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Messandachten II

Die 52 Messandachten aus dem „Weltlicher Leute Messbuch“, die hier am 20. 7. vorgestellt wurden, gehen auf das „pastorale Wirken“ eines Landpfarrers zurück und richten sich erkennbar an eine weniger gebildete Gruppe von Gläubigen. Vielleicht sogar ganz bewusst an solche, die sich mit dem Lesen schwertaten – daher kurze Texte in großen Lettern. An eine etwas andere Zielgruppe richtet sich das 1752 in der kurfürstlichen Residenzstadt Mannheim gedruckte „Mess-Opfer Jesu Christi“ des Jesuiten Matthäus Vogel, zunächst Lehrer am Mannheimer Jesuitenkolleg und später erfolgreicher Volksmissionar. Es soll hier als Beispiel für einen zweiten Typ von Messandachten dienen

Vogel geht es darum, den Teilnehmern an der hl. Messe eine geistliche Verfolgung der Messe in den einzelnen Aktionen des Priesters zu ermöglichen – allerdings nicht im modernen Sinne einer historischen oder analytischen Darstellung der Gebete des Missales, sondern noch ganz in der Tradition der seit dem hohen Mittelalter dominierenden allegorischen Messerklärung. Die Allegorese parallelisierte den äußeren Ablauf der hl. Messe mit verschiedenen Stationen der Leidensgeschichte des Herrn und zeichnete so in allen Details nach, was heute mit dem modischen Ausdruck vom „Paschamysterium“ oft mehr vernebelt als erklärt wird.

In seinem ausführlichen Vorwort schreibt Vogel dazu:

Und eben deswegen ist meines Erachtens jene Weiß und Manier der Heiligen Meß beyzuwohnen, die allererste und führnehmste, welche da zeigt, wie man bei Anhörung derselben aus Beobachtung verschiedener Ceremonien des Priesters seine Gedancken auf die Geheimnussen des Leydens Christi wenden, und sich darbey in verschiedenen Tugenden üben könne; massen hierdurch das Haupt-Absehen der Heil. Meß, nemblich die Gedächtnus und Zueignung des blutiegen Creitz-Opffers am klärsten und leichtesten erlangt und erfüllt wird. Gegenwärtiges Buch enthaltet in sich eine dertgleichen Weiß und Manier: Dann hierin siehest du einerseits entworffen (=bildlich dargestellt) eine besondere Ceremonie des Priesters in der Heil. Meß, zugleich aber auch das Geheimnus, welches dardurch vorgestellt wird: andererseits ein kurtzes hierzu gerichtete Gebettlein. Eine Sach, welche nit erst neu erfunden, sondern vor alten Zeiten schon in Übung gewesen, gleichwie aus fast unzählbahren, vor mehr als hundert Jahren verfertigten Büchlein zu ersehen.“

Das Prinz sei an der Doppelseite 37 des Buches dargestellt. Im übrigen trifft es sich gut, daß eben jenes „gegenwärtige Buch“ des Matthäus Vogel komplett und mit allen Abbildungen auf archive.org als Facsimile einzusehen ist.

Links zeigt der Kupferschnitt die Szene am Altar – das Altarbild darüber zeigt als „Bild im Bild“ die entsprechende Szene der Leidensgeschichte. Rechts dann In Worten die Beschreibung beider Szenen: Der Priester ent-deckt den Kelch – Jesus wird seiner Kleideren beraubt. Dann das entsprechende Gebet:

„Christe Jesu, der du vor der schmertzhafften Geißlung dir deine Kleider ausziehen, und dich also im Angesicht der Gottlosen spöttlich entblössen lassen; gebe mir Gnad, damit ich durch aufrichtige Bekanntnis meiner Sünden den alten Menschen mit seinen Wercken ausziehe und niemahl bloß an Tugenden vor deinem heiligen Angesicht erscheine. Amen.“

Oder auf Doppelseite 41 zur Szene: Der Priester wendet sich zum Volck, und spricht: Orate fratres – Jesus wird dem Volck fürgestellt, mit denen Worten: Siehe, ein Mensch!

Gebet: Jesu Christe, du aller Ehr und Anbettung würdigster Sohn Gottes, der du mit einem Spott-Kleid angetan, dem Volk fürgestellt worden: verleihe mir, damit ich einstens mit dem Kleid deiner heiligmachenden Gnade angethan, vor dir meinem Richter erscheinen und also zur ewigen Anschauung deiner Majestät in den Himmel zugelassen werde. Amen.“

Zugegeben: Unser rationalistisches Zeitalter findet es problematisch, das tätige Mitfeiern und Miterleben der heiligen Messe auf eine letztlich so äußerlich erscheinende Weise am Ablauf der heiligen Handlung festzumachen, der jedenfalls historisch und genetisch betrachtet so keinesfalls zu erklären ist. Aber das ändert nichts daran, daß die eingesetzten Allegorien und vor allem die Gebete den Gläubigen, der sich ihrer Führung anvertraut, auf eine Weise zum Mitfeiernden machen, die mindestens ebenso tief und fruchtbringend erscheint wie das andächtige Mitlesen der Gebete des Priesters im Schott. Wir haben es hier mit einer wirkungsvollen Art von Inkulturation zu tun, bei der ein im Prinzip ja ohnehin mit de Mitteln des Verstandes nicht vollständig zu erfassender und abzubildender gottesdienstlicher Vollzug auf eine Ebene projiziert wird, die dem (religiös gebildeten!) Alltagsbewußtsein der Mitfeiernden leichter zugänglich war.

Für die schullehrerhafte Arroganz moderner Pastoralliturgiker, die sich oft genug damit zufrieden geben, allein auf der Ebene des Alltagsbewußtseins zu operieren, besteht also auch angesichts dieses Typs einer Messandacht nicht die geringste Rechtfertigung. Wer die Messgebete der allegorischen Messerklärung von Matthäus Vogel verwendet, kommt dem „Paschamysterium“ allemal näher als der Absolvent eines Seminars über die Mysterientheologie Odo Casels bei einem von dessen Epigonen.

Zum Schluss noch eine Randbemerkung zur uns heute befremdlich erscheinenden Gewandung des Messdieners auf den Kupferstichen: Der dienende Charakter dieser Funktion kam für die Menschen am Hof eines Kurfürsten der Barockzeit vermutlich am besten zum Ausdruck, wenn man den Ministranten nicht wie sonst vielfach üblich als (potentiellen zukünftigen) Kleriker auffasste, sondern in die Livree eines Bedienten steckte. Auch hier eine bemerkenswerte Probe von Inkulturation ante litteram.

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