Bereichsnavigation Themen:

Die Hohe Woche in Jerusalem - III - Gründonnerstag

An den ersten drei Tagen der Karwoche beginnt Egeria ihren Bericht jeweils mit einer Wendung wie: An diesem Tag geschieht alles so, wie in der Anastasis vom ersten Hahnenschrei an üblich. Was üblich war, hat sie bereits in den ersten Abschnitten ihrer Beschreibung der Liturgie in Jerusalem beschrieben, und genau darauf greifen wir zunächst zurück:

Jeden Tag werden vor dem Hahnenschrei alle Tore der Anastasis geöffnet, und alle Mönche und Jungfrauen steigen (nämlich aus dem höhger gelegenen Hof vor der Basilika) hinab, dazu auch Laien, die frühmorgens an den Vigilien teilnehmen wollen. Bis zum Morgengrauen werden dann Hymnen vorgetragen und Psalmen respondiert, dazu auch Antiphonen. Auf die Hymnen folgt jeweils eine Oration; dabei wechseln sich zwei oder drei Priester und Diakone an den einzelnen Tagen mit den Mönchen ab.

Bei Tagesanbruch beginnen sie mit dem Gesang der Morgenhymnen (die Kommentatoren denken dabei an Ps. 62 Sept.), Dann kommt auch der Bischof mit seinem Klerus hinzu. Er begibt sich sofort in den abgegrenzten Raum der Grabesgrotte und spricht darin ein Gebet über alle. Er nennt auch die Namen derer, deren er gedenken will, und segnet die Katechumenen. Dann spricht er ein weiteres Gebet und segnet die Gläubigen. Wenn er dann aus dem Raum innerhalb der Schranken heraustritt, treten alle heran. Er segnet sie einzeln, und wenn er dann hinausgeht und die Entlassung stattfindet, ist es bereits heller Tag.

Auch zur sechsten Stunde begeben sich alle noch einmal zur Anastasis und singen Psalmen und Antiphonen, bis der Bischof gerufen wird. Er steigt ebenfalls hinunter und begibt sich, ohne Platz zu nehmen, direkt in den abgegrenzten Raum. Wie schon in der Frühe spricht er zunächst ein Gebet und segnet die Gläubigen. Wenn er dann wieder herauskommt, treten alle (zum Empfang des Segens) an ihn heran. Ebenso macht man es in der Neunten Stunde.

Zur zehnten Stunde aber, die man hier „Lychnikon" nennt – wir sagen „Lucernar" – versammelt sich die Menge wieder in der Anastasis, es werden alle Leuchten und Kerzen angezündet, und es erstrahlt unendliches Licht. Dazu bringt man kein Licht von außerhalb herbei, sondern es wird von innerhalb der Grotte, also aus dem abgegrenzten Raum, gebracht, in der Tag und Nacht eine Lampe brennt. Man rezitiert die Luzernar- psalmen (die Kommentatoren nennen vor allem Ps. 140) und auch längere Zeit Antiphonen. Dann wird der Bischof gerufen, er kommt hinzu und nimmt seinen erhöhten Platz ein. Dann setzen sich auch die Priester auf ihre Plätze, und man singt wieder Hymnen und Antiphonen. Wenn das nach der Gewohnheit beendet ist, erhebt sich der Bischof und tritt vor die Abgrenzung, also vor die Grotte. Ein Diakon verliest die Namen derer, deren zu gedenken ist, und die Kinder, die immer in großer Zahl dabei stehen, antworten „Kyrie eleison" - das heißt bei uns „miserere Domine".“

Es folgen – hier fassen wir einen Abschnitt Egerias kurz zusammen – die bereits oben beschriebenen getrennten Zeremonien des Segens für Katechumenen und Gläubige und die Entlassung mit dem Einzelsegen des Bischofs. Mit der das Luzernar aber noch nicht zu Ende ist. Egeria fährt fort:

Danach wird der Bischof unter Hymnen von der Anastasis bis zum (Hof vor dem) Kreuz (d.h. dem Golgotha-Felsen) geführt, das ganze Volk kommt mit. Dort spricht er zunächst ein Gebet, dann segnet er zunächst die Katechumenen, darauf spricht er ein weiteres Gebet und segnet die Gläubigen. Anschließend zieht er mit dem ganzen Volk hinter das Kreuz (wohl in eine besondere Kapelle der Basilika), und dort verfährt man noch einmal genauso. Ebenso treten alle vor wie hinter dem Kreuz so wie in der Anastasis an den Bischof heran, (um den Segen zu empfangen).

