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Warum es keine moderne Liturgie geben kann

Die übliche Begründung für liturgische Reformen beruht auf einer Denkfigur folgenden Musters: Liturgie und Kultur stehen historisch in einem engen Verhältnis und haben sich gegenseitig beeinflusst und geformt. Wenn also die Kultur sich wandelt, ist es unvermeidlich, daß auch die Liturgie Veränderungen durchmacht, um weiter dem Verständnis und dem Denkhorizont der Menschen zu entsprechen. Dem stellt der junge amerikanische Philosoph und Theologe Carl Wolk auf  dem Blog onepeterfive seine überaus ernst zu nehmenden Überlegungen entgegen, die in ihrer Radikalität letztlich auch die entscheidende Antwort auf die seit fast hundert Jahren diskutierte Frage geben: „Ist der moderne Mensch liturgiefähig?. Kleine Lesehilfe: Wo Wolk von „Natur“ und „natürlich spricht, meint er nicht die Natur als Gegenstand von Science, sondern im Sinne der traditionellen Theologie die letztlich von Gott gegebene natürliche Ordnung der Dinge. Doch nun zu seinem Text, den wir nur an zwei Stellen um hoffentlich entbehrliche denkhistorische Exkurse gekürzt haben.

Es beginnt ein langes ZitatIch behaupte, die Kultur hat sich nicht gewandelt; die Kultur ist zerstört worden. Wenn die frühere Kultur sich lediglich in eine andere Kultur transformiert hätte, hätte ich nichts gegen besonnene kleinere Inkulturationen einzuwenden. So ist es ja auch die ganze Geschichte hindurch gewesen. Aber Kultur im eigentlichen Sinne ist verschwunden, nur ein Leichnam ist übrig geblieben. Die Moderne bietet uns einfach nichts, das für die Liturgie brauchbar sein könnte. (…)

Plato könnte Christus angenommen oder abgelehnt haben – wir wissen es nicht. Aristoteles wäre vielleicht, nachdem er das Evangelium gehört hätte, Mönch geworden – wir wissen es nicht. Homer wäre vielleicht ein Bischof geworden, hätte er zur Zeit Christi gelebt – es gibt für uns keine Möglichkeit, das zu wissen. Aber wir wissen um die Begründer der Moderne. Sie standen in direktem Gegensatz zum Glauben, sie sind aus Irrlehre und Schisma hervorgegangen. Wir können die Altvorderen kritisch untersuchen und finden dabei Schätze von Gold und Silber, die es wert sind, gehoben zu werden, denn wir wissen, daß zumindest Teile ihrer Kultur in der Theorie offen gegenüber dem Glauben gewesen wären. An die Modernen können wir nicht in dieser Weise herangehen um nach hebenswertem Gold oder Silber zu schürfen, weil die Ursprünge der Moderne im Widerspruch zur Wahrheit des Glaubens liegen.

Natürlich gibt es auch in der modernen Welt Gutes und Wahres, aber dieses Gute und Wahre entspringt nicht der Modernität, jenem Geist, der die moderne Welt beseelt, denn dieser Geist hat sich stets zum Feind des Glaubens erklärt. Ob ein bestimmter moderner Philosop den Glauben nun explizit zurückweist oder nicht, so steht er doch stets in einer Denktradition, die den Glauben ablehnt. Deshalb war Inkulturation in einer vor-Christlichen Welt in einer Weise möglich, die in der nach-Christlichen Welt nicht mehr möglich ist, denn die erstere war nicht-christlich, während letztere anti-christlich ist.

Aber der Unterschied geht noch tiefer. Denn während die Altvorderen das (wahre) Übernatürliche nicht kannten, hatten sie doch zumindest einen gewissen Begriff vom Natürlichen. Ihre Priester mögen falsche Priester gewesen sein, die falschen Göttern opferten – aber sie hatten Priester und sie glaubten an Götter. Ihre Propheten mögen falsche Propheten gewesen sein, die die Zeichen falsch deuteten – aber sie hatten Propheten, und sie glaubten an Zeichen. Ihre Könige mögen falsche Könige gewesen sein, Tyrannen, die angemaßte Autorität missbrauchten – aber sie hatten Könige, und sie glaubten an Autorität.

