiegt, und die Verwüstung an Heiliger Stätte unter dem Vorwand zeitgenössischer Anpassungen kann ihren letzten Triumph feiern. Gott ist verjagt und das gähnende Nichts selbstreflexiver Innenanschauung des Menschseins macht den Raum, der einst Kirche war, obsolet.
Wer den Kirchenraum, von dem hier die Rede ist, bisher noch nicht kennt, kann sich mit einer Bilderstrecke kundig machen, die das Ordinariat Würzburg dankenswerterweise ins Netz gestellt hat. Dort kann er auch gleich die These vom Menschenkult verifizieren - drängen sich doch die Verantwortlichen für den Neuanstrich auf jedem zweiten Bild eitel in den Vordergrund.
Wir geben den Essay von Pfarrer Rodheudt hier vollständig wieder - ganz herzlichen Dank an den Autor für die Erlaubnis zur Nachveröffentlichung, mit der dieser Text erstmals auch über das Web zugänglich wird. Zur Illustration verwenden wir einige Bilder vom Blog Fides et Forma des italienischen Kunst- und Architekturkritikers Francesco Colafemmina, dessen Ausführungen zum Thema „Kirchenbau“ wir ebenfalls höchst bedenkenswert finden. Außerdem zeigt er, daß die hier diagbostizierte Krankheit bei weitem nicht nur Deutschland betrifft.
Das oben dokumentierte Bild von Jacques Gassmann heißt „Himmlisches Jerusalem“. Es beherrscht den Chorraum der Augustinerkirche und weckt die dringende Hoffnung, daß der Künstler sich geirrt habe.
Guido Rodheudt:
Gottes neue Kleider
Vom Betrug zeitgenössischer Kirchenraumgestaltung
Frankfurt, Ende Mai 1948 – lange vor der Festschreibung eines allgemeinen Rauchverbots in öffentlichen Gebäuden. Bei der Feierstunde des Deutschen Schriftstellerverbandes anläßlich der Wiederherstellung der Paulskirche, klicken nicht nur die Kameras der Presseleute, sondern auch Feuerzeuge der Gäste. Einige Teilnehmer zünden sich ungeniert eine Zigarette an oder rauchen sie zu Ende, nachdem sie aus dem strahlenden Vormittag in die Buntsandstein-Rotunde hineinspaziert sind, die inmitten der noch in Trümmern liegenden Stadt pünktlich zur Hundertjahrfeier der Nationalversammlung restauriert worden war. Aber da heißt es plötzlich: Bitte nicht rauchen; wir befinden uns in einer Kirche! Verwunderung bei einigen Gästen. Wieso ist dies eine Kirche? Und dann gar die weitergehende Frage: Und wenn es eine Kirche wäre – warum nicht rauchen? Eine Frage, die für das Jahr 1948 freilich als nicht gerade naheliegend betrachtet werden kann.
Josef Pieper, der diese kleine Begebenheit schildert, erinnert sich im zeitgenössischen Umfeld dieser Erinnerungen an noch weitere Rauchverbote dieser Art, zum Beispiel an die Einschärfung beim Betreten des riesigen Gedächtnisparks für die Gefallenen der Roten Armee in Berlin Treptow nicht zu rauchen oder später bei einem Israelbesuch an die Intervention des Hotelpersonals gegenüber amerikanischen Gästen, die nach dem Dinner im Restaurant ihre Zigaretten hervorholten. Das „No smoking please!" bezog sich in diesem Fall nicht auf den Ort, sondern auf die Zeit; es war Freitagabend und der Sabbat hatte begonnen. (Vgl. Josef Pieper, Sakralität und Entsakralisierung: Religionsphilosophische Schriften = Berthold Wald (Hrsg.), Josef Pieper, Werke in acht Bänden, Bd. 7 (Hamburg, 2000) S. 394)
Über sechzig Jahre später in der „Citykirche" einer rheinischen Diözese. Die ehemalige Minoritenkirche ist längst als Kirche entwidmet und dient heute als Kulisse für Veranstaltungen aller Art vom Konzert über den Diskussionsabend bis hin zur Modenschau. Dennoch weist sie noch alle phänotypischen Elemente der Kirche auf: Es gibt einen Hochaltar, Statuen und Beichtstühle, das Chorgestühl ist noch vorhanden und es gibt Möglichkeiten zum Aufstellen von Kerzen vor dem Hl. Antonius. Sogar eine Sakramentskapelle existiert noch, in der das Allerheiligste tagsüber zur Anbetung ausgesetzt ist. Die Orgel wird fürderhin konzertant eingesetzt und es gibt sogar dann und wann eine Meßfeier. Phänotypisch gibt sich das Gebäude in einer Art geistlicher Mimikry als Kirche.
