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Die Hohe Woche in Jerusalem - I

In der Karwoche dieses Jahres wollen wir versuchen, die Liturgien nachzuzeichnen, die die gallische Pilgerin Egeria um das Jahr 380 bei ihrem Aufenthalt in Jerusalem erlebt und mitgefeiert hat. Einleitend heute einige Informationen zum Stand der christlichen Gemeinde und zu den kirchlichen Bauten dieser Zeit.

Der jüdische Krieg mit der Eroberung Jerusalems und Zerstörung des Tempels im Jahr 70 hatte das jüdische und damit wohl auch jedes christliche Leben im heiligen Land schwer beeinträchtigt. Die Fortsetzungen des Krieges im zweiten Jahrhundert brachten es wohl ganz zum Erliegen. Der von Kaiser Hadrian (reg. 117 – 138) betriebene Wiederaufbau von Jerusalem als „Aelia Capitolina“ war mit eindeutig antijüdischer und antichristlicher Stoßrichtung erfolgt. Die Errichtung eines Jupitertempels auf dem Tempelberg wurde132 zum Auslöser des Bar-Kochbar-Aufstandes, der noch gewalttätiger und letzten Endes verheerender verlief als der große Jüdische Krieg des ersten Jahrhunderts. Die Juden Jerusalems und Judäas wurden in die Sklaverei verkauft, Juden war das Betreten der Stadt bei Todesstrafe verboten. In Jerusalem und Umland wurden Bundesgenossen und Veteranen aus verschiedenen Völkerschaften angesiedelt.

Bei der hadrianischen Stadtplanung wurde der vorher außerhalb gelegene Golgotha-Hügel in die römische Stadt einbezogen, dort entstand ein Tempelbezirk mit Heiligtümern für Jupiter, Juno und Minerva sowie Venus/Aphrodite. Von einem christlichen Leben in der Stadt – unter den Veteranen waren sicher auch Christen – ist aus dieser Zeit nichts überliefert.

Dieses christliche Leben wird in den Quellen unmittelbar nach den „Toleranzedikten“ der Kaiser Konstantin und Galerius (ab 311) faßbar, zunächst nur sehr schattenhaft im anonymen Itinerar des Pilgers von Bordeaux (333), deutlicher dann in der Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea (etwa 260 - 340) und in größerer Breite literarisch ausgeformt im Reisebericht der Egeria aus den Jahren um 380. Ihr verdanken wir verhältnismäßig ausführliche Beschreibungen der Begängnisse der Karwoche, die wir hier in den kommenden Tagen wiedergeben werden. Zunächst jedoch eine kurze Beschreibung der wesentlichen Schauplätze, die Egeria bei ihrem Besuch vorgefunden hat.

Im Zentrum steht dabei der Komplex der Anastasis, des Ortes von Grab und Auferstehung, der das gesamte Gebiet der heutigen Grabeskirche und des Golgotha-Hügels samt dessen von Hadrian angelegten Erweiterungen umfasste. Der Komplex war damit wesentlich größer als die heutige Kirche, die ziemlich genau dort steht, wo die konstantinische Anlage ihr inneres Atrium hatte. Westlich von diesem Hof lag so wie noch heute die Rotunde des hl. Grabes – wobei der heutige Bau nur noch einige Grundmauern mit dem aus der Zeit Egerias gemeinsam hat. Östlich des Atriums lag dann die große fünfschiffige Basilika, wo wiederum sich heute verschiedene Höfe erstrecken, vor dieser ein weiteres Atrium. Egeria bezieht sich dabei oft auf den Golgothafelsen schlicht und einfach als „das Kreuz“, die Grabesstätte in der Rotunde bezeichnet sie als Anastasis oder Martyria, und von der Großen Basilika, die etwa 50 Jahre vor ihrem Besuch eingeweiht worden war, spricht sie als „hinter dem Kreuz“.

Wenn vom Berg Zion die Rede ist, denken wir oft an den Tempelberg – tatsächlich handelt es sich dabei jedoch um einen südlich der Stadt gelegenen weniger prominenten Hügel. Wenn Egeria von einer Zionskirche berichtet, meint sie damit sehr wahrscheinlich einen Bau am Ort der heutigen Abendmahlskirche, von dem auch andere Autoren der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts berichten. Der Tempelberg war zu ihrer Zeit vermutlich noch weitgehend verwüstet, der Bau einer Kirche auf dem eigentlichen Tempelplatz ist unwahrscheinlich, zumal – ebenfalls seit dem Toleranzedikt – auch die Juden an einem Tag im Jahr Jerusalem besuchen durften und dann natürlich die Ruinen des Tempels zum Zentrum ihrer Wallfahrten machten.

