Rechtes Verständnis der Liturgie
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- 04. Dezember 2015
Die Diskussion um die Karfreitagsfürbitte geht weiter. Fr. Hunwicke hat in diesem Zusammenhang auf einen Vortrag von Erzbischof Hilarion vom Moskauer Patriarchat hingewiesen (), in dem zum Verhältnis von Liturgie und Glaube unter anderem folgendes ausgeführt wurde:
Eine andere Scheidung ist zwischen Liturgie und Theologie zu erwähnen. Für einen Orthodoxen Theologen sind die liturgischen Texte nicht nur das Werk hervorragender Theologen und Dichter, sondern auch die Frucht der frommen Erfahrung jener, die zur Heiligkeit und zur theosis gelangt sind. Die theologische Autorität liturgischer Texte ist meiner Ansicht nach höher als die der Werke der Kirchenväter, denn nicht alles in deren Wserken ist von gleichem theologischen Wert und nicht alles ist von der Kirche in ihrer Gesamtheit übernommen worden. Liturgische Texte demgegenüber werden von der ganzen Kirche als eine „Regel des Glaubens" (kanon pisteos =? regula fidei) angenommen, weil sie überall und über viele Jahrhunderte in Orthodoxen Kirchen gelesen und gesungen worden sind. (...)
Die lex credendi erwächst aus der lex orandi, und Dogmen gelten als göttlich offenbart, weil sie vom Gebetsleben getragen und der Kirche durch ihren Gottesdienst kund gemacht sind. Wenn also Divergenzen im Verständnis eines Dogmas zwischen einer bestimmten theologischen Autorität und liturgischen Texten auftreten, neige ich dazu, letzteren den Vorzug zu geben. Und wenn ein Lehrbuch der Dogmatik andere Ansichten enthält als man sie in den liturgischen Texten vorfindet, so ist es das Lehrbuch und nicht die Liturgie, das der Korrektur bedarf.
Noch wesentlich weniger zulässig ist es nach meiner Ansicht, liturgische Texte nach zeitbedingten Normen zu korrigieren. Erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit hat die Römisch Katholische Kirche sich entschlossen, einige als „antisemitisch" bezeichnete Texte aus dem Gottesdienst des Karfreitag zu streichen..."
Diese Ausführungen des „Außenministers des Moskauer Patriarchats" provozieren einen Vergleich zu den Abschnitten 247 – 249 der Enzyklika Mediator Dei von Papst Pius XII. Die dort vorgetragene Lehre hat zwar gewisse Überschneidungen mit oder Parallelitäten zu der von Hilarion vorgetragenen Position – nimmt aber in letzter Konsequenz eine deutlich andere Position ein. Sie erkennt zwar die Liturgie als eine theologische Quelle zur Schöpfung von Glaubenswahrheiten an – die Liturgie ist dies jedoch „nicht aus eigener Autorität", sondern deshalb, „weil sie ein stets dem obersten kirchlichen Lehramt unterstelltes Bekenntnis der übernatürlichen Wahrheiten ist... Wollen wir aber das Verhältnis zwischen Glauben und Liturgie in allgemein und unbedingt gültiger Form genau erfassen und abgrenzen, so kann vollkommen richtig gesagt werden: „Lex credendi legem statuat supplicandi, durch das Gesetz des Glaubens soll das Gesetz des Betens bestimmt werden". (249)
Demenstsprechend kann die Liturgie auch von der Hierarchie in einem in Mediator Dei nicht näher definierten Rahmen auch jederzeit geändert werden. Voraussetzungen und Konsequenzen dieser Position bedürfen sicher im Licht der Erfahrungen der letzten 6 Jahrzehnte einer kritischen Würdigung. Zumal inzwischen selbst Erscheinungen wie Die Lebenswirklichkeit oder Die Armen als Quellen der Offenbarung im Gespräch sind.
Zur Sache „Karfreitagsfürbitte" selbst ist folgendes anzumerken: Die von Papst Benedikt vorgenommene Änderung des Gebetes wahrt unbestreitbar die Übereinstimmung mit dem traditionellen Glaubensinhalt, so wie er auf den Brief des Apostels Paulus an die Korinther, 3.12-16 zurückgeht. Auch eine solche „redaktionelle" Änderung unter Druck von Außen ist nicht unproblematisch, kann aber möglicherweise unter dem Aspekt sinnvoll sein, letztlich unnötige Missverständnisse oder Missdeutungen zu vermeiden. Bei der im Missale von 1970 gebrauchten Form ist die Übereinstimmung demgegenüber fraglich – hier könnten sich modernistische Ansichten „theologischer Autoritäten" in den Vordergrund gedrängt haben.