Bereichsnavigation Themen:

Im Zentrum steht das das Kreuz

Nach vier Jahrzehnten sonntäglicher Gemeindeversammlungen nach der neuen Ordnung von Papst Paul VI. ist das Wissen darüber, worum es sich beim heiligen Messopfer handelt, in weiten Bereichen der Kirche zumindest in Europa verdunstet. An den theologischen Fakultäten wird dieser Verdunstungsprozess vielfach eifrig gefördert. Zum 500. Jahrestag von Luthers ins Nichts führender Reformation sind viele darauf aus, sich ihm als  Epigonen der letzten Stunde anzuschließen. Das hatten Hegel und Marx schon sehr zutreffen beobachtet: Daß große Ereignisse sich in der Weltgeschichte oft zweimal ereignen, das eine Mal als Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.

Da ist es wohltuend, bei Martin Mosebach in einer Rede, die er 2013 auf Einladung des damaligen Limburger Bischofs Tebartz van Elst im Frankfurter Haus der Künstler gehalten hat, eine Klarstellung zu hören, die das, worum es am Sonntag geht, eindeutig beschreibt.

Es beginnt ein langes ZitatMit den Worten des Apostels Paulus bekennt die feiernde Gemeinde in der Messe „den Tod des Herrn bis er wiederkommt“. Dieser Tod am Kreuz ist aber ein Ereignis gewesen, das denkbar weit von jedem Fest und jeder Zeremonie und jedem Ritus entfernt gewesen ist, so sehr wir uns daran gewöhnt haben, das Kreuz in Form großer Kunstwerke, womöglich mit Edelsteinen bedeckt in prachtvollen Kirchen zu betrachten, es als Schmuckstück zu tragen und womöglich gar als kostbaren oder billigen Nippes zu erleben, so realisieren wir dann doch gelegentlich, daß die Wirklichkeit des Kreuzes eine andere war. (...) Hier wird ein Mensch zur Sache gemacht, aus der menschlichen Gemeinschaft ausgestoßen, dies ist die Schilderung einer Exkommunikation, wenn es je eine gab. Der Ort des Schindangers ist der absolute Gegensatz zum Tempel. Hier herrscht die Abwesenheit Gottes, Nihilismus, hier wird der Gefolterte selbst vom Zweifel am Sinn seines Weges befallen. „Gott wird einen Augenblick lang Atheist“, so hat es Chesterton zuspitzend gesagt.

Wo führt aus dieser Sackgasse ein Weg zu Ritus und Fest? Der Tempel selbst wurde ja profaniert durch diese Blasphemie, die für Außenstehende, die das Staunen durch fromme Routine nicht verlernt haben, auf zutiefst unbegreifliche Weise das Fundament einer Erlösungsreligion bildet.

Es gäbe diesen Weg tatsächlich nicht, wenn Christus ihn nicht selbst gewiesen hätte. Er selbst hat den Jüngern die Augen für die Verbindung zwischen seiner Abschlachtung und einem zur Wiederholung bestimmten Opferfest geöffnet. Er selbst hat sie gelehrt, das letzte Abendmahl, das als Pascha-Mahl ohnehin in rituellem Zusammenhang stand, in Beziehung zu setzen mit seinem blutigen Opfertod am nächsten Tag. Die biblischen Worte, die Moses bei der Einsetzung des Sühneopfers am Versöhnungstag, dem Jom Kippur, sprach, und die Worte der Eucharistie, die das stellvertretende Opfer von Christi Blut verkünden, sind ja beinahe identisch. In Exodus 24,8 heißt es: „Moses nahm das Blut, sprengte es über das Volk und sprach: Dies ist das Blut des Bundes, den der Herr mit euch geschlossen.“ Bei Markus 14,23 lauten die Einsetzungsworte Jesu, die er über den Wein spricht: „Und er nahm den Kelch [...] und sprach zu ihnen: Dies ist mein Blut des neuen Bundes, das vergossen wird für viele.“

Damit war die Spur gelegt, die zum richtigen Verständnis des Vorgangs führte: die Stiftung einer Opferzeremonie, die auf Wiederholung hin angelegt ist. Ritus ist immer erneuerte Wiederholung einer von fremdem Willen vorgegebenen Handlung, aber zugleich war den Jüngern auch klar, in welchem Rahmen diese Stiftung gesehen werden wollte, und Paulus sprach es aus, als er Christus den Hohenpriester nannte, der aber nicht mehr mit dem Blut einer Kuh, sondern mit dem eigenen Blut das Volk zu entsühnen unternimmt.

Die unerhörteste Umdeutung und Neudeutung ereignete sich; für die Apostel war das aber die reine Erkenntnis der Wirklichkeit: aus dem Sklaventod in der Ausgestoßenheit wurde der freie Opferakt eines Hohenpriesters, aus der passio des Kreuzestodes wurde actio - und tatsächlich wird der Teil der Messe, in dem der Opfertod Christi vergegenwärtigt wird, „actio“ genannt - dies Leiden ist Tat. Und zwar Tat eines Hohenpriesters: mit Christus beginnt eine neue Art Wirklichkeit zu sehen. Christus stiftet Wirklichkeitserkenntnis durch ein Denken in Gegensätzen, die erst jenseits der Menschheitsgeschichte auf Aufhebung hoffen dürfen. Daß Jesus in Schweiß und Blut gebadet sein Leben am Kreuz verröchelte, ist wahr - daß er der Hohepriester war, der die Welt mit seinem Blut besprengte und mit frei erhobenen Armen „alles an sich zog“, ist ebenso wahr.