Allerdings – und das zeigt den Wandel der Empfindungen - im Gegensatz zum Rauchverbot der 1940er Jahre in der Frankfurter Paulskirche aus Gründen der Ehrfurcht einem ehemaligen Gottesdienstraum gegenüber, läßt es sich Jahrzehnte später der zuständige Bischof nicht nehmen, in seiner multifunktionalen „Citykirche" seinen runden Geburtstag zu feiern - mit Stuhlreihen für die Gäste, Schnittchen und Sekt, in Beichtstühlen deponierte Utensilien des Cateringservice, Multi-Media-Einsatz zur Unterstützung der Festredner, Cocktailbar-Jazz einer Live-Band und mit im Anschluß an den offiziellen Teil der Veranstaltung auf und ab paradierenden Geistlichen und Ordensfrauen, die sich, bestückt mit Fingerfood und Sektgläsern, vor der Kulisse frommer Wandmalereien ein Stelldichein geben.
Diese für jemanden, der ein natürliches Empfinden für die Heiligkeit eines Raumes hat, unerhörte Nonchalance im Hinblick auf die Entsakralisierung eines (ehemals) sakralen Ortes, scheint sich als ein für unsere Zeit typisches Phänomen im Umgang mit Kirchen durchzusetzen.
Im beschriebenen Fall hat sich seit der bischöflichen „happy hour" in weiten Teilen der betreffenden Diözese ein landläufiges allgemeines Suppenessen und Kaffeetrinken auch in noch aktiven Pfarrkirchen eingebürgert. Unabhängig von der Frage, ob die jazzuntermalte Geburtstagsparty kirchenrechtlich konform in einer entwidmeten Kirche stattgefunden hat, blieb als zentrale Botschaft für die Mehrheit der pastoralen Nach-Denker zurück: ab jetzt sind Kirchen offen für Alles und Jedes. Das Tabu, nur etwas Sakrales in ihnen zu tun, ist gefallen. Neugestaltung von Innenräumen richtet sich deswegen nicht mehr unbedingt nach der Aussonderung des konsekrierten Raumes für das nur Gott-Geschuldete und nach den Ihm gemäßen darin stattfindenden Handlungen, es wird offen für eine multifunktionale Nutzung und dabei auch für das Profane, dessen Abgrenzung zum Sakralen – wie sich zeigen wird – ganz offensichtlich mal mehr mal weniger fallen gelassen worden ist.
In diesem Kontext wird es nötig sein zu überlegen, was eine Kirche ist und was nicht, was man mit ihr machen darf und was nicht und – diese Fragen umfassend – was das Heilige ist und weshalb wir es hier und jetzt nötig haben, weswegen es einem Betrug gleichkommt, es durch Surrogate zu verdrängen.
Sakral –Profan
Es ist ein Kennzeichen der Neuzeit, dass sie es aufgegeben hat, nach dem Ganzen zu fragen. Sie will wissen, wie etwas funktioniert, um das, was sie für das Wichtigste hält, die Lebenserhaltung des Menschen, zu optimieren.
So bezweifelt schon René Descartes aus methodischen Gründen die Existenz der Außenwelt, um am Ende seiner Überlegungen die gesuchte Sicherheit, dass alles nicht bloß ein Traum ist, im „ego cogito" zu finden, also in der eigenen Selbstverortung als denkendes Subjekt.
