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Die Hohe Woche in Jerusalem - IV - Karfreitag

Die Begängnisse - diesen Ausdruck kann man hier wörtlich nehmen - des Gründonnerstags gingen in der Nacht zum Karfreitag auf dem Imbomon bruchlos in die des Karfreitags über. Die Gläubigen begaben sich nach dem ersten Hahnenschrei zu der „herrlichen Kirche am  Ölberg“, deren Ort unter den vielen Kirchen dort leider nicht genau bestimmbar ist,  und setzten den schon seit 24 Stunden Stunden andauernden Gottesdienst fort:

Es beginnt ein langes ZitatDer Bischof und das ganze Volk treten dort ein, sie sprechen ein zu Ort und Zeit passendes Gebet, singt auch einen angemessenen Hymnus und liest dann die Stelle aus dem Evangelium, wo Er seinen Jüngern sagt: „Wachet, damit ihr nicht in Versuchung fallet“. Nachdem das ganz vorgelesen ist, wird erneut eine Oration gesprochen.

Von dort aus steigen sie unter Hymnengesang bis zum kleinsten Kind zu Fuß nach Gethsemane hinab. Wegen der großen Menge und der Ermüdung durch die Nachtwachen und das tägliche Fasten kommen sie auf dem sehr steilen Abstieg nur langsam voran, bis sie unter Hymnen in Gethsemane einziehen. Damit das Volk Licht hat, sind über zweihundert Kirchenleuchter bereitgestellt.

Wenn alle dann in Gethsemane ankommen, wird zunächst eine geeignete Oration gesprochen und ein Hymnus gesungen, dann wird die Stelle aus dem Evangelium vorgelesen, wo der Herr gefangen genommen wird. Wenn diese Stelle vorgelesen wird, erhebt das ganze Volk unter Tränen ein solches Jammern und Klagen, daß man es wahrscheinlich bis in die Stadt hören kann. Anschließend gehen sie unter Hymnen zu Fuß in die Stadt und kommt gerade zu der Stunde am Tor an, wo man die Leute wieder erkennen. Darauf ziehen sie allesamt durch die Stadt, Große und Kleine, Arme und Reiche, alles sind dabei, und insbesondere an diesem Tage entfernt sich bis zum Morgen keiner von dieser Nachtwache. So begleiten sie den Bischof von Gethsemane bis zum Tor und weiter durch die ganze Stadt bis zum Kreuz.

Bis sie bei dem Kreuz ankommen, beginnt der Tag sich aufzuhellen. Dann wird dort noch einmal die ganze Stelle aus dem Evangelium vorgelesen, wo Er zu Pontius Pilatus gebracht wird mit allem, was dort Pilatus nach der Schrift zuum Herrn und zu den Juden gesprochen hat.

Danach wendet sich der Bischof an das Volk und ermutigt sie, weil sie sich doch schon die ganze Nacht abgemüht haben und sich an diesem Tag noch weiter abmühen müssen, daß sie nicht aufgeben sollen, sondern ihre Hoffnung auf den Herrn setzen, der ihnen ihre Mühen reichlich vergelten wird. Wenn er sie so nach Kräften ermutigt hat, sagt er ihnen: „Nun gehe ein jeder vone Euch in sein Haus und setzt euch etwas hin und haltet euch um die zweite Stunde wieder hier bereit, damit ihr dann bis zur sechsten Stunde das heilige Kreuzesholz sehen könnt, das nach unserem Glauben einem jeden von uns zum Heile gereicht. Von der sechsten Stunde an müssen wir dann wieder alle hier zusammen kommen - also vor dem Kreuz - damit wir uns den Lesungen und Gebeten bis zur Nacht widmen“.

Diese Entlassung am Kreuz erfolgt noch bevor die Sonne aufgestiegen ist, jeder geht eilends zum Zion und betet bei der Säule, an der der Herr gegeißelt worden ist. Wenn sie von dort zurückkehren, ruhen sich alle in ihren Häusern etwas aus, und dann sind alle wieder (zur Fortsetzung des Gottesdienstes) bereit. Inzwischen hat man hinter dem Kreuz auf Golgotha den Bischofsstuhl aufgestellt, und wenn der Bischof sich dort hingesetzt hat, stellt man vor ihn einen mit Leinen gedeckten Tisch, die Diakone bilden einen Kreis darum, und man bringt ein Kästchen aus vergoldetem Silber, in dem das Holz des heiligen Kreuzes ist.  Es wird geöffnet, und dann legt man das Kreuzesholz und seine Inschrift (den Titulus) auf den Tisch.