Die Moderne hat demgegenüber weder richtige noch falsche Priester, weder richtige, noch falsche Propheten, weder richtige noch falsche Könige. Den Altvorderen mag die Gnade gefehlt haben, aber sie hatten doch die Natur, und obwohl diese Natur verwundet war, glaubten sie doch an die natürlichen Dinge. Der Moderne fehlt nicht nur die Gnade sie hat auch die natürlichen Dinge verloren; in ihren tiefsten Wurzeln lehnt sie sich sowohl gegen das Natürliche als auch gegen das Übernatürliche auf.

(Exkurs über William of Ockham und die Ausformung einer nominalistischen Theologie beginnend mit Luther und Calvin weggelassen)

Ein aktuelles Beispiel zur den Auswirkung des Nominalismus soll meine Position verdeutlichen. In der gegenwärtigen Debatte über die Ehe für Homosexuelle hat es im öffentlichen Raum offensichtlich keinen Sinn, sich auf die Offenbarung zu berufen, weil die Öffentlichkeit jede Möglichkeit einer Offenbarung zurückweist. Das ist natürlich eine Auswirkung des Nominalismus; es ist kein Zufall, daß der Zweifel an der Offenbarung unmittelbar nach Ausformung der ersten geschlossenen nominalistischen Theologie bei den Protestanten aufkam. Nun muß man einräumen, daß die Ehe nicht nur der übernatürlichen, sondern auch der natürlichen Ordnung angehört. Wir sollten also in der Lage sein, Nicht-Christen auf der Basis des Naturrechts zu überzeugen. Aber die Säkulare Kultur glaubt auch nicht an das Naturrecht, weil dieses teleologische Wurzeln hat. Das Naturrecht beruht auf der Anerkennung der Natur der Dinge. Der Nominalismus hat also gleicherweise die Möglichkeit zerstört, auf der übernatürlichen Ebene von der Offenbarung her und auf der natürlichen Ebene teleologisch zu argumentieren. Und genau das sind die Auswirkungen des Nominalismus im modernen Bewusstsein: Die Verneinung von Natur und Zielgerichtetheit.

Noch wichtiger für unsere Argumentation hier sind die Auswirkungen dieser Negation selbst. Was sich im Geist des Menschen befindet, nimmt Existenz in der Realität an durch seine Handlungen. Wenn der moderne Geist – um mit Hilaire Belloc zu sprechen – wie „Schlamm ist und unfähig, die rechten Unterscheidungen zwischen den Dingen vorzunehmen, ihre Natur zu erkennen oder wesensmäßige Zielgerichtetheit zu erkennen, dann wird sich das in seiner Realität widerspiegeln. Und so kommt es, daß das Wesen der Ehe, weil es im Geist des modernen Menschen keinen Platz hat, auch in der Realität nicht bestehen kann. Die „Schwuelenehe ist nicht eine verfehlte Art von Ehe, sie ist überhaupt keine „Ehe. Was im Geist keine Substanz hat, verliert auch seine Substanz in der Realität.

Wenn die ganze Weltsicht des modernen Menschen durch den Nominalismus und dessen Auswirkungen ihre Substanz verloren hat, so verliert auch die gesamte Kultur des modernen Menschen jede Substanz. Die wahren Gegenstände des menschlichen Wissens sind die Universalien, also das Wesen, die Natur, die Form der Dinge. Wenn der Nominalismus deren Existenz negiert, dann verfügt der nominalistische Geist nicht über unzureichendes Wissen, sondern über überhaupt kein Wissen. Und eine Kultur, die aus dem Geist dieses modernen Menschen hervorgeht, ist keine verdorbene Kultur, sondern überhaupt keine Kultur.