An all diesen Plätzen in der Anastasis, vor dem Kreuz und hinter dem Kreuz, hängen überall große Lampen aus Glas und stehen große Kerzenleuchter, und die ganze Zeremonie endet, wenn es schon dunkel ist. Diese Zeremonien werden an allen sechs Wochentagen am Kreuz und in der Anastasis begangen.“

Soweit die übliche Form der Gebete und Zeremonien im Tagesablauf. Die Abweichungen an den Tagen der Karwoche, die Egeria mitteilt, betreffen vor allem Veränderungen der Orte: Am Montag wird ein Teil der Zeremonien in das Martyrium, also die Basilika verlegt, am Dienstag kommt beim Luzernar noch eine weitere Zeremonie in der Eleona-Kirche hinzu. Am Mittwoch ziehen Bischof und Gemeinde nach dem Ende des Luzernars in der Basilika noch einmal zur Anastasis zurück, und Egeria beschreibt das folgende so:

Der Bischof tritt sogleich in die Grotte in der Abgrenzung der Anastasis, ein Priester bleibt jedoch außerhalb stehen, empfängt das Evangeliar und liest dann jene Stelle vor, wo Judas Ischariot zu den Juden geht und aushandelt, was diese ihm geben sollen, wenn er den Herrn verrät. Wenn diese Stelle vorgelesen ist, bricht das ganze Volk in lautes Jammern und Klagen aus und alle sind in dieser Stunde zu Tränen gerührt. Es folgt noch eine Oration, danach der Segen für die Katechumenen, dann für die Gläubigen und schließlich die Entlassung.“

Vor der Wiedergabe des Berichts über den Ablauf des Gründonnerstages sollen hier noch einmal die wesentlichen Elemente dieser alltäglichen Gebete zusammengestellt werden. Es handelt sich unverkennbar um ein öffentliches Stundengebet der Gemeinde von Jerusalem, das vor allem von den Mönchen und Nonnen getragen wurde, an dem zu wesentlichen Teilen aber auch der Bischof und sein Klerus teilnahmen. Wie stark die stets erwähnte Beteiligung des Volkes war, ist nicht zu erkennen, einige Ortsangaben und der Hinweis auf die Einzelsegnungen lassen jedoch vermuten, daß die Teilnehmerzahl eher überschaubar war. Auffällig ist der konsequent durchgehaltene Hinweis auf unterschiedliche Segnungen für Katechumenen und Gläubige. Es war die Zeit, in der es keines heroischen Opfermutes mehr bedurfte, sich der Kirche anzuschließen – auch Opportunisten fanden das hilfreich. Der Katechumenat wurde sehr ernst genommen, früh institutionalisiert und diente dazu, die Spreu vom Weizen zu scheiden. Weiterhin ist auffällig, daß eine Messfeier am Werktag noch nicht Bestandteil des öffentlichen Kultus war. Die Tatsache, daß das alltägliche Stundengebet jedoch ausschließlich im Komplex der Anastasis zwischen Golgotha und Grabesgrotte stattfand, läßt jedoch keinen Zweifel daran, daß Kreuzestod und Auferstehung auch ohne Messopfer im Zentrum des Gottesdienstes standen, und zwar für den ganzen Tag – und ganz ohne jedes Gemeinschaftsmahl. Am Rande interessant erscheint die Beobachtung, daß Egeria ihren Leserinnen das Kyrie eleison übersetzt - vielleicht war die griechische Form in diesem Umfeld nicht geläufig.

Der Gründonnerstag bricht dann ganz beträchtlich aus dem bisher weitgehend eingehaltenen Schema der alltäglichen Gemeinschaftsgebetes aus – aber auch das erst ab der achten Stunde. Egeria schreibt:

Am Donnerstag geht in der Anastasis vom ersten Hahnenschrei bis zum Morgen alles so, wie gewohnt, auch zur Sext und zur Terz. Zur achten Stunde versammelt sich das Volk dann ebenfalls wie gewohnt im Martyrium, jedoch etwas früher, weil auch die Entlassung früher erfolgen soll. Danach geschieht alles zunächst wie immer, dann wird an diesem Tag im Martyrium das Opfer gefeiert, und die Entlassung ist um die zehnte Stunde. Vor der Entlassung erhebt der Erzdiakon seine Stimme und sagt: Wir wollen alle in der ersten Stunde der Nacht in der Kirche in Eleona zusammenkommen, denn in der heutigen Nacht steht uns noch große Mühe bevor.

