Chaos im Feldlazarett
- Details
- 24. November 2015
In der vergangenen Woche hat Papst Franziskus wieder eine seiner extemporierten Reden gehalten, nach denen sich viele fragen, was er denn nun eigentlich sagen wollte. Insbesondere ermahnte er die Verantwortlichen für die Priesterausbildung, ein Auge auf die geistige Gesundheit der zukünftigen Priester zu haben:
Das ist interessant: Wenn ein junger Mann zu streng, zu fundamentalistisch ist, dann traue ich ihm nicht. Vielleicht steckt da irgend etwas in ihm, das er selbst noch nicht einmal weiß."
Daher sei es wichtig, daß die für die Priesterausbildung Verantwortlichen auch auf kleine Anzeichen geistiger Instabilität achteten. Zu große Strenge hindere den Priester daran, im Geist der Barmherzigkeit zu handeln.
Fr. Ray Blake von St. Mary Magdalen hat sich seine Gedanken über diese Rede gemacht - wir haben sie übersetzt:
In Frankreich gibt es eine kleine altrituelle Gemeinschaft von Schwestern, die das Down-Syndrom haben – die „kleinen Schwestern des Lamms“. Das ist eine der vielen Gründungen im Umfeld der Abtei von Fontgombault. Ich weiß nicht, ob es auch ähnliche Gemeinschaften nach dem Novus Ordo gibt. Irgendwie scheint der alte Ritus besonders geeignet, Leuten wie den Schwestern des Lammes entgegen zu kommen.
Früher konnten Menschen mit körperlichen oder gesitigen Behinderungen vielleicht nicht Chormönche oder Nonnen werden, dazu hätten sie Latein können müssen, aber wenn sie in der Lage waren, zu arbeiten, hätte man sie unter Umständen als Laienbrüder oder -schwestern aufgenommen. Die Veränderung kam mit der Erneuerung des Ordenslebens nach dem 2. Vatikanum. Heutzutage kommt man ohne anständigen Hochschulabschluss für viele Ordensgemeinschaften gar nicht in Betracht; und wer ein auffälliges Merkmal in seinem psychologischen Gutachten hat, das heute in allen Diözesen und den meisten Gemeinschaften obligatorisch zu sein scheint, wird ebenfalls höchst wahrscheinlich zurückgewiesen.
Es scheint, daß eines der Vergehen, dessen sich einige neue traditionsorientierte Gemeinschaften und einige traditionsorientierte Diözesanbischöfe schuldig gemacht haben, darin besteht, daß sie neue Mitglieder der Gemeinschaft oder Seminaristen nicht genügend „durchleuchtet“ haben. Anscheinend ist das einer der Gründe dafür, daß der Heilige Vater einige der Tradition geneigte Bischöfe zum Rücktritt aufgefordert hat, und das ist möglicherweise auch einer der Gründe für das, was man als die „Verfolgung" der Franziskaner der Immakulata bezeichnet hat. Jedenfalls ist die große Anziehungskraft für Berufungeen etwas, was die gefeuerten Bischöfe und die Franziskaner der Immakulata gemeinsam haben. Ich frage mich, ob sie nicht oft die Schwelle zu weit abgesenkt haben – gerade so, als ob sie glaubten, eine religiöse Gemeinschaft sei ein „Feldhospital“. Als ob sie glaubten, daß in einer Umgebung, die auf Frömmigkeit und Heiligung ausgerichtet ist, ein potentielles Ordensmitglied mit offenem Geist und Herzen tatsächlich Frömmigkeit und Heiligung erlernen könnte.
Im Gegensatz dazu sieht der Papst das Priestertum stets von der Funktion her, und zwar stets von der pastorale Funktion. Ich bin mir nicht sicher, ob er es akzeptiert, daß man auch auf andere Weise Priester oder Ordensmitglied sein kann – etwa als in Klausur lebender Kontemplativer, der für die Welt betet, oder als Wissenschaftler – denen gegenüber hat er sich oft genüg recht unfreundlich geäußert – oder als Lehrer oder als Kanonist. In einigen deutschen Diözesen setzt man Priester sehr gerne als Finanzberater eines Gremiums ein oder als Ethik-Ratgeber in einem Krankenhaus ein. Der hl. Paulus erinnert uns daran, daß es wohl verschiedene Talente gibt, aber alle in dem einen Geist.
