Die Wiederkunft
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- 29. November 2015
Der Advent hat seit Alters her einen Doppelcharakter; er dient der Vorbereitung auf die Feier des ersten Kommens Christi in Bethlehem ebenso wie dem Hinblick auf die zweite Wiederkunft als Weltenrichter am Ende der Zeit. Dieser Doppelcharakter ist auch im Missale des Novus Ordo erhalten geblieben – einschließlich des apokalyptischen Ausblicks auf die letzten Tage im Lukasevangelium, der heute noch im „Lesejahr C" vorgetragen wird. Und doch läßt sich im Proprium des 1. Adventssonntags ein überaus charakteristischer Unterschied im Glaubensverständnis vor und nach der Reform feststellen.
Die Oratio im überlieferten Ritus ist ein typischer Vertreter des knappen römischen Geistes, der den Kern der Sache ins Auge fasst und sich ihm ohne Umschweife zuwendet:
Biete Deine Macht auf , oh Herr, und komm, wir bitten Dich: dann werden wir aus den Gefahren, die uns wegen unserer Sünden drohen, durch deinen Schutz entrissen und durch Deinen Freikauf erlöst.
Das Tagesgebet im NO macht – bereits auf Latein, noch mehr aber in der deutschen Fassung – deutlich mehr Worte:
Herr unser Gott, alles steht in deiner Macht, du schenkst das Wollen und das Vollbringen. Hilf uns, daß wir auf dem Weg der Gerechtigkeit Christus entgegengehen und uns durch Taten der Liebe auf seine Ankunft vorbereiten, damit wir den Platz zu seiner Rechten erhalten, wenn er wiederkommt in Herrlichkeit.
Unter den vielen Worten fehlt freilich das eine Wort „Sünde", das in der überlieferten Form eine zentrale Stellung einnimmt. „Wegen unserer Sünden" sind wir in Gefahr des (ewigen) Todes – und deshalb ist Christus gekommen, uns zu beschützen und zu erllösen. Dieser Zusammenhang bleibt in der modernen Form im Ungewissen verschleiert, und wo man von der Sünde schweigt, muß man auch von der Erlösung nicht reden. Statt dessen ist von unserer „Eigenleistung" die Rede, wir gehen Christus entgegen und bereiten uns so auf seine Wiederkunft vor, daß wir dann einen „Platz zu seiner Rechten erhalten"
Diese Akzentverschiebung ist etwas irritierend, aber nicht illegitim. Der Aspekt der „Eigenleistung" gehört ja dazu, damit Erlösungstat und Erlösungswille Christi bei allen wirksam werden können. Das ist in der überlieferten Form im Begriff der Gefahren, „die uns wegen unserer Sünden drohen", zwar implizit enthalten – darauf explizit einzugehen wäre sicher kein Fehler, würde das Gewicht nicht durch den Wegfall des Begriffs „Sünde" allzusehr in die entgegengesetzte Richtung verschoben.
Dabei hält sich die deutsche Fassung hier gegenüber der Lateinischen noch wohltuend zurück. Dort heißt es nämlich:
Da, quaesumus, omnipotens Deus, hanc tuis fidelibuis voluntatem, ut, Christo tuo venienti iustis operibus occurentes, eius dexterae societati regnum mereantur possidere caeleste.
„Durch Werke der Gerechtigkeit" Christus entgegengehen und so „verdienen, Gefährten zur Rechten seines Reiches" zu werden – das klingt verdächtig nach jener „Werkgerechtigkeit", die die Reformatoren der Kirche seinerzeit vorwarfen, obwohl die Tradition – siehe oben die Oratio in der überlieferten Form – sich diesem Mißverständnis stets entgegengestemmt hatte. Immerhin: Wer tatsächlich nach Indizien für „Semipelagianische" Tendenzen" sucht, könnte hier fündig werden.