In der Folge dieser Erkenntnissicherung durch den methodischen Zweifel zieht die Heerschar der Denker weiter und setzt schließlich und buchstäblich die menschliche Vernunft auf den Altar, auf dem zuvor Gott als Schöpfer angebetet wurde, als derjenige, aus dessen schöpferischem Gedanken der Sternenhimmel sich herauswölbt, unter dem der Mensch lebt.
Davon nicht unbenommen ist die Kunst. War sie einst eine Weise der Welterfassung, so ist sie nun eine Weise der Reflexion des Menschen auf sich selbst. Da wo sie vorher Abbild war und der Künstler die Aufgabe hatte im Stein, in den Farben, in den Harmonien, im Mythos, in den Worten der Dichtung Spuren des Göttlichen zu finden und sie herauszumeißeln, da muß der Künstler nun seinen Entwurf der Welt, den er – bewusst oder unbewusst – in sich selbst heraufbeschworen hat, anbieten, damit andere ihn „nachvollziehen" und – wenn sie ihn gefunden haben - wissen, wie er, der Künstler die Dinge sieht.
Diese Bemerkungen, den Gang der Geistesgeschichte nachzeichnend, sind die Voraussetzung für die weitergehende anthropologische Frage, wie es mit dem Menschen bestellt ist. Wer er ist und wie er leben soll.
Die Alten würden sagen, er müsse im Gesamt der Wirklichkeit stehen und – nachdem er nach der Wahrheit der Dinge gefragt hat – ihr gemäß leben. Nach der neuzeitlichen Wende würde man von ihm verlangen, dass er aufgeklärt über die Macht seiner Vernunft, sich selbst als Herrschaftswesen begreift, das Wahrheit und Moral machen kann und soll. Die Anbetung eines Gottes stört hier natürlich, weil sie den Menschen nicht durch sich selbst, sondern gerade durch das Aus-sich-herausgehen zu sich kommen lässt. Die Annahme, dass die Wirklichkeit aus Gott stammt, gebiert automatisch die Verehrung Gottes als die dem Geschöpf angemessenste Haltung.
Aus dieser Warte betrachtet ist es zutiefst menschlich, Zeiten und Orte, Handlungen und Gegenstände zu schaffen, die für Gott reserviert sind.
Die Begegnung mit der Gottheit wird mithin als die eigentliche und höchste Weise der Wirklichkeitsbegegnung gewertet werden müssen. Sie geschieht einzig durch angemessene Formen der Verehrung. Die Weise des Menschen, Gott anzubeten richtet sich daher naturnotwendig nach Ihm, nach Gott, und nicht nach dem Menschen.
Von daher ist klar, dass die hiesige Welt etwas anderes ist, als die Welt Gottes und doch nichts gänzlich von ihr Unterschiedenes. Sie ist der Raum der Gottbegegnung, in dem sie mit geeigneten Formen, die Gott zugeordnet sind – wir nennen sie deswegen „heilig" oder „sakral" – mit Gott kommunizieren kann und zwar auf die Weise außer-gewöhnlicher, keinem anderen Zweck unterstellter Formen und Handlungen. Sie dürfen nicht „profan" sein, das heißt nicht dem Alltäglichen, Nutzhaften zugeordnet. Profane Formen sind als unmittelbare Zugangswege zum Bereich des Göttlichen ungeeignet, nicht weil sie schlichtweg „gottlos" wären, sondern weil sie grundsätzlich zunächst und von ihrem Wesen her nur das im Auge haben, was „hier" notwendig ist zum Lebenserhalt und zur Herstellung alltäglicher Lebenshilfen.
Es gibt mit anderen Worten das Sakrale, weil es Gott gibt, der die Welt nicht nur geschaffen hat, sondern sie trotz ihrer Begrenztheit zu einer Stätte realer Begegnung gemacht hat und zwar durch Sein Zutun. Deswegen gibt es außeralltägliche Handlungen, die inmitten des Profanen, also dessen, was der Wortbedeutung nach „vor dem Heiligtum" (fanum) liegt, leibhaft und wirklich Gott begegnen in Gebärde, Gesang, ausgestattet mit angemessenen Geräten und Gewändern inmitten von ausgesonderten Räumen zu bestimmten un-gewöhnlichen Zeiten. Diese Begegnungen nennt man sakral.