Der Ritus, auf den bezogen seine Jünger seinen Tod verstanden, aber war höchst konkret: es war einer der reichsten und weithin ausgefaltetsten Riten der alten Welt, es war das Rauch- und Brandopfer im Tempel, vollzogen von einer heiligen Priesterschaft vor dem Allerheiligsten, in dem die Schekina lagerte, die unsichtbare Gotteswolke, ahnbar gemacht durch die Weihrauchwolken, die die Luft schwerer und die Gottesanwesenheit durch ihren Appell an das feinste Sinnesorgan, den Geruch, unkörperlich und doch unabweisbar erfahren machen. Jesus hatte wiederholt im Tempel gebetet und auch seine Anhänger verließen den Tempel nur unfreiwillig und formten ihren Gottesdienst nach dem Vorbild der Riten und Zeremonien des Tempels, ja, man könnte sagen, daß der Tempeldienst, wie er sich seit dem Buch Leviticus, der liturgischen Schrift des Alten Bundes ausformte, nach dem Untergang des Tempels nur noch in der katholischen und orthodoxen Liturgie fortlebt. Aber eben anders verstanden werden will: in dieser neuen Durchsichtigkeit der physischen Zeichen auf die in ihnen enthaltenen zusätzlichen Wirklichkeiten. Dies ist der neue Antagonismus des Christentums: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis“, um es wieder mit Goethes Worten zu sagen - aber diese Fähigkeit Zeichen zu sein schwächt das Vergängliche nicht in seiner Wirklichkeit: nachdem Gottes Sohn Mensch wurde, hat die Materie eine neue Würde erhalten, die ihr eigenes Recht besitzt - sie weist über sich hinaus, aber sie ist selbst auch schon von Gotteswirklichkeit erfüllt - die Religion der Auferstehung des Fleisches kann kein Ideal in einer das Materielle überwindenden Geistigkeit sehen, sie erkennt nicht nur den Menschen, sondern auch die sogenannte tote Materie als Substanz für göttliche Inkarnationen an, so daß Wasser und Wind und Feuer zu Inkarnationen, und eben nicht nur zu über sich hinausweisenden Zeichen des Heiligen Geistes werden können. Dies ist die Ästhetik der katholischen Liturgie - die orthodoxe dabei niemals zu vergessen -: alles ist Zeichen und alles ist ganz real, alles ist nur Vorstufe und alles ist zugleich schon Erfüllung, alles ist Vergangenheit und alles ist Zukunft und beide fallen in der Gegenwart ununterscheidbar zusammen.

Der Tempeldienst der Juden war die Bundespflicht der Menschen und ist es geblieben, denn die Religion Jesu Christi schaffte nichts ab, sie war niemals „Reform“ im modernen Sinn. Aber er wurde nun mit dem ihm nach christlicher Überzeugung von Anfang zugedachten, in der Fülle der Zeiten offenbar gewordenen Sinn erfüllt. Wie das Opfer Christi auf Golgotha schon damals zugleich passio und actio war, wurde auch die Liturgie, die der Anamnesis dieses Opfers diente, jetzt mehreres auf einmal. Hinter dem Dienst der Menschen wurde nun dies Opfern, jedes Opfern der Weltgeschichte, auf das Opferhandeln Jesu bezogen: er war der wahre Handelnde der Liturgie, er bediente sich der Menschen hier nur als Medien. Die Liturgie stieg tief hinab bis zum Anfang der Zeit: sie feierte den Sonntag als Tag der Weltschöpfung; an Ostern vollzog sie Gottes Trennung des Lichtes von der Finsternis am ersten Schöpfungstag nach und heiligte das Wasser durch die Hauchung des Priesters, wie der Geist Gottes am Anfang auf den Wassern gelegen hatte. Sie übersetzte das blasphemische Geschehen von Golgotha in dessen Gegenteil, in höchste Sakralität, die grausige Abschlachtung in Vollzüge der Ehrfurcht, als gelte es immer aufs neue den Gottesmord gut zu machen, aber auch um die in ihm verborgene Wirklichkeit, die Herrlichkeit des Erlöserhandelns deutlich zu machen. Und sie blickte in die Zukunft, in die im liturgischen Buch des neuen Testamentes, der Geheimen Offenbarung geschilderte ewige Himmelsliturgie, die „Hochzeit des Lammes“, die Liturgie, die der Kosmos beständig feiert und zu der die Menschen mit ihren Festen nur hinzutreten. Deshalb tragen die Priester die Alle, das weiße Gewand der Männer, die den Gottesthron in der Apokalypse umstehen, deswegen wird das „Lamm Gottes“ in der Liturgie angerufen, hier hat der Weihrauch seine neutestamentliche Legitimation.

„Zum Raum wird hier die Zeit“ - dies Wort aus Wagners „Parsifal“, es bestätigt sich in der Liturgie, in der an einem Ort die verschiedenen Zeiten und sogar der Austritt aus der historischen Zeit und der Eintritt in die uns ewig begleitende Zeitlosigkeit erlebt werden will. Aber der Angelpunkt dieser stürmischen Zeitreisen ist doch immer das Kreuz; hier laufen die Strahlen aus Vergangenheit und Zukunft zusammen, und deshalb ist es auch von entscheidender Bedeutung, daß auf dem Altar ein großes Kreuz steht, das der Priester, während er seine Hände dem Handeln Jesu leiht, betrachten kann wie ein Sterbender, dem man, wie es früher üblich war, ein Kruzifix vor die Augen hält.“

Der ganze Text des Frankfurter Vortrags von Martin Mosebach ist unter dem Titel: „Das Paradies auf Erden - Liturgie als Fenster zum Jenseits“ in Ausgabe 2013/3 der Una-Voce-Korrespondenz erschienen, die sie über die Website der UVK beziehen können.

Zusätzliche Informationen