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Franziskus: Sich von Trient freimachen!

Hw. Smith bei der PredigtNein, wörtlich steht das so nicht im gestern veröffentlichten postsynodalen Lehrschreiben Evangelii Gaudium – zumal dieses Dokument auch das zweite Vatikanum in einigen Punkten weit hinter sich läßt. Und wenn dieses Lehrschreiben nicht nur außerhalb der Kirche als Aufgabe wichtiger Elemente der Tradition gelesen wird, kann sich diese Lesart nicht nur im Stil, sondern auch dem Inhalt nach auf große Passagen dieses Dokuments stützen, das doch Form und Anspruch nach ein Ausdruck des authentischen Lehramts der Kirche sein soll.

Schon einen Tag nach dem Erscheinen von EG hat Fr. Christopher Smith auf chantcafe.com „Erste Gedanken“ zu dem Verständnis von Liturgie veröffentlicht, das in diesem Dokument zum Ausdruck kommt. Ausgangspunkt seiner Untersuchung sind die insgesamt 5 Stellen, an denen dort der Begriff „Liturgie“ vorkommt, und die bemerkenswerte Gemeinsamkeiten aufweisen. In den Worten von Fr. Smith:

Was ich sehr bemerkenswert finde: an keiner dieser Stellen wird die Liturgie als eine Quelle der Evangelisierung gesehen oder als ein Ziel, dem die Evangelisierung gilt. Soll ich daraus entnehmen, daß die Bischöfe auf der Synode oder Papst Franziskus die Liturgie nicht als Element, und erst recht nicht als ein Zentralelement, der Neuevangelisierung ansehen? Das entspräche jedenfalls nicht einer der Zentralaussagen des Zweiten Vatikanums in Sacrosanctum Concilium: „Denn es ist ist die Liturgie der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt. Die apostolische Arbeit ist darauf hingeordnet, daß alle, durch Glauben und Taufe Kinder Gottes geworden, sich versammeln, inmitten der Kirche Gott loben, am Opfer teilnehmen und das Herrenmahl genießen.“(SC10) Wird die Liturgie als Höhepunkt und Quelle des christlichen Lebens in diesem Dokument einfach vorausgesetzt oder verweist die Auslassung auf einen Perspektivwechsel hinsichtlich der Rolle der Liturgie im Leben der Kirche, die evangelisiert und evangelisiert wird?

Durch ganz Evangelii Gaudium zieht sich die Betonung der „persönlichen Beziehung zu Jesus Christus“. Bereits im 3. Abschnitt schreibt Franziskus: „Ich lade alle Christen dazu ein, ich lade jeden Christen ein, gleich an welchem Ort und in welcher Lage er sich befindet, noch heute seine persönliche Begegnung mit Jesus Christus zu erneuern und .... ihn jeden Tag ohne Unterlass zu suchen.“ EG legt großen Wert auf die Feststellung, daß die Kirche ein Ort der Begegnung ist, an dem die Menschen von ihrem Verhältnis zu Christus her ein persönliches Zeugnis für ihren Glauben ablegen sollen. Die Vorstellung der „persönlichen Beziehung zu Jesus Christus“ ist in charismatischen und evangelikalen Kreisen sehr populär. Sie wird oft in sehr emotionaler Weise gebraucht, um eine im wesentlichen spirituelle Erfahrung auszudrücken.

Zweifellos gibt es diese persönliche, emotionale und spirituelle Erfahrung; sie stellt ein nicht zu vernachlässigendes Element des christlichen Glaubens dar, seine Gegenwart ist Ausdruck seiner Lebendigkeit. Es kann jedoch auch sehr leicht im Individualistischen, ja sogar im Atomistischen, verharren. Die persönliche Beziehung zu Jesus Christus erscheint im überlieferten katholischen Glauben niemals im Gegensatz zu oder getrennt von den kirchlichen, sakramentalen, doktrinellen und liturgischen Aspekten dieses Glaubens. Sie alle gehören untrennbar zusammen.

EG stellt fest, daß „die Säkularisierung dazu tendiert, den Glauben und die Kirche auf die Sphäre des Privaten und des Persönlichen zu reduzieren“ (64). Aber es ist nicht zu erkennen, daß das Dokument die persönliche und verwandelnde Begegnung eines Einzelnen mit Christus im Zusammenhang mit der Begegnung dieses Einzelnen mit einer sichtbaren, und institutionellen Kirche sieht, die die Sakramente und die Liturgie der Kirche lebt. Die Taufe wird als die Tür zur Kirche betrachtet (47), aber die tieferen Beziehungen zwischen der Taufe mit dem Bekenntnis zur Gesamtheit des von den Aposteln her überlieferten Glaubens und der gesamten sakramentalen Wirksamkeit der Kirche werden bestenfalls vage angedeutet.