Es ist also mehr als deutlich, dass es deswegen zum wahren Vollzug des Menschseins Orte geben muß, die nicht profan sind, Räume, in die der Mensch eintreten kann, um Gott auf eine im Alltag nicht vorfindbare Weise zu begegnen. Ja, es zeigt sich sogar eine Notwendigkeit, solche dem Profanen entzogene Räume zu haben, ist doch der Unterschied „sakral-profan" wesentlich für das wahre Menschsein, dessen Bestimmung über die eindimensionale Welt des „Hier-und-Jetzt" hinausgeht. Deswegen muß es gerade im „Hier-und-Jetzt" Stätten geben, an denen der Trost sakraler Vergewisserung inmitten der Tristesse profaner Ablenkungen sich ausbreiten kann. Diese Orte nennen wir als Christen: Kirche.
Was ist eine Kirche?
Eine Kirche ist nach allem, was über die Notwendigkeit des Sakralen gesagt worden ist, ein heiliger, eben ein sakraler Raum. Wobei seine Sakralität im Wesentlichen nicht darin besteht, dass er wie eine Kirche aussieht. Er muß eine Kirche „sein". Er wird es durch Aussonderung, durch eine – wenn man so will „Zweckbestimmung" - aber, und das ist entscheidend, eine Zweckbestimmung, die ihn ganz ausdrücklich jedem sekundären Zweck entzieht und ihn einzig dem Zweck unterstellt, dass er für die Entfaltung eines zweckfreien Tuns dient, mehr noch, weil er selbst ein Teil dieses zweckfreien Tuns werden soll.
Die Kirchweihe (dedicatio) ist dabei mehr als nur eine der Schiffstaufe vergleichbare Indienstnahme oder Übergabe zur funktionalen Bestimmung. Eine Kirche „wird" eine Kirche durch die Weihe. Sie erhält dadurch eine ihr dauerhaft anhaftende - und zwar ganz ausdrücklich auch über das in ihr sich vollziehende Geschehen hinaus anhaftende - Wesenseigenschaft, nämlich sakral zu sein, Gott zugeordnet.
Dies ist zunächst nicht eine Frage der architektonischen Stilistik. Auch eine Wellblechhütte in den Slums von Rio de Janeiro kann eine Kirche sein, wenn der Bischof sie dazu geweiht hat. Dann aber ist sie ausgesondert. Sie ist ein Ort des heiligen Geschehens und bleibt es auch dann, wenn die Feier vorüber ist. Die Wellblechkirche ist dann freilich nur ein Notbehelf, ihr mangelt es an Schönheit und Glanz aufgrund der ärmlichen Verhältnisse ihrer Erbauer. Aber sie ist darin allen anderen Wellblechhütten überlegen, dass in ihr der Kult, also die sakramentale – und das heißt die reale – Erscheinung der Gottheit begangen wird. In ihr wird anschließend nicht gebügelt, gekocht oder geschlafen. Sie ist ja ein sakraler, ein für Gott und nur für Ihn vorgesehener Raum.
Zur Frage des heiligen Ortes bleibt also festzuhalten, dass Kirchen ausgesonderte Orte der Theophanie, der Erscheinung Gottes sind. Legt man nun die Transzendentalien Einheit, Güte, Wahrheit und Schönheit als Wesensmerkmale Gottes zugrunde und meint damit das, was „heilig", „sakral" genannt werden kann, dann muß der Raum für Gott auch diese gleichen Züge an sich tragen. Er muß schön und nicht hässlich oder banal sein, und er muß in seinem Aufbau die Harmonie der Einheit Gottes widerspiegeln. Es darf in ihm nichts geben, was unwahrhaftig ist, das heißt, was die Feiernden auf eine falsche Fährte lockt, ihnen womöglich das Gefühl gibt, an einem Ort anderer Bestimmung zu sein, in einer Schule, auf einem Markt, an einer Stätte der Vergnügung, also – für heutige Empfindungen – z.B. in einer Disco – oder in einem Kleinkunsttheater, wo es um Unterhaltung, also um die Ausflucht des Menschen aus dem Alltagsgetriebe in eine Welt der vorübergehenden Ablenkung geht. Und es muß die Kirche schließlich „gut" sein, dass heißt mit den besten Mitteln und Fertigkeiten versuchen, Gott gegenüber „angemessen" zu sein.