Wer heute ins Seminar geht oder sich einer Ordensgemeinschaft anschließt, ist vermutlich mehr als früher in irgend einer Weise geschädigt. Sie kommen kaum noch aus intakten Familien, hatten möglkicherweise schon irgendwelche sexuellen Erfahrungen, höchstwahrscheinlich Erfahrungen mit Pornografie. Während sie in der Vergangenheit vielleicht ein wenig „exzentrisch“ oder „schwierig“ gewesen sein mögen, neigen sie heute vermutlich in einem gewissen Grad zu einem leichten Autismus oder einer anderen Entwicklungsstörung. „Störung“ ist wohl der Begriff, auf den es hier ankommt.
Es kann schwerlich überraschen, daß Menschen, die „schlechte Erfahrungen“ mit der Welt gemacht haben, nach Seminaren oder Gemeinschaften verlangen, die einen Gegenentwurf zu solchen Erfahrungen bieten. Eine streng abgeschlossene Gemeinschaft zieht Menschen an, die sich zumindest von Teilbereichen der Gesellschaft absetzen wollen. Sexueller Missbrauch in der Kindheit kann die Anziehungskraft einer solchen Gemeinschaft verstärken, ein abhanden gekommenes Elternteil kann jemanden dazu motivieren, nach einer Gemeinschaft mit einem menschenfreundlichen und liebevollen Oberen zu suchen. Ich erinnere mich an einen Konvertiten, der einmal sagte, es habe ihn an der Katholischen Kirche ganz besonders angezogen, daß er einen Priester mit „Father“ ansprechen könne.
Die aktuellen psychologischen Tests werden so jemanden wahrscheinlich als „Hochrisiko“ einstufen. Wenn sich in einer solchen Biografie dann auch noch Elemente von „Selbstbeschädigung“ finden, gehen noch mehr Warnlichter an.Selbst der Tradition zugeneigte Katholiken sehen in einer Hochschätzung des Fastens oder einem Verlangen nach körperlichen Bußübungen kaum noch Attribute der Heiligkeit, aber wahrscheinlich sind traditionelle Gemeinschaften weniger geneigt, sie gleich als Krankheitssysmptome zu deuten.
Ich frage mich, ob Theresa von Avila mit ihrer psychischen Entwicklung heute überhaupt noch Aufnahme in einem Orden gefunden hätte. Wenn eine Bewerberin heute davon spräche, sie sei „von Gott überwältigt“, würden ihr die meisten Betreuer wohl eher eine Langzeit-Psychotherapie empfehlen. Und was Franziskus von Assisi betrifft, oder die hl. Katherina v. Siena, oder gar den Pfarrer von Ars... In der Vergangenheit galt die Bewältigung von „Störungen" als Quelle der Heiligkeit – heute werden sie medikamentiert.
Die Frage, die der hl. Vater aufwirft, läuft darauf hinaus, ob eine Mensch mit einer „Störung“ eine Berufung haben kann oder nicht. Ich vermute, daß er darauf antworten würde: „Das ist unmöglich“. Die traditionelle Antwort wäre: Ja – aber in einer geeigneten Umgebung und mit geeigneter Unterstützung. Jemand mit pädophilen Neigungen sollte niemals mit oder auch nur in der Nähe von Kindern tätig sein – aber wenn sie hinter den Klostermauern den Garten oder die Finanzen pflegen, können sie sehr wohl ihren Weg zur Heiligkeit finden. Und wenn sie dann im Alter neurotisch werden und Abt oder Äbtissin und überhaupt allen im Kloster zunehmend zur Last werden, gibt das auch allen anderen die Gelegenheit sich in heroischem Maß der Heiligkeit zu üben. Nur sollten sie nicht selbst Obere werden, bevor sie Heilige geworden sind.