Nach der Entlassung aus dem Martyrium geht man hinter das Kreuz, singt dort nur einen Hymnus, spricht ein Gebet, und der Bischof feiert dort das Opfer und alle kommunizieren. Außer an diesem einen Tag wird das ganze Jahr hindurch niemals hinter dem Kreuz das Opfer gefeiert. Nach der Entlassung geht man dann zur Anastasis, es folgt ein Gebet, und dann wie gewöhnlich die Segnung der Katechumenen und die der Gläubigen, danach die Entlassung. Danach kehren alle eilends zum Essen in ihre Häuser zurück, denn sobald sie gegessen haben, gehen sie in die Eleona-Kirche, in der sich die Höhle befindet, in der sich der Herr an diesem Tage mit den Aposteln aufgehalten hat.

Dort werden dann ungefähr bis zur fünften Stunde der Nacht ununterbrochen dem Tag und dem Ort entsprechende Hymnen und Antiphonen gesungen und Lesungen vorgetragen, dazwischen werden Orationen eingeschoben. Aus dem Evangelium werden dabei jene Stellen vorgetragen, in denen der Herr an eben diesem Tage in eben dieser Höhle gesprochen hat. Etwa zur sechsten Stunde der Nacht zieht man unter Hymnen hoch zum Imbomon, von wo der Herr in den Himmel aufgefahren ist. Dort werden erneut zum Ort passende Lesungen vorgetragen und Hymnen und Antiphonen gesungen; auch alle Orationen, die der Bischof dort vorträgt, sind dem Ort und dem Tage entsprechend.

Nach dem ersten Hahnenschrei (mit dem der neue Tag, also der Karfreitag, beginnt), steigt man dann unter Hymnen wieder vom Imbomon herab und geht zu dem Ort, wo der Herr gebetet hat, wie im Evangelium geschrieben steht „Er ging einen Steinwurf weit weg und betete“.“

Soweit Egeria zum Gründonnerstag und der Nacht zum Karfreitag.


Das Auffällige an diesem Gottesdienst des Gründonnerstags ist zunächst seine enorme Länge: Er dauert den ganzen Tag und die ganze Nacht, um dann bruchlos in das Gedenken des Karfreitags überzugehen – dazu morgen mehr. Dann springt ins Auge, daß an diesem Tag ausdrücklich von der Darbringung des Opfers die Rede ist, und zwar wird die Messe gleich zwei Mal und an zwei verschiedenen Plätzen des Anastasis-Komplexes gefeiert. Dabei ist davon auszugehen, daß diese Opferfeier vollständig in die umgebenden Lesungen, Psalmen und Antiphonen eingebettet war und aus wenig mehr bestand als einer Anaphora und begleitenden Gebeten oder Gesängen zur Kommunion von Klerus und Volk. Egeria hält es nicht für nötig, einen expliziten Hinweis auf den eigentlichen Anlass und Gegenstand der heutigen Feier zu machen: Die Einsetzung des Altarssakramentes wird nicht genannt. Implizite Hinweise sind neben der zweimaligen Opferfeier aber auch der Gang zur Eleona-Kirche „mit der Höhle, in der Christus an diesem Tag mit den Aposteln war". Diese Höhle galt zur Zeit Eleonas auch als der Ort des letzten Abendmahles – eine Zuschreibung, die wohl nur durch die Verheerungen der Zerstörung Jerusalems und des Umbaus in eine römisch-heidnische Stadt zu erklären ist.

Einen weiteren impliziten Hinweis auf das Festgeheimnis bildet die Reihe der in die Liturgie einbezogenen Orte: Zunächst Kreuz, Grab und Auferstehung in der Anastasis, dann mit der Eleona-Kiche die Rückschau auf das Abendmahl und am Imbomon die Vorschau auf die Himmelfahrt. Von den Orationen und Antiphonen dieses Tages sind keine Texte überliefert, aber die vom ganzen Volk mitgetragenen Prozessionen dieses Tages erscheinen wie eine Verkörperung des Unde et Memores im lateinischen Ritus: „Daher sind wir denn eingedenk, Herr, wir, Deine Diener, aber auch Dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens, der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelfahrt Deines Sohnes, unsres Herrn Jesus Christus, und bringen so Deiner erhabenen Majestät von Deinen Geschenken und Gaben ein reines Opfer dar.“

Bilder wikimedia sowie ejohnson und societas verbi dei.

Zusätzliche Informationen