Was ist nun vor diesem Hintergrund davon zu halten, daß derzeit Verantwortliche in vielen Diözesen Deutschlands derzeit darangehen, geradezu propagandistisch die Einebnung des Sakralen betreiben, indem sie sich entschieden, Kirchen neuerdings zu etwas Anderem umzunutzen.
Umnutzungen
Unter den prominenten Beispielen für die Umnutzung von Kirchen nimmt derzeit die Augustinerkirche in Würzburg und deren Neugestaltung einen besonders propagandistisch vermarkteten Platz ein. Hier wird exemplarisch vieles von dem deutlich, was sich an Missverständnissen im Hinblick auf die Raumgestaltung von Kirchen eingeschlichen hat.
Nachdem das aus dem Jahre 1308 stammende gotische und im 18. Jahrhundert durch Balthasar Neumann barockisierte Gebäude im Bombenhagel des 16. März 1945 fast seine ganze kunstvolle Innenausstattung verloren hatte, wurde es in den Nachkriegsjahren mehrfach renoviert und umgestaltet. Auch hier – wie fast überall – hielt nach dem Zweiten Vatikanum eine zwanghafte Neuordnung des Altarraumes aufgrund allgemeiner Verkennung der Texte und Absichten des Konzils Einzug.
Seit dem Jahre 2011 begegnen wir jedoch dort etwas wirklich Neuem und in seiner Aussage Fatalem. Unter der Federführung des für seine extrem modernistische Denkweise bekannten Priors der Würzburger Augustiner, Peter Reinl, wurde die Kirche in ihrem Inneren so radikal neu gestaltet, dass man sagen muß, sie sei unter Aufrechterhaltung ihrer vorgeblichen Funktion, eine „Kirche" zu sein, genau dies nicht mehr.
Das Grundkonzept der Erneuerung beendet jeglichen Gedanken an so etwas wie Anbetung. Der Altarraum wurde in das Mittelschiff verlegt und schwarze Stühle für Priester und Gottesdienstteilnehmer in ovaler Anordnung um einen tischartigen Altar auf der einen Seite und ein Ambo auf der anderen Seite gruppiert. Einen Priestersitz gibt es nicht, denn es ist ein „Communio-Modell", das der neuen Raumgestaltung zugrunde liegt.
Es wird schnell klar, daß es sich hier nicht um eine Erneuerung im Sinne der Klarstellung ursprünglicher Gedanken handelt, sondern um etwas gänzlich Neues, das sich bewußt von dem entfernt, was eine Kirche ihrem Wesen nach sein will. Der Raum soll nicht mehr ein sakraler Ort sein, der sich als Hülle für den großen Gott präsentiert und alle schon beim Betreten womöglich in die Knie zwingt. Im Gegenteil, es soll dem Besucher deutlich gemacht werden, daß Gott niemand ist, vor dem man knien muß. Folglich gibt es auch keine Kniebänke in der Kirche mehr, sondern nur noch Sitzmöglichkeiten. Knien, so der Prior in seinen Erläuterungen bei einer Kirchenführung, sei eine private Frömmigkeitsform, sie sei für jeden möglich im rechten Seitenschiff vor dem (dort versteckten) Tabernakel.
