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Maria, sündenlos empfangen

Die apokryphen Schriften des Frühchristentums wissen viel über Kindheit, Jugend und das ganze Leben der hl. Gottesmutter zu berichten - einiges davon ist über die Werke der Kirchenväter auch in die Predigt und den Volksglauben bis zum Beginn des 20. Jahrunderts eingegangen.  Bildliche Darstellungen zu diesem Themenbereich erfüllten wohl oft schon zu ihrer Entstehungszeit nicht gerade die Ansprüche eines gehobenen Geschmacks. In der Kirche der Gegenwart spielt das Thema praktisch keine Rolle. Das Dogma von der unbefleckten Empfängnis wird von den Gläubigen ohne große Begeisterung hingenommen, oft besteht Unklarheit über seinen Inhalt. Den Ungläubigen ist es noch nicht einmal die Mühe der Verspottung wert.

Eine interessante Ausnahme stellt der katholische Schriftsteller Franz Michel Willam dar Er widmet in seinem 1936 erschienen Buch Das Leben Marias der Mutter Jesu ein ganzes Kapitel der Frage, was das wohl für einen Menschen bedeutet haben mag, in einer Welt, die ganz den Folgen der  Erbsünde unterworfen ist, als einzige frei von Schuld und Sünde zu leben.

Maria lebte in einer Einsamkeit, für die die Einsamkeit eines Kindes, das unter lauter Erwachsenen aufwächst, ein zwasr schwaches, aber immerhin doch brauchbares Gleichnis darstellt. Maria, die Begnadete, lebte nämlich, um beim Bilde zu bleiben, als höchstes und vollkommenstes Kind Gottes unter lauter Menschen, die der Gotteskindschaft verlustig gegangen und mehr oder weniger der Sünde verfallen und den bösen Neigungen asgeliefert waren. (...) Alle diese Menschen lebten in den Augen Marias in einer Welt, zu der sie selber keinerlei Verhältnis besaß. ... Sie konnte, menschlich gesprochen, ja überhaupt nicht begreifen, wieso nur die Menschen sündigen, und die Sünde, wenn es nicht gerade ungewöhnliche Gräueltaten waren, als etwas zu ihnen Gehöriges und gleichsam 'Natürliches' empfanden.

Die Schweigsamkeit, die an Maria später immer wieder wahrgenommen und vom Evangelisten ausdrücklich hervorgehoben wird, war also in doppelter Hinsicht eine natürliche Folge der Stellung Marias unter den Menschen, die sie umgaben. Ihr besonderes Verhältnis zu Gott zwang sie zum Schweigen über ihre religiösen Verhältnisse. Ihr besonderes Verhä#ltnis zur Sünde versiegelte ihr den Mund noch ein zweites Mal. Niemand musste soviel wie sie schweigen und verschweigen. Niemand konnte aber auch so gut wie sie die Geheimnisse 'im Herzen bewahren'.

Eine Frage für sich ist wieder, wie die anderen Menschen dieses Besonderssein Marias empfunden und wie sie sich zu ihr verhalten haben. Stellt man sich die Enge einer orientalischen Stadt und die Lebhaftigkeit ihrer Bewohner vor, so beschleicht einen freilich ein wehmütiges Grauen. Der größte Teil der Nachbarinnen - für Maria kamen im Verkehr nur Frauen in Frage - hat wohl das Besonderssein Marias gefühlt, aber nichts von jener Liebe und Herzensweite besessen, die ihr in so reichem Maße eigen war. Leute aus dem Volk greifen aber in dieser Lage immer zu demselben Auswege: Ist jemand in ihrem Lebensbereiche nicht so wie sie, ist er anders, besser als sie, so wird er mit dem Hinweis gerichtet und vernichtet, daß er stolz und hochmütig sei, sich alles mögliche einbilde und sich für zu gut halte, mit den gewöhnlichen Leuten zu reden.

Maria, die Demütigste von allen, ist wohl mehr als einmal in ihrem Leben als die Hochmütigste von allen, als eine 'Schande für das Haus David' bezeichnet und auch dementsprechend behandelt worden.“

Stark gekürzt aus F.M. Willam, Das Leben Marias der Mutter Jesu, Freiburg 1936, S. 12 - 18.

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