Dort hält es der Bischof an beiden Enden fest und die umstehenden Diakone passen auf. Das macht man deshalb so, weil das Volk, Gläubige ebenso wie Katechumenen, einer nach dem anderen herantritt. Sie verbeugen sich vor dem heiligen Kreuz, küssen es und gehen weiter. Weil aber irgendwann jemand, wie es heißt, dabei fest zugebissen und ein Stück davon gestohlen haben soll, bilden nun die Diakone einen Kreis und achten darauf, daß keiner kommt und das noch einmal wagt.

So gehen alle einzeln heran, verbeugen sich, berühren das Kreuz und den Titulus zuerst mit der Stirn, und dann mit den Augen, küssen es, und gehen weiter, dabei streckt keiner die Hand aus, um es zu berühren. Dann kommen sie zu einem Diakon, der den Ring des Salomo und das Horn hält, aus dem die Könige Israels gesalbt wurden. Auch das Horn küssen sie, und den Ring betrachten sie - so geht das von vor der zweiten bis zur sechsten Stunde. Das ganze Volk kommt bei dem einen Portal herein und geht zum anderen wieder hinaus, und das geschieht an dem gleichen Platz, an dem am Vortag, also am Donnerstag, das Opfer dargebracht worden ist.

Zur sechsten Stunde versammelt sich das ganze Volk bei jedem Wetter in dem sehr großen und prächtigen Innenhof zwischen dem Kreuz und der Anastasis, dort ist es dann so voll, daß man die Tore nicht mehr öffnen kann. Dann stellt man für den Bischof einen Stuhl vor das Kreuz, und von der sechsten bis zur neunten Stunde macht man nichts anderes, als Lesungen vorzutragen. Das heißt, daß man zunächst aus den Psalmen die Stellen vorliest, in denen von der Passion die Rede ist, dann entsprechend aus den Briefen der Apostel oder der Apostelgeschichte, und schließlich auch die Leidensberichte aus den Evangelien. Auch aus den Propheten werden Passagen vorgetragen, die vom künftigen Leiden des Herrn berichten. So geschieht das von der sechsten bis zur neunten Stunde, um dem Volk anhand der Schrift zu zeigen, daß sich alles, was die Propheten vom Leiden des Herrn vorausgesagt haben, erfüllt hat. Drei Stunden lang wird das Volk belehrt, daß nichts geschehen ist, was nicht prophezeit worden ist, und nichts vorhergesagt worden ist, was nicht auch gänzlich eingetreten ist. Und immer wieder werden Orationen eingeschoben, wie sie für diesen Tag geeignet sind. (...)

Wenn die neunte Stunde dann schon begonnen hat, wird die Stelle aus dem Johannesevangelium vorgelesen, wo er seinen Geist aufgab - darauf folgt eine Oration und die Entlassung. Sofort danach gehen alle in die große Kirche, ins Martyrium, und dort geschieht alles so, wies es dort sonst von der siebten bis zur neunten Stunde üblich ist. Nach der Entlassung aus der Martyriumskirche geht man zur Anastasis, wo die Stelle aus dem Evangelium gelesen wird, wo Josef (von Arimathea) Pilatus um den Leichnam Jesu bittet und ihn dann in ein neues Grab legt. Nach der Lesung folgt eine Oration, dann der Segen für die Katechumen und schließlich die Entlassung. An diesem Tag werden keine Vigilien in der Anastasis angekündigt, weil man weiß, daß das Volk müde ist. Aber die aus dem Volk, die das wollen, halt dort dennoch Nachtwache...“


Soweit also Egerias Bericht vom Karfreitag - damit endet mit dem Spätnachmittag des Karfreitag eine Liturgie, die mit kleinen Unterbrechungen seit dem ersten Hahnenschrei des Donnerstags andauert, und die für diejenigen, die noch bei Kräften sind, auch noch bis in die Nacht fortgesetzt wird. Die Struktur der Liturgie ähnelt mit ihren Prozessionen unter Psalmengesängen, Gebeten und Lesungen der üblichen Tagzeitenliturgie. Inhaltliche Schwerpunkte sind die vielstündige Lesung der Prophetien zur Passion und der Passionsgeschichte selbst sowie der Ritus der Kreuzverehrung. Damit ist unverkennbar die Struktur vorgezeichnet, die auch heute noch den Karfreitagsgottesdienst kennzeichnet, wenn auch der Großteil der Prophetien im lateinischen Ritus (später?) in die Vigil des Ostertages abgewandert ist. Örtliche Schwerpunkte sind natürlich „das Kreuz“ und die anderen Bereiche der Anastasis, dazu tritt „Gethsemane“ irgendwo am Fuße des Ölbergs, wobei keine Kirche erwähnt wird und die Lokalisierung umstritten bleibt.

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