Die Details dieses Umbaus sprechen allesamt eine klare Sprache: Es geht um den ganz offensichtlichen Abschied von Gott als einem personalen Gegenüber, dem Anbetung geschuldet ist. Gemäß der neuzeitlichen Umstellung des Denkens, „wird" Gott in der Selbstreflexion des Menschen, in der Gemeinschaftlichkeit einer feiernden Communio, in der Selbstvergewisserung des Einzelnen, durch das Zu-sich-selbst-kommen, das seit den Zeiten der Theologie Karl Rahners die Erlösungshoffnung von der wirkenden Gnade Gottes, die sich mit der Natur des Menschen in den Sakramenten und im Kult verbindet, auf die Selbsterlösung des Menschen verschoben hat. Damit ist die Realität der Anwesenheit des verborgenen Gottes im Kult eingetauscht gegen die Indienstnahme einer Chiffre, die „Gott" genannt wird, und die dem Menschen bestätigt, daß er der Herr ist, wenn er sich nur seiner selbst gewiß ist.
Verständlich, daß hier niemand mehr das Knie beugen mag, denn man kann schließlich nicht vor sich selbst knien. Verständlich auch, daß es keine abbildhaften Darstellungen himmlischer Dinge gibt, die als ikonographische Mittler das Göttliche in die irdische Nähe bringen und zugleich das Irdische aus sich selbst befreien wollen durch die Schönheit sakraler Kunst, die weniger Pädagogin als vielmehr Statthalterin himmlischer Liturgie sein will.
Dementsprechend wird aus dem Raum der realen Begegnung mit dem ganz Anderen, der für den Bedeutungswandel zeitgenössischer Kirchenraumgestaltung typische Ort des philanthropischen Gemeinschaftsmystizismus.
Besonders eindrücklich zeigt sich diese systematische Entsakralisierung im sogenannten „ZwischenRaum", einer im Eingangsbereich der Kirche eingezogene Wand, die den Blick auf das Schiff versperrt und vor die man sich stellen kann, um Kerzen zu entzünden und sich in das „Buch der Namen" einzutragen. Das Ritual richtet sich niederschwellig an alle Teilnehmer, getaufte wie ungetaufte, und bekundet keineswegs christliche Hoffnung auf Erlösung, sondern vielmehr den Akt der Selbstwahrnehmung, in dem der Mensch zu sich kommt.
Es gruselt schon ein wenig den distanzierten Betrachter der Szenerie, wenn die Teilnehmer am Ende des „Rituals" vor einer goldenen Wand stehen, auf der sonst nichts zu sehen ist und ihre Kerzen dort vor nichts anzünden, statt vor einem Kreuz oder einem anderen christlichen Hoffnungssymbol.
Hier in Würzburg kulminiert wie in einem Brennglas die Ideologisierung der zeitgenössischen Kirchenraumgestaltung, die den bisherigen Orten realer Gottesbegegnung eine neue Bedeutung unterschiebt und sie zu Stätten des Menschenkultes macht, dem Gott – man muß befürchten nicht als Realität, sondern als Chiffre – untergeordnet wird.
Es kann daran eine Quasiregel zeitgenössischer Kirchenraumgestaltung aufgestellt werden: Die Abstraktion in der Kunst, die den Betrachter zum Mitschöpfer des Kunstwerks macht, die Entrümpelung aller eindeutig dem zweckfreien kultischen Geschehen zugeordneten Gegenstände und Gebetshilfen wie Kniebänke oder anschauliche Bilder, die die Realität des Himmels außerhalb des eigenen Kopfes bekundeten, die gezielte Einführung von Häßlichkeit, wie die Verwendung verrosteter Metalle oder unbehandelter Hölzer, und die immer wieder beschworene Communio als eigentlicher Ort der „Realpräsenz" Gottes nutzt die Kirchen auf eine mehr als subtile Weise um und macht aus dem Arkadien kultischer Teilnahme an der Liturgie des Himmels den trostlosen Raum eines verfehlten Menschenkultes.
Hier hat die Aufklärung in vollem Maße gesiegt, und die Verwüstung an Heiliger Stätte unter dem Vorwand zeitgenössischer Anpassungen kann ihren letzten Triumph feiern. Gott ist verjagt und das gähnende Nichts selbstreflexiver Innenanschauung des Menschseins macht den Raum, der einst Kirche war, obsolet.
