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Rückblick: Ostern in Jerusalem

Der Bericht der Egeria über die Liturgie im Jerusalem des späten 4. Jahrhunderts enthält so gut wie nichts von dem, was ein späteres Verständnis von Liturgie manchmal in den Vordergrund zu stellen geneigt ist: Zahl und Ordnung der Teilnehmer, Aufstellung und Reihenfolge bei Prozessionen, Ablauf der rituellen Handlungen im Einzelnen. Bestimmendes Element dieser Liturgie ist die Tatsache, daß sie an den Originalschauplätzen des Erlösungswerkes stattfindet; es ist eine Liturgie der Prozessionen, der sichtbaren und körperlichen Wanderschaft des Volkes Gottes. Das war so außerhalb Jerusalems nicht direkt zu übernehmen, beeinflusste aber schon früh die Gestalt der Liturgie an anderen Orten, insbesondere natürlich in Rom mit dem reichhaltigen System der Stationsgottesdienste.

Noch auffälliger fast als die Verbindung der Liturgie mit den tatsächlichen oder angenommenen Orten des Lebens und Leidens Christi ist die Einbindung in den zeitlichen Ablauf eines geheiligten und ganz Gott geweihten Tages. Die Gestalt der einzelnen zu festgelegten Stunden stattfindenden Stationen und Prozessionen entspricht bereits in weitem Umfang der Form, die wir bis in die Gegenwart vom Stundengebet der Kirche kannten: Von Antiphonen kommentierte Psalmen und Hymnen, Lesungen aus den Propheten und den Aposteln, priesterliche Orationen und Segnungen. Die sakramentalen Vollzüge – für die hohe Woche sind das vor allem die Taufe und das Messopfer – sind in einer solchen Weise in diese Abläufe eingebettet, daß sie kaum einer besonderen Erwähnung bedürfen. Egeria vermerkt nur, daß „die Darbringung des Opfers“ an einer bestimmten Stelle stattfindet, um dann dazu zu setzen, daß das genau so geschehe wie in ihrer Heimat. Das kann sich sogar auf die gottesdienstliche Sprache beziehen, denn wenn auch in Südgallien Vulgärlatein die allgemeine Umgangssprache war, kann dort, ebenso wie in Rom, im Gottesdienst noch bis ins 4. Jahrhundert das Griechische wenigstens teilweise in Gebrauch gewesen sein.

Die weitgehenden Übereinstimmungen zwischen den liturgischen Formen im Westen und Osten des Mittelmeers beziehen sich zweifellos nicht nur auf den eigentlichen Opferritus, den man sich in der Gestalt der mehr oder weniger umfassend überlieferten frühchristlichen Canons und Anaphoren vorstellen muß. Das bezieht sich auch auf die Einbettung in einen vom Stundengebet geprägten Tagesablauf: Der Ort der Liturgie war auch in Gallien nicht eine Dorfkirche mit einem einzelnen Priester, sondern die Bischofs-, Stifts- oder Klosterkirche mit einem zahlreichen Klerus, der dem Gottesdienst einen wesentlichen Teil des Tages widmete. Die Gläubigen, das kann man auch aus dem Jerusalemer Bericht erschließen, nahmen an diesem Gottesdienst zu bestimmten Zeiten teil, wobei man das „bestimmte“ ruhig im Unbestimmten lassen kann: Das gewöhnliche Volk hatte seine zeit- und kräftezehrende Arbeit und schloss sich dem öffentlichen Gottesdienst an, soweit es die Umstände erlaubten. Noch heute kann man bei feierlichen und langdauernden Gottesdiensten Orthodoxer Gemeinden ein ständiges Kommen und Gehen beobachten. „Volk“ ist immer dabei – aber nicht ständig die gleichen Gläubigen.

Am bedeutendsten aus dem heutigen Blickwinkel ist aber der Umstand, daß Egeria, selbst wenn sie der eigentlichen Messfeier stets nur wenige Worte widmet, keinen Zweifel daran läßt, daß es sich bei dieser Feier um ein Opfer handelt – ihre gewöhnliche Wendung hierfür ist „oblationem offere“. Der zu bestimmten Gelegenheiten stattindende Kommunionempfang der Gläubigen wird dann gegebenenfalls eigens erwähnt, er bildet aber offenbar keinen integralen Bestandteil des Messopfers. Dieses Zeugnis aus den 80er Jahren des 4. Jahrhunderts hat natürlich heute, da ausgerechnet der Jahrestag der Einsetzung des Altarssakramentes den Anlass für medienwirksame Ausflüge an die Ränder der Gesellschaft oder Gemeinschaftsmähler bietet, bei denen sogar der Volksalter nur noch einstörendes Element am Versammlungsort darstellt.

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