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Trallala sollicitudini

Wie es scheint, hat es in den letzten hundert Jahren in der Kirche genau eine einzige lehramtliche Aussage mit unbedingter dogmatischer Geltung gegeben: Die Forderung nach „participatio actuosa“ der Gläubigen bei der Feier der heiligen Messe. Diese Formel wird gebetsmühlenartig wiederholt wo immer es darum geht, die Liturgie dem Geschmack des jeweils wortführenden Theologen, Ortsbischofs, Gemeindepfarrers, Vereinskaplans. Liturgieausschussvorsitzenden anzupassen – und jeder Widerspruch verstummt. Ob Konzilskonstitution über die Liturgie oder Einführung ins (neue) Missale Romanum in welcher Sprache auch immer – auch viele amtlichen Texte machen diese beiden Worte zum Dreh und Angelpunkt, der die Perspektive für alles andere vorgibt. Selbst dem Wortlaut nach so eindeutige Aussagen wie die Direktive „Schließlich sollen keine Neuerungen eingeführt werden, es sei denn, ein wirklicher und sicher zu erhoffender Nutzen der Kirche verlange es.“ (SC 23) werden zu Schall und Rauch, wo die „participatio actuosa“ es angeblich gebietet. Auch im Tradilager versäumen es die wenigsten, dem Gesslerhut die geschuldete Referenz zu erweisen – äußerstenfalls krittelt man ein wenig an Übersetzungen wie „aktive Mitwirkung“ herum: So sei das nicht gemeint gewesen.

Mag sein – aber meinem bescheidenen Sprachgefühl nach gibt es für „participatio actuosa“ ein breites Feld von Übersetzungsmöglichkeiten zwischen „tätiger Anteilnahme“ und „geschäftigem Mittun“ - der Übersetzer hat die Wahl, und weithin gilt: „traditore traduttore“. Mit Sprachkritik kommt man der Sache nicht bei.

Etwas mehr Klarheit bringt da schon der Blick auf das Dokument, dem das Schlagwort allgemeinem Verständnis nach entnommen ist: Das Motu proprio „Tra le sollicitudini“ des hl. Papstes Pius X. über die Kirchenmusik vom November 1903. Dort erscheint es recht bescheiden zum ersten Mal im dritten Absatz der Einleitung, ist keinesfalls als lehramtliche Aussage besonderen Gewichtes markiert und sagt nicht mehr, daß es das Anliegen des hl. Papstes ist, den wahrhaft christlichen Geist in den Gläubigen wieder zu erwecken, weshalb man für die Würde und Heiligkeit des Gottesdienstes sorgen müsse – aktive Teilnahme daran sei die erste und unentbehrliche Quelle dieses Geistes. Im Hauptteil des Dokumentes beschreibt der Papst dann im einzelnen, was man zur Würde und Heiligkeit des Gottesdienstes tun müsse, um den Gläubigen die aktive Teilnahme in seinem Sinne zu ermöglichen.

Der Text ist streng systematisch aufgebaut. Zunächst identifiziert er die Kirchenmusik als wesentlichen Bestandteil der feierlichen Liturgie, dann beschreibt es zunächst die allgemeinen Eigenschaften der Kirchenliturgie, vor allem: sie

muß heilig sein, daher muß alles Weltliche nicht allein von ihr selbst, sonderfn auch von der Art ihres Vortrages ferngehalten werden“.

Das ist hier zwar auch nicht als Dogma gekennzeichnet – das wiederholte „muß“ zeigt aber, welches Gewicht der Papst dieser Aussage beimisst – ganz im Widerspruch zu den Modernisten, die sich missbräuchlich auf ihn berufen, um das Gegenteil zu tun. Als weitere Eigenschaften beschreibt der Papst dann die Güte der Form und das Merkmal der Allgemeinheit. Also nichts mit Klampfenklimpern und Sacropop für 12-Jährige.

Im besonderen Teil wendet sich Pius X. dann verschiedene Arten der Kirchenmusik zu, wobei er dem Gregorianischen Choral ganz eindeutig den höchsten Rang zuweist: Er soll bei den gottesdienstlichen Funktionen umfangreich verwendet werden;

namentlich sorge man dafür, daß der Gregorianische Gesang beim Volk wieder eingeführt werde, damit die Gläubigen an der Feier des Gotteslobes und der heiligen Geheimnisse wieder tätigen Anteil nehmen“.

Hier haben wir zwar immer noch kein Dogma, aber doch einen klaren Hinweis darauf, was der Papst unter tätiger Anteilnahme versteht: Die Gregorianik, von den Kulturrevolutionären nicht nur in Deutschland weitgehend aus den Kirchen verbannt und durch NGL-Gefühligkeit ersetzt, ist kein Hindernis für participatio actuosa, sondern deren bevorzugtes Mittel. Ein Mittel freilich, das allen Beteiligten einige Mühe abverlangt und darüber hinaus noch nicht einmal reichliche Tantiemenflüsse für darbende Liedschaffende abwirft.

Den zweiten Rang weist Pius X. der klassischen Polyphonie zu, an dritter Stelle geht er sich mit einiger Zurückhaltung auf das Musikschaffen der Gegenwart ein.

Die Kirche hat allezeit den Fortschritt der Künste gefördert und begünstigt, sie lässt zum Dienste der Religion alles zu, was der Menschliche Geist im Lauf der Jahrhunderte an Gutem und Schönem hervorgebracht hat... Nun ist aber die neuere Musik in der Hauptsache im Dienste weltlicher Zwecke entstanden. Daher muß man hier größte Vorsicht walten lassen, daß solche Werke, die dem modernen Stil nicht anpassen, nichts Weltliches in die Kirche einschleppen, daß sie nicht an weltliche Motive anklingen, noch auch in den äußeren Formen den weltlichen Gesängen nachgebildet seien.“

Auch das ist nicht als Glaubenssatz formuliert und verkündet, sondern „nur“ die reiflich überlegte, wohl begründete und mit Nachdruck geäußerte Aussage eines Motu-Proprio, also eines vom Papst erlassenen Gesetzes für das Handeln der Kirche. Man kann dem mit Hinweis auf geänderte Zeitbedingungen widersprechen – viel Glück bei dem Versuch, diesen Widerspruch zu begründen. Man kann behaupten, dieses Gesetz von 1903 sei inzwischen durch andere Gesetze aufgehoben – das ist möglicherweise gar nichts aussichtslos. Aber was man nicht kann, ist die Autorität von Papst Pius X. und seinem Motu Proprio in Anspruch zu nehmen, um daraus einen Begriff von „participatio actuosa“ abzuleiten, der nachweislich allem widerspricht, was dieser Papst damit gemeint und gesagt hat. Trallala und Hoppsassa markieren den Einbruch einer „Lebenswirklichkeit“ in die Liturgie, die dort kein Recht hat - wohl aber, wie sich inzwischen erwiesen hat, die Kraft, alles in ihre Sphäre der Weltlichkeit herabzuziehen

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