Für eine Kirche kann es jedoch niemals gestattet sein, den Menschen architektonisch oder künstlerisch sich selbst auszuliefern. Man müßte es einen „Etikettenschwindel" nennen, auf ein Haus, das eigentlich die Schleuse zur Ewigen Heimat sein will, „Kirche" zu schreiben, das in seinem Inneren, entgegen allem, was die Titulierung erwarten lässt, die Leere eines von Abbildern und Schönheit freien Vernunfttempels anbietet.
Der Betrug
Wenn also von den Ansprüchen an einen Kirchenraum gesagt wurde, daß er sich auf Gott zu beziehen habe, der der ganz Andere ist, der die vollkommene Güte, Schönheit, Einheit und Wahrheit ist, und wenn klargestellt werden konnte, daß eine Kirche deswegen eine Weihe erhalten muß, um sie aus dem Rahmen des Alltags und damit auch aus dem Kontext menschlicher Sinndeutungsversuche herauszunehmen und sie damit als Sakralraum klar abzugrenzen gegen die profanen Stätten subjektiver Vernünfteleien wie sie in Hörsälen, Parlamenten oder Konferenzzentren betrieben werden, dann lassen uns die flächendeckenden Versuche zeitgenössischer Kirchenraumgestaltung daran zweifeln, daß es hier um redliche Versuche geht „mit den Mitteln unserer Tage" Kultstätten zu gestalten. Dann müßte man vielmehr von Betrug sprechen, mit dem landauf landab die Kirchen von einstigen Orten der Anbetung zu Stätten des Subjektivismus gemacht werden, in denen nicht Heiligkeit, sondern das Pro-fanum, das außerhalb liegende Weltgeschehen zelebriert wird.
Die Verlorenheit, mit der ein Beter bald in dem augenblicklich entstehenden Neubau der Leipziger Propsteikirche St. Trinitatis, gigantomanischer Leere ausgeliefert sein wird, in einem Bau, der zurzeit als dernier cri der Kirchenarchitektur in Deutschland gefeiert wird und den sich die Kirchensteuerkirche Unsummen kosten läßt, um sich dem Wettlauf zeitgenössischer Architekturdebatten anzuschließen, die Einsamkeit, die der Mensch in einem solchen Raum klinischer Sterilität erleben wird, der nur dann an Leben gewinnen wird, wenn dort die neosynagogalen Belehrungsfeiern nachkonziliarer Gemeinschaftsdiktatur stattfinden werden, bringen einem unversehens das Märchen von Hans Christian Andersen „Des Kaisers neue Kleider" in den Sinn. Denn man wird den Verdacht nicht los, daß hier – wie im Märchen – ein Nichts verhandelt wird.
Wie die unsichtbaren Fäden eines neuen Gewebes für den Kaiser ihn mit einem Nicht-Kleid umgeben, so versprechen die weitaus meisten zeitgenössichen Kirchenraumgestaltungen den Gläubigen ein „neues Kleid" für Gott, das, besser und angemessener als je zuvor in den zurückliegenden Zeiten schlichten Schönheitsbedürfnisses – so jedenfalls stellt die etablierte Theologie in der Regel das Formbewußtsein der Vergangenheit dar – nur für den Betrachter zu sehen ist, der sich von modernen Architekten und Künstlern in die Akzeptanz des Nichts als Etwas hat heineinhypnotisieren lassen. Wie sonst ist es zu erklären, daß die Gläubigen nicht in ihrem urmenschlichen Verlangen nach Schönheit schreiend aus solchen Räumen herauslaufen, die sie - wie etwa in der Kirche des vielgerühmten Dominikuszentrum im Münchner Norden – der brutal-blauen Kälte eines Raumes ausliefern, der fatal an so etwas wie die Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee erinnert.
Diese Akzeptanz des Häßlichen, des Unbehausten, des Kargen und Einsamen, die Zustimmung zur Entfernung aller Schönheit und aller Möglichkeiten der Kunst, die Menschen in den Kirchen der Gegenwart Gottes zu vergewissern und sie stattdessen mit den geschmäcklerischen Plagiaten eines subjektivistischen Ersatzkultes zu bedienen, kann nicht anders verstanden werden, als daß aufgrund des Überdruckes zeitgeistlicher Ansprüche, die etablierte Kirche unserer Tage sich entschieden hat, den Gauklern zu folgen, die Gott ein neues Kleid geschneidert haben.
