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Ankunft im Paradies

Der vorhergehende Beitrag berichtete von der Befreiung der Gerechten des Alten Bundes durch den Auferstandenen und ihren Aufbruch ins Paradies, beschrieben im apokryphen Nikodemus-Evangelium. Vom weiteren Weg, den der Erlöser mit den Freigekauften nahm, weiß die Apokryphe nichts zu berichten: Dieser Weg ist den Sterblichen unbekannt. Doch kaum hat die Prozession der Auferstandenen das Tor zum Paradies durchschritten, finden die Verfasser in der heiligen Schrift wieder Anhaltspunkte für eine lebhafte Ausmalung der Geschehnisse:

Als sie nun durch das Tor des Paradieses einzogen, kamen ihnen zwei Greise entgegen. Die heiligen Väter fragten sie: Wer seid ihr, daß ihr den Tod nicht gesehen habt und in den Hades nicht hinabgestiegen seid, sondern mit Leib und Seele im Paradiese wohnet?

Einer von ihnen antwortete: Ich bin Enoch, der Gottes Wohlgefallen erwarb und von ihm hierhin entrückt wurde. Und dieser ist der Thesbiter Elias. Wir sollen leben bis zur Vollendung der Welt. Dann aber sollen wir von Gott entsandt werden, damit wir dem Antichrist entgegentreten und von ihm getötet werden. Und nach drei Tagen sollen wir wieder auferstehen und auf Wolken dem Herrn entgegen entrafft werden.

Während sie so miteinander sprachen, kam ein anderer, ein unscheinbarer Mensch, der auf seiner Schulter auch ein Kreuz trug.

Ihn fragten die heiligen Väter: Wer bist du, der du das Aussehen eines Räubers hast, und was ist das für ein Kreuz, das du auf der Schulter trägst?

Er antwortete: Ich war, wie ihr sagt, ein Räuber und Dieb in der Welt, und deshalb ergriffen mich die Juden und überlieferten mich dem Kreuzestode zugleich mit unserem Herrn Jesus Christus. Als er nun am Kreuz hing, schaute ich die Zeichen, die geschahen, und glaubte so an ihn. Und ich rief ihn an und sprach:

Herr, wenn du herrschen wirst, dann vergiß mich nicht!

Und sogleich sprach er zu mir: Wahrlich, wahrlich, heute, sage ich dir, wirst du mit mir im Paradiese sein (Lk 23,43).

Mein Kreuz tragend, kam ich also zum Paradiese, fand den Erzengel Michael und sagte zu ihm: Unser Herr Jesus, der Gekreuzigte, hat mich hergeschickt. Führe mich also zum Tor des Gartens Eden! Und da das flammende Schwert das Zeichen des Kreuzes sah, öffnete er mir, und ich ging hinein. Dann sprach der Erzengel zu mir: Warte ein Weilchen! Denn da kommt auch der Urvater des Menschengeschlechts Adam mit den Gerechten, damit auch sie hier eintreten. Und da ich euch jetzt sah, ging ich euch entgegen.

Als die Heiligen das hörten, riefen sie alle mit lauter Stimme: Groß ist unser Herr, und groß ist seine Kraft!“

Bemerkenswert an dieser Erzählung sind – unter anderem – zwei Namen. Den einen, den sie benennt: Phlogine rhomphaia, das flammende Schwert: Das Attribut des Erzengels Michael wird ganz in der antiken Redeweise zu seinem Namen. Und dann der Name, der zwar nicht an dieser Stelle, aber im 10. Kapitel des Textes genannt wird: Dysmas, der gute Schächer. In den Evangelien erscheint er (ohne Namensnennung) nur bei Lukas. Ein weiteres Mal taucht er übrigens im sog. „syrischen Kindheitsevangelium“ aus dem 6. Jahrhundert auf, in dessen Mittelpunkt die mit zahllosen Wundergeschichten ausgeschmückte Flucht der heiligen Familie nach Ägypten steht. Ernstzunehmende Informationen sind diesem Text nicht zu entnehmen – er gibt allenfalls Zeugnis von dem frommen Wunsch der einfachen Leute in den christlichen Gemeinden, mehr vom Leben Jesu zu erfahren, als die Evangelien authentisch überliefern.

Eine dieser Geschichten ist unschwer als die in eine Romanze umgestrickte Novelle vom Goldenen Esel des Apuleius identifizierbar. Und eine andere läßt zwei Räuber auftreten, von denen der eine – dort Titus genannt – einer ihnen in die Hände gefallenen Gruppe von Flüchtlingen Barmherzigkeit erweisen will, wogegen sich der andere sträubt und von Titus/Dismas nur durch ein Bestechungsgeld von 40 Drachmen ruhiggestellt werden kann. Der kleine Jesus aber weissagt seiner Mutter:

In 30 Jahren, meine Mutter, werden die Juden mich in Jerusalem kreuzigen, und diese beiden werden mit mir gekreuzigt werden, Titus zu meiner Rechten und Dumachus zu meiner Linken, und nach diesem Tag wird Titus mir ins Paradies vorausgehen. Maria aber antwortete: Da sei Gott vor, mein Sohn.

Dem frommen Sinn der Gläubigen war es - und da lagen sie ja auch nicht ganz falsch - unvorstellbar, daß einer sein ganzes Leben hindurch ein Übeltäter gewesen wäre, und dann doch gerettet würde. Da mußte es doch einen guten Kern geben - von dem wir freilich nicht das geringste wissen. So halten wir uns also für den guten Schächer am besten an diese Kurzbiographie, die alles enthält, was sicher zu sagen ist: Er war ein Mörder und ein Dieb, aber zuletzt griff er sich das Himmelreich. Sein Feiertag in einigen Kirchen des Ostens wurde der 23. März.

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