Bestünde das Ziel der Neuevangelisierung alleine darin, den Nicht-Gläubigen die Person Jesus näher zu bringen, um in eine Beziehung zu Ihm einzutreten, könnte man schwerlich einen Unterschied zu den bewundernswerten Formen der Evangelisierung feststellen, wie sie bereits von unseren protestantischen Brüdern betrieben wird. Aber wenn ihr Ziel die volle Einheit mit der katholischen Kirche ist, ist schwer zu begreifen, wie die Neuevangelisierung darüber hinwegsehen kann, daß die Liturgie keine Randerscheinung darstellt, sondern zum wesentlichen Bestand gehört.

Als Christen begegnen wir Christus nicht nur auf einer individuellen emotionalen Ebene. Wir begegnen ihm in medio ecclesiae als Teil der Ecclesia Orans, die uns durch die Wirksamkeit der Sakramente in den Leib Christi verwandelt. (...) Die Bedeutung von Sakramentalität und Vermittlung zu vernachlässigen birgt das Risiko, die wahrhaft evangelische Theologie der Gnade für das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen zu reduzieren. In der Folge erscheinen die Sakramente weniger als die von Gott eingesetzten Heilsmittel, die die angestrebte Einheit mit Gott letztlich verwirklichen, sondern eher als in überlieferte Form gebrachter Ausdruck unserer eigenen inneren Umkehr. Die Liturgie ist dann nicht mehr so sehr der Ort der Begegnung des Menschen mit Gott, sondern eher äußerliche Riten und Zeremonien, deren Wert darin besteht, welche Bedeutung wir ihnen in Hinsicht auf unsere eigene innere Umkehr beilegen.“

In weiteren Abschnitten befasst sich Fr. Smith mit  „Liturgie und Schönheit“, der von Franziskus ungenannten Elementen unterstellten „Allzu demonstrativen Beschäftigung mit Liturgie“ sowie den Komplexen „Predigt und Liturgie“ sowie „Frömmigkeitsübungen“ (devotions). Zu letzterem beobachtet der Verfasser einen Widerspruch zu Sacrosanctum Concilium 13, wo es heißt, daß alle Frömmigkeitsformen und -übungen der Liturgie der Kirche zugeordnet sein müssten, um als wahrhaft kirchlich und katholisch zu gelten. Er fährt dann fort:

EG nimmt hier eine andere Perspektive ein. Die Liturgie ist ein Mittel, um eine persönliche Beziehung zu Christus herzustellen, und es bleibt unklar, welche Beziehung sie zum sakramentalen Wirken und dem Leben der Kirche hat. Ihr Hauptwert besteht darin, daß ihre Schönheit Menschen zu Gott bringen kann. Frömmigkeitsübungen werden deshalb hochgeschätzt, weil sie Ausdruck von Menschen sind. Sie sind nicht auf die Liturgie hingeordnet, sondern auf andere Menschen hin, damit sie nicht zu individualistischen und eskapistischen Übungen werden.“

In der Zusammenfassung seiner „Ersten Gedanken“ - denen hoffentlich noch weitere folgen – kommt Fr. Smith zu einem wenig Freude hervorrufenden Ergebnis. Er schreibt:

Auch wenn ich nicht glaube, daß eine nach dem Bild und Vorbild von Evangelii Gaudium umgestaltete Kirche die heilige Liturgie jemals aufgeben würde, ist nicht zu übersehen, daß dieses Dokument eine ganz andere Perspektive einnimmt als die in Sacrosanctum Concilium zum Ausdruck gebrachte. Es ist auch schwer zu sehen, wie dieses liturgische Denken mit den allgemeinen Zielen der traditionellen oder der neuen liturgischen Bewegung oder der liturgischen Theologie von Papst Benedikt XVI. in Übereinstimmung zu bringen wäre – auch wenn EG in anderer Beziehung durchaus in Kontinuität zu Ansichten Ratzingers und der theologischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts und der Gegenwart steht.

In einer gewissen Weise könnte man sagen, daß die liturgische Theologie von EG den Triumph eines so gar nicht beabsichtigten Nebenproduktes der Gegenreformation darstellt: Einer kirchlichen Kultur, in der Liturgie wenig mehr bedeutet als das, was zu tun ist, um die eucharistischen Gestalten herzustellen, und die vielfach in den Hintergrund tritt, damit die Gläubigen ihren persönlichen Frömmigkeitsübungen nachgehen können. Liturgie ist in EG weit davon entfernt, fons et culmen zu sein. Benedikts des XVI. Aussage, daß die Liturgie ein wirkkräftiges Element der Neuevangelisierung darstelle, ist – wenn überhaupt – nur schwach in dieser Charta der Neuevangelisierung für unsere Zeit hinübergenommen worden. Aber das vermindert nicht die Wahrheit dessen, was die Liturgie in sich selbst ist und auch nicht ihre Macht, zu evangelisieren und Jünger zu gewinnen.“

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