„Mutter, Mutter, wie viele Schritte darf ich?“
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- 14. Juli 2014
Am 27. Juni begannen wir mit der Vorstellung der Ansprachen und Vorträge von der 16. Kölner Liturgischen Tagung im April, die im Lauf dieses Jahres in der Una Voce Korrespondenz abgedruckt werden. Heute bringen wir aus dem Vortrag von Prof. Andreas Wollbold über die liturgische Frömmigkeit des Priesters einen Abschnitt, der sich mit dem Stellenwert, also der Bedeutung und auch der Grenzen, der vielgeschmähten Rubriken befasst.
Es gibt ein grundlegendes Missverständnis der Rubriken, so als wären sie gewissermaßen nur ein beständiger Test der Kirche auf die Folgsamkeit ihrer Söhne: „Tun sie das, was ich vorschreibe, oder erlauben sie sich Eigenmächtigkeiten?“ Beinahe so wie das alte Spiel „Mutter, Mutter, wie viele Schritte darf ich?“, bei dem die „Mutter“ sich plötzlich zu den Spielern umdreht, und wen sie dann bei einer Bewegung ertappt, der muss wieder ganz zurück. Danach wäre die Ordnung der Liturgie nichts Anderes als eine Übung im Gehorsam. Ich fürchte, die 50er Jahre haben es weithin nur noch so verstanden, und dementsprechend unbeliebt war diese Ordnung - manchmal nicht mehr als der Drill der Rekruten auf allen Kasernenhöfen der Welt, wo man sich auf Kommando in eine Pfütze werfen, den Nacken steif machen oder die Hände an die Hosennaht legen musste. Und so fing man schon damals an, die Gehorsamsübung in den Reiz zum Ungehorsam umzumünzen: hier noch ein Schrittchen mehr als erlaubt, dort sich noch eine kleine Freiheit herausgenommen, und schließlich über alles noch die spirituelle Soße: „Der liebe Gott sieht das alles doch nicht so eng!“ Das war der Geist, der dann in den Jahren der liturgischen Revolution alles niederriss. Das Verständnis für die Notwendigkeit dieser Ordnung war schon längst erodiert.
Was aber sind dann Rubriken? Was bedeutet die liturgische Ordnung? Ein religiöser Mensch würde die Frage kaum verstehen. Denn das Heilige, das sacrum, ist vom profanum getrennt, und deshalb folgt, wer sich dort aufhält, anderen Gesetzen. Die Gegenwart Gottes, seine Herrschaft ist an diesem Ort so unmittelbar und ausschließlich - In seiner Gegenwart schweige alles Fleisch (Hab 2,20 V, vgl. Sach 2,17) -, daß nur ein streng geordneter Ritus, daß nur ein restlos von ihm bestimmtes Verhalten und Sprechen angemessen erscheint. Alles Persönlich-Private, alles Locker-Spontane, aber auch jede bloß subjektive Äußerung von Frömmigkeit oder Suche nach Erfahrung und Ekstase, auch jeder charismatische Kult des Außergewöhnlichen, Spektakulären und Mirakelhaften ist dem nicht angemessen. Um recht verstanden zu werden: Alles an seinen Ort - der Katholizismus war immer stark darin, außerhalb des heiligen Raumes und der heiligen Liturgie all diesen Elementen ihr Recht zu lassen. Aber ihr Eindringen in Kirchenraum und Liturgie hat nichts Gutes. „Buon pranzo“ mag zum Abschluss einer außerliturgischen Begegnung des Papstes mit seinen römischen Gläubigen ein netter Ausdruck von Sympathie und Menschlichkeit sein, aber übertragen an das Ende der Sonntagsmesse nivelliert es das Heilige ins Alltägliche und transportiert so die Botschaft: „Gott ist doch eigentlich auch ganz menschlich.“
Noch einmal: Was sind Rubriken? Gebundenheit, Selbstzurücknahme, Proskynese alles Seins vor dem heiligen Gott, soviel ist bereits deutlich geworden. Vielleicht kann uns bei diesem Gedanken die liturgische Tradition des hl. Maximus Confessor.(ca. 580-662), die „Mystagogia“. Darin legt er ähnlich wie Dionysius Areopagita, aber noch christologischer und weniger neuplatonisch - die Riten der göttlichen Liturgie und den Bau der Kirche als Gleichnis des Kosmos aus. Hans Urs von Balthasar hat seine große Monographie über den Bekenner darum sehr treffend mit „Kosmische Liturgie" betitelt. D.h. der Kirchenraum, vor allem der Altarraum, und das, was sich darin vollzieht, ist ein gewaltiges Gleichnis auf das Gesamt der Schöpfung und Erlösung. Auf die Rubriken angewendet, bedeutet dies: Wer liturgisch handelt, verzichtet darauf, sich selbst darzustellen, also Einzelperson, privatier zu sein, um so das Geheimnis von Gott und unserer Erlösung darstellen zu können.“
Voller Titel des Beitrages von Prof. Wollbold in der UVK ist „Zwischen Hierophant und Animator - Zur liturgischen Frömmigkeit des Priesters“. Die Ausgabe der 2014/2 der Una Voce Korrespondenz können Sie - sofern Sie nicht schon längst Abonnent sind - über die Website der UVK beziehen.