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Kalenderreform und Tradition

Die neuerdings wieder diskutierte Frage des Ostertermins hat zwei Seiten, die des gemeinsamen Termins aller christlichen Kirchen und die eines festen Datums, das den weltlichen Kalender von dem Ärgernis gleitender Festtage mit unregelmäßigen Abständen zu weltlichen Terminen entlasten würde. Beide Aspekte zu vermischen, indem man einen gemeinsamen festen Ostertermin vorschlägt, macht die Dinge kompliziert bis unmöglich. Aber der Reihe nach:

Anders als Weihnachten, das stets auf den 25. Dezember fällt, hat Ostern hat im Jahreskalender keinen festen Termin – und kann diesen nach Ansicht vieler Christen und der gesamten Orthodoxie auch nicht haben – weil Ostern auf einen Sonntag fallen muß. Wochentage und damit eben auch die Sonntage haben aber prinzipiell keinen festen Tag im Jahr, und die Versuche diverser Revolutionskalender, ihren Platz zu fixieren, in dem man jedes Jahr mit einem Sonn- oder Montag beginnen lässt, hatten bislang keinen Erfolg. Die Kirche hat solche Versuche – zum letzten Mal übrigens auf dem 2. Vatikanum – stets abgelehnt, weil dadurch am Jahresende eine Reihe von Tagen „außer der Reihe“ entstehen und somit der siebentägige Zyklus der Woche aufgebrochen würde.

Außerdem kann Ostern aber auch nicht auf einen beliebigen Sonntag fallen, sondern fällt bisher zumindest stets auf den ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im astronomischen Frühjahr. Da der Mond aber zum Leidwesen aller Kalendermacher der vergangenen 5 Jahrtausende einen ziemlich krummen ungefähr-29-Tage-Zyklus verfolgt, kann der Frühjahrsbeginn ebenfalls in diesem Zeitraum von 29 bzw. 30 Tagen gleiten. Alles in allem also: ein ärgerlicher Programmierfehler der Schöpfungsordnung.

Für den Ostertermin bedeutet das, daß er (nach aktueller westlicher Rechnung) an jedes beliebige Datum des Zeitraums vom 22. März bis zum 25. April fallen kann, wobei die extremen Termine auch extrem selten vorkommen. Von dieser großen Schwankungsbreite her ist es auch problematisch, ein halbfestes Datum wie „2. Sonntag im April“ vorzuschlagen: Solche Sonntage können sowohl mehrere Wochen vor, aber auch in die 2./3. Woche nach dem Frühlingsvollmond fallen – jeder Zusammenhang mit der Ordnung der Natur und der Tradition von 2000 Jahren Christentum und dem vorangehenden jüdischen Brauch wäre aufgehoben. Daß die Kirchen der Orthodoxie einem solchen Vorschlag zustimmen könnten, ist es kaum vorstellbar.

Größere Aussichten zu einer Einigung innerhalb der Christenheit bestehen für die Bestimmung eines zwar nicht festen, aber gemeinsamen Ostertermins. Auch heute unterscheiden sich West- und Ostkirchen nicht theologisch in der Bestimmung des Ostertermins: Beide feiern den ersten Sonntag nach dem Frühlingsanfang. Die Differenz liegt darin, nach welchem Verfahren man den Frühlingstermin bestimmt: nach dem julianischen Kalender aus der römischen Kaiserzeit oder dem präziseren gregorianischen vom Ende des 16. Jahrhunderts. Je nach dem kommt man zu verschiedenen Daten, die sich um bis zu 4 Wochen unterscheiden können, wobei das orthodoxe Ostern immer nach dem westlichen liegt, falls es nicht mit diesem zusammenfällt.

Wenn man sich in dieser Sache trotz prinzipieller theologischer Übereinstimmung bisher noch nicht einigen konnte, spielen dabei gruppendynamische Faktoren eine wesentliche Rolle: So, wie viele Katholiken ihre Identität aus einem undifferenzierten Papalismus ableiten, bestimmen die meisten Orthodoxen sie aus einem ebenso undifferenzierten Anti-Papalismus. Und da die Anpassung des Kalenders an den tatsächlichen Gang der Gestirne seinerzeit von den Astronomen eines Papstes berechnet und durch päpstliche Autorität durchgesetzt worden war, ist es für viele Orthodoxe auch heute noch undenkbar, sich dem anzuschließen: Für sie erschiene das als schmähliche Unterwerfung unter einen zutiefst abgelehnten Machtanspruch.

Den Orthodoxen hierin entgegenzukommen, wäre katholischerseits durchaus möglich. Die Kirche könnte dem Osten durch ein Nachgeben beim Ostertermin signalisieren, daß dieser Machtanspruch zumindest in der Gegenwart eher in einer Imagination des Ostens als in den realen Verhältnissen besteht. Das Signal ginge aber noch darüber hinaus:

Die Kalenderreform des Papstes Gregor, so sinnvoll und „vernünftig“ sie auch war, entsprach dem Denken einer Epoche, in der man noch – zumindest als Fiktion – von einem bedeutenden Gleichklang von Kirche und Welt ausgehen konnte. Die Könige und Fürsten, so sehr sie sich bekriegen mochten, regierten ihre Völker doch allesamt „von Gottes Gnaden“, und der Träger des Triregnum erhob nominell immer noch den Anspruch, auch diesen Fürsten gegenüber die Stimme Gottes zu verkörpern. Und die Regierenden konnten sich auch noch dazu bereit finden, diesen Anspruch anzuerkennen – zumindest wo das ihren Interessen nicht zuwiderlief. Mit der Kalenderreform agierte zum letzten Mal eine durch und durch in der Welt verankerte, aber doch nicht restlos verweltlichte Kirche als die Kraft, die Vernunft und Fortschritt der Welt steuert – und die nicht von Fortschritt und Vernunft an den Rand gedrängt wird.

Für die Berechnung des Ostertermins von diesem 1582 noch möglichen Gleichklang zwischen Welt und Kirche abzurücken, wäre der Orthodoxie gegenüber ein starkes Symbol der Bereitschaft zur Überwindung von Trennendem. Gleichzeitig auch eine subtile Aufforderung, das eigene östliche Verhältnis zwischen Kirche und Welt kritisch zu überdenken. Gegenüber der eigenen westlichen Umwelt und Gesellschaft wäre es ein starkes Signal dafür, daß die Kirche sich nicht untrennbar mit einer immer zweifelhafter gewordenen „Fortschrittlichkeit“ verbindet, sondern auch da zu ihren ältesten Traditionen steht, wo diese der Welt unpraktisch und unvernünftig und daher störend erscheinen.

So spricht vieles für einen gemeinsamen Termin nach einer der traditionellen Berechnungsweisen, und die julianische wäre für die Katholiken heute ebenso akzeptabel, wie sie das vor tausend Jahren war.

Sich der von der Uno, Unternehmensberatern und der Tourismuslobby erhobenen Forderung nach einem festen Ostertermin anzuschließen, wäre ebenfalls ein starkes Signal, nur in der anderen Richtung. Und das nicht nur gegenüber der in dieser Sache absolut schwerhörigen Orthodoxie. Die Kirche würde damit vor der ganzen Welt proklamieren, daß der Gleichklang mit den Mächten dieser Welt ihr wichtiger ist als die Bewahrung ihrer ältesten Symbole, die eben nicht nur äußerliche Symbole sind, sondern Ausdruck einer wesensmäßigen Einbindung in die kosmische Ordnung der Schöpfung.

Und genau darum geht es in der an vielen Fronten stattfindenden großen Auseinandersetzung zum Beginn des 3. Jahrtausends.

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