Deshalb können wir also nicht davon ausgehen, daß man der Moderne zwar da nicht folgen kann, wo wo es um Religion, um das Übernatürliche oder um Theologie geht, aber doch da, wo es um die Moral, um das Naturgegebene und das Philosophische geht. Ockham hat das Konzept der Natur zerstört – und damit hat er gleichzeitig auch die Kultur zerstört. Dieser große Zerstörer hat einen philosophischen Leviathan hervorgebracht, der seine Vollendung im intellektuellen Selbstmord des 20. Jahrhunderts findet.

Es gibt also keine Kultur. In die sich die Kirche inkulturieren könnte. Die alten liturgischen Zeichen waren im Natürlichen verwurzelt – alle neuen liturgischen Zeichen wären künstliche Erfindungen. Sie wären Produkte der nominalistischen Revolution. Wir können keine Formen finden, die den modernen Menschen ansprechen, weil die Formen im Geist des modernen Menschen keine wahren Formen sind. Sie sind Verwirrungen. In seinem Bewußtsein hat er Kant – aber wir können nicht in der Sprache von Kant zu ihm sprechen, weil die Sprache Kants falsch ist. In seinem Bewußtsein hat er evangelikalen Gottesdienst aber wir können nicht in der Sprache evangelikalen Gottesdienstes zu ihm sprechen, weil diese Sprache falsch ist. Die früheren Formen sind demgegenüber wahrhaft ewige Formen, weil sie als göttliche Gedanken im Geist Gottes existieren.

Wir haben das Falten der Hände als Zeichen der Unterwerfung unter Gott aufgegeben, weil es aus einer Feudalgesellschaft hervorgegangen ist, die nicht länger existiert. Aber womit ersetzen wir es? Es gibt nichts. Ich will nicht bestreiten, daß man auch andere Formen verwenden könnte als die, die in der überlieferten Liturgie gebraucht werden. Tatsächlich verwendet der Osten ja auch andere Formen als der Westen. Aber ich bestreite, daß es in der Gegenwart Formen gibt, die möglicherweise die gleiche Bedeutung hätten. Die Moderne glaubt nicht an Unterwerfung, an Gottesdienst, Hierarchie, Ordnung, Pflicht und Selbstzucht, und daher führt es in die Irre, nach modernen Zeichen für diese Dinge zu suchen, denn die Moderne kann solche nicht bieten. Indem sie die Natur gleicherweise verwirft wie die Übernatur, verwirft sie alles, was sonst seiner Natur nach in den Dienst der Liturgie gestellt werden könnte.

Wenn ein Katholik eine Kirche betritt und in seiner Bank Platz nimmt, beugt er kurz sein rechtes Knie vor dem König. Früher war die Logik dieses Verhaltens offensichtlich. Wenn wir uns vor einem irdischen König verbeugen oder niederknien – um wieviel mehr müssen wir uns dann vor dem König des Himmels niederknien oder verbeugen.Heute haben uns Ockham, Luther Locke und die anderen Revolutionäre zu unserem großen Schaden unsere Könige weggenommen. Man hat uns den Boden des Natürlichen unter den Füßen weggezogen, und nun sollen wir am Übernatürlichen festhalten, ohne dabei Unterstützung der Analogien zu finden, die in früheren Zeiten jedem Menschen einleuchtend waren.

Und doch sagen wir dem modernen Menschen nicht, er solle – statt nieder zu knien – mit der rechten Hand seinen Linken Fuß fassen und zweimal im Kreis herumhüpfen, bevor er in seine Bank geht. Wir sagen ihm das deshalb nicht, weil wir eben keine Nominalisten sind: Vor einem König niederzuknien war ein Ausdruck von etwas Wirklichem – vor ihm im Kreis herumzuhüpfen wäre etwas Unwirkliches gewesen. Der Symbolwert solcher Akte ist nichts Beliebiges, das lediglich vom kulturellen Umfeld verschiedener Menschen bestimmt wird. Symbole sind vielmehr im Natürlichen verwurzelt, und eine Zeit, die das Natürliche ablehnt, verliert die Fähigkeit, wahre Symbole zu schaffen, die auf mehr gegründet sind als auf einen bloßen Gesellschaftsvertrag.