Dritter Hauptort des christlichen Jerusalem in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts ist der Ölberg, der immer außerhalb der Stadt gelegen war. Bereits Kaiser Konstantin hatte dort um 330 eine dreischiffige Basilika errichten lassen, die bei Egeria als „Eleona“ (Kirche auf dem Ölberg) bezeichnet wird. Sie galt dem Gedächtnis der Weissagung Jesu über das Schicksal Jerusalems, der letzten großen Lehrreden an seine Jünger und schließlich der Himmelfahrt. Dort wurde, bevor diese Ereignisse sich mit dem heute so bezeichneten Abendmahlssaal verbanden, auch des letzten Abendmahles und der Ausgießung des heiligen Geistes gedacht. Die konstantinische Kirche wurde spätestens im 9. Jahrhundert endgültig zerstört, die heute dort stehende Paternosterkirche ist ein wesentlich kleinerer Bau des 19. Jahrhunderts, der von Mauerresten der alten Basilika umgeben ist.

Die Eleonakirche wurde im Bereich einiger Höhlen im Ölberg errichtet, die seit alters her als „Prophetengräber“ angesehen wurden und zur Zeit Christi teilweise als Andachtstätten in Gebrauch waren. Deshalb sah man die größte davon auch zeitweise als Ort des letzten Abendmahles an. Neben der Eleonakirche gab es auf dem Ölberg einen zweiten Gedenkort, nämlich die höchste Erhebung des Berges, der als Platz der Himmelfahrt Christi angesehen wurde. Bei Egeria wird er in Aufnahme des griechischen „en bouno“ (auf dem Hügel) als „Imbomon“ bezeichnet. Eine andere römische Pilgerin von hohem Stand ließ dort – wir wissen nicht, ob vor oder nach Egeria – eine Säulenrotunde errichten, der Platz selbst blieb nach oben zu offen. Die Anlage wurde ebenfalls später von den mohammedanischen Erobern zerstört, der heute im Haupthof der Auferstehungskirche stehende kleine Rundbau stammt aus der Kreuzfahrerzeit.

Weitere Gedenkorte am Ölberg erinnerten an den Schlaf der Jünger, an den Platz des Gebetes Christi in Blut und Tränen und an den Ort des Verrates; zumindest an einem dieser Plätze stand schon zur Zeit Egerias eine größere Kirche. Heute findet man auf dem Gebiet mit der Fläche von weniger als 1 Quadratkilometer zahlreiche Kirchen verschiedener Konfessionen und Gemeinschaften, von denen einige wie z.B. die „Todesangst-Basilika“ oder das von den Franziskanern betreute „Dominus Flevit“ ausdrücklich den Bezug zu bestimmten Stationen der Leidensgeschichte herstellen. Dabei muß freilich offen bleiben, inwieweit diese Zuordnungen mit denen zur Zeit Egerias und erst recht mit den tatsächlichen Orten übereinstimmen. Wir sprechen hier von Orten die teilweise nur einen Steinwurf und nie mehr als einige hundert Meter voneinander entfernt sind.

Der letzte Ort, den Egeria im Zusammenhang mit der heiligen Woche besonders erwähnt, ist das Grab (und wohl auch ehedem der Wohnort) des Lazarus in Bethanien, keine drei Kilometer vom Ölberg entfernt. Eine Kirche gab es dort zu ihrer Zeit vermutlich noch nicht, das von ihr erwähnte „Lazarium“, war wohl eher ein von Mauern umschlossener Platz. Eine Kirche entstand dort erst Ende des 4. Jh. Heute steht dort die im 16. Jahrhundert errichtete Al-Azair (Lazarus-)Moschee, andere Kirchen im Ort haben keinen nachweisbaren Bezug zu Grab oder Wohnhaus der Familie des Lazarus.

 


 

Alle Illustrationen dieses Beitrag entstammen dem inzwischen sehr reichhaltigen Fundus von Wikimedia.

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