Anders als im Märchen ist es aber hier nicht der Unbekleidete selbst, sondern es sind die Menschen, deren Eitelkeit es nicht erlaubt, aufzuschreien und das auszusprechen, was allein die volle Wahrheit ist, daß nämlich nichts zu sehen ist!
Der Betrug, der in den meisten Versuchen zeitgenössischer Kirchenraumgestaltung liegt, besteht von daher wesentlich in der hypnotischen Wirkung geschmäcklerischer und neospießiger Kunstformen, die – ausgehend von der Vernichtung des Gedankens daß es Profanes gibt, das trotz aller Heiligung durch die Menschwerdung Jesu Christi eines Sakralen bedarf, um die endliche Welt mit der Unendlichkeit Gottes in Kontakt zu bringen - das Kultische zerstören. Kaum jemand wagt es dabei, sich aufzulehnen, wenn die neuen (Hirn-)Gespinste vorbeiparadieren, in die man die Dinge Gottes vermeintlich hüllt. Am Straßenrand steht die Riege der Etablierten, der Kunstberater der Diözesen und die sie bezahlenden Bischöfe, die immer up to date sein wollen und genau damit in das Spießertum des augenblicklich Angesagten zurückfallen, die eine wahre christliche Kunst gerade verlassen will. Denn wahrhaft sakrale Kunst ist immer unbürgerlich, sie zahlt niemals Tribute an den Zeitgeist und an das, was „man" jetzt schön findet. Sie ist immer eine Form, deren Wesenseigenschaften sich aus dem ableiten, was sie umhüllen darf. So spiegelt sie Gott wieder und führt die Menschen zu Ihm hin. Sie darf niemals autonom sein, weil Autonomie eine Loslösung des Menschen von der Wahrheit bedeutet, so wie die Gedankenkleidung im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern sich von allem Realen loslöst und erdreistet, das eigentlich für alle erkennbare Nichts zu einem Etwas zu erheben.
Gott braucht aber heilige Formen, die unmißverständlich sind und die den Menschen zu seiner Größe des Menschen, die er nicht im Sitzen und Nachdenken, sondern im Knien und Anbeten, nicht im Reflektieren, sondern im Staunen über die Schönheit Gottes erreicht.
Es wird vermutlich vergeblich sein, darauf zu hoffen, daß dies allgemein verstanden wird, zumindest solange die Kirchensteuerkirche enorme Summen verausgabt, um den Abschied von der Sakralität amtlich zu bezahlen, wie es der eitle Kaiser im Märchen tat, als er viel Gold für ein Nichts ausgab, um damit seine Majestät zu umhüllen, und damit den Untertanen nahelegte, das zu ignorieren, was hier geschieht: eine Ent-Kleidung, von der man sich hatte einreden lassen, daß sie eine Be-Kleidung ist, weil sie schließlich teuer war. Er und seine um Mehrheitsfähigkeit bemühten Untertanen wurden so Opfer ihrer Eitelkeit und lieferten die Majestät, deren Sachwalter der Kaiser lediglich ist, der Nacktheit aus.
Man wünschte den meist still leidenden und von der kirchlichen Obrigkeit verkauften Seelen eine lautere Stimme, wie die des Kindes, das am Straßenrand als Zaungast der kaiserlichen Parade den Betrug der Gaukler beim Namen nennt, indem es das ausruft, was stimmt, was aber die anderen entschlossen aus Eitelkeit und aus Angst als gestrig zu erscheinen in sich haben hinweghypnotisieren lassen: „Er hat ja gar nichts an!"
Im Märchen setzt die Parade dennoch entschlossen ihren Weg fort, weil man sich entschieden hat, den Betrug hoffähig zu machen. Vermutlich wird es sich mit Gottes neuen Kleidern nicht anders verhalten.