Was also ist zu tun? Es gibt nur eine Möglichkeit: Wir müssen lernen, vor dem König des Himmels niederzuknien, ohne jemals vor einem menschlichen König gekniet zu haben. Die Liturgie war immer etwas fremdartiges, weil sie stets den Analogiesprung vom Menschlichen zum Göttlichen verlangte. Heute ist sie doppelt fremdartig. Heute hat uns die nachchristliche Gesellschaft die natürlichen Analogien für die übernatürlichen Dinge gestohlen, und deshalb wissen wir nicht mehr, warum wir knien, warum wir singen, warum wir Kerzen entzünden oder warum wir Weihrauch verbrennen.

Eben das ist die Herausforderung für den Katholiken im 21. Jahrhundert – und darin liegt auch eine große Freude. Wenn wir heute den Glauben entdecken, entdecken wir ihn so, wie ein neugeborenes Kind die Welt entdeckt. Wir glauben an Dogmen, nachdem wir nie etwas von Dogmen gehört haben. Wir feiern Liturgien, nachdem wir nie zuvor Liturgie gesehen haben. Wir gehorchen, nachdem wir niemals zuvor wahrhaft gehorsam waren. Nie zuvor existierte die Kirche in einer Zeit, in der die Kirche sich so verschieden von der Welt zeigte – und deshalb war sie auch nie zuvor in einer besseren Position, das Transzendente wahrzunehmen, als heute.

Schönheit mag nicht fähig sein, alle Menschen zu erlösen – Ehrfurcht hat diese Fähigkeit.

Um zum Anfang unserer Überlegungen zurückzukehren: Konnten wir die Liturgie verändern, um sie den Bedürfnissen des Menschen im Mittelalter anzupassen? Ja – und wir haben es getan. Aber können wir heute die Liturgie verändern, um sie den Bedürfnissen des modernen Menschen anzupassen? Nein – stattdessen müssen wir den modernen Menschen verändern, um ihn „liturgiefähig zu machen. Wir müssen alle lernen, wie man einen Treueid vor einem König ablegt, so daß wir unseren Bund würdig an der Kommunionbank erneuern können. Wir müssen lernen, wie wir Kerzen zu Ehren Unserer Lieben Frau in unseren Wohnungen anzünden, damit wir verstehen, was sie bedeuten, wenn wir sie auf dem Altar sehen. Wir müssen die Psalmen zum Sonnenaufgang in unserem Schlafzimmer beten, damit wir sie verstehen, wenn der Priester sie am Altar betet. Wir müssen für die Wiederkehr des Christentums beten und arbeiten, damit wir unsere natürlichen Analogien für die göttlichen Dinge wiedergewinnen.

Heiligung bedeutet in der modernen Welt – teilweise zumindest – die Überkrustungen der Modernität abzustoßen, mit denen wir uns ohne es recht zu merken umgeben haben. Wir müssen lernen, wieder so zu denken wie Juden des Altertums oder Bauern des Mittelalters. Daß wir anders denken als die Menschen der Vormoderne erschwert uns die Teilnahme an der Liturgie sehr, aber wenn wir das in Demut akzeptieren, kann das unser ganz spezifischer Anteil am Kreuz in der Gegenwart sein.

Inmitten der Ablenkungen unserer Smartphones, Blogs, Autos, Wolkenkratzer, Massenproduktion und allgegenwärtigem Marketing, müssen wir wieder Kontakt zum Wirklichen finden. Und genau das ermöglicht uns die überlieferte Liturgie. Diese Messe lehrt uns, daß elektrische Glühbirnen nicht das selbe sind wie Kerzen, Gitarren nicht das gleiche wie Choral und legere Geschäftskleidung nicht das gleiche sind wie Paramente.

Die moderne Welt bestreitet das Natürliche ebenso wie das Übernatürliche. Die überlieferte Liturgie hilft uns, beides wieder zu entdecken.

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