Bereichsnavigation Themen:

Das Geheimnis der Menschwerdung

Relief aus dem 12. Jh. an der Kathedrale von Arles, Photo von Juliana LeesDem Hymnarium und summorum-pontificum.de, die bekanntlich nahe miteinander verwandt sind, gelang in diesen Weihnachtstagen ganz unbeabsichtigt eine Demonstration, wie theologische und dogmatische Gegenpositionen sich im Lauf der Zeit entschärfen lassen – wenn nur die Liebe zu Christus, dem Mensch gewordenen Sohn des dreieinigen Gottes, gemeinsames Hauptelement auf beiden Seiten ist.

Das Hymnarium präsentiert – so geplant von René Strasser -– zu Weihnachten den Hymnus Verbo verbum virgo concipiens des Theologen, Philosophen und Dichters Abælard. Petrus Abælardus war eine der umstrittensten und streitlustigsten Gestalten des an strittigen Persönlichkeiten nicht armen 12. Jahrhunderts. In meisterlichem Latein gelingt es ihm, eine Brücke zwischen der Idylle im Stall und der Theologie der Inkarnation zu schlagen. Und dabei greift er ganz massiv auch noch in eine theologische Streitfrage ein, die den Theologen seiner Zeit nicht wenig zu schaffen machte und die noch auf Jahrhunderte als unentschieden gelten sollte.

Zu reden ist von dem Bad des Jesuskindes, das in unserem Krippenbild von Buoninsegna unübersehbar im Vordergrund stattfindet – auch wenn davon anders als bei der gleichrangig dargestellten Anbetung der Hirten im Evangelium keine Rede ist. Demgegenüber hatte Abælard etwa ein Jahrhundert früher in der 5. und 6. Strophe seines Weihnachtshymnus mit streitlustiger Entschiedenheit geschrieben:

Helferinnen und Hebammen gabs hier nicht... Möglichkeit zum Baden fehlte schlicht – Schmutz und Flecken abzuwaschen gab's ja nicht.

Gut möglich, daß er sich dabei genau auf das zu seiner Zeit entstandene oben abgebildete Relief aus der Kathedrale von Arles bezog.

Abælard ist hier Vertreter der seit der Lateransynode von 649 – freilich lange nicht konkurrenzlos - hochgehaltenen Lehre von der immerwährenden Jungfräulichkeit der heiligen Gottesmutter Maria vor, während und nach der Geburt. Diese von den meisten Kirchenväternb geteilte Ansicht stützt sich nicht zuletzt auf die Überlegung, es sei nicht anzunehmen, daß die frei von Erbsünde Empfangene unter der Strafe für Evas Schuld leiden sollte, oder daß der Herr der Barmherzigkeit seiner Mutter beim Eintritt in die Welt Schmerzen zugefügt hätte. Problematisch konnte diese Ansicht da erscheinen, wo sie in unangemessener Weise konkretisiert wurde und zu Theorien führte, daß der Christus auf überirdischeWeise aus dem unversehrten Leibe der Mutter hervorgetreten sei. Hier lag die Gefahr in der Luft, die wahre Menschlichkeit des Gottessohnes aus dem Blick zu verlieren und genau das war der Streitpunkt.

Schon früh bildete sich daher eine Gegenposition, die Wert darauf legte, daß die Geburt des Gottmenschen nicht in einer Weise vorgestellt wurde, die sich allzusehr von der anderer Menschenkinder unterschied. Einer der bedeutendsten Vertreter dieser Position, die die Natürlichkeit dieses Geburtsvorganges betonte und die Jungfräulichkeit allein vor und nach der Geburt anerkennen wollte, war übrigens Thomas von Aquin, der etwa ein Jahrhundert nach Abælard lebte. Seine Ansicht spiegelt sich in dem Bild Buoninsegnas getreulich wider: Das Jesuskind als wahrer Mensch wurde geboren wie alle anderen Menschen auch und bedurfte deshalb nach der Geburt des reinigenden Bades.

Es ist leicht einzusehen, daß die weniger erleuchteten Vertreter dieser Ansicht in die Gefahr gerieten, die göttliche Natur Christi in den Hintergrund treten zu lassen und gar in die Irrlehre des Arius zu verfallen, der diese Göttlichkeit leugnete. Genau darum ging es in einem in der Scholastik seit dem 10. Jahrhundert ausgetragenen Streit, in den sich Abelard mit seinem Hymnus auf die entschiedenste Weise einschaltet – so wie später dann Buonisegna mit seinem Gemälde auf der anderen Seite.

In den Kirchen des Ostens neigt man übrigens bis in die Gegenwart der Ansicht des Thomas von Aquin zu, freilich ohne diese formell zu dogmatisieren. Von dort her sind in der Tradition sogar die Namen der beiden Hebammen überliefert: Zelomi und Salome. Um sie hat sich ein auch im Westen nicht unbekannter Kranz von Legenden gebildet, die versuchen, das Geheimnis der jungfräulichen Geburt zu „rationalisieren". In vielen Bildern wird die überaus populäre Badeszene sogar zum eigenständigen Thema gemacht – in anderen ist sie nur in verschlüsselter Form enthalten In einigen Krippendarstellungen vertreten Engel die Rolle der Hebammen. Oft ist das Bad überhaupt nur angedeutet, wenn Mägde mit großen Wasserkrügen im Bild erscheinen oder der hl. Josef, der bei Buionisegna übrigens betont außerhalb steht, mit der Erwärmung des Badewassers betraut wird.

Den ganzen Hintergrund und auch die bei Abælard erkennbare Emotionsgeladenheit des hier über die Badewanne ausgetragenen Streites versteht man wohl erst im Blick auf die damalige Lebenswelt. Der Vorgang der "jungfräulichen Geburt" stellte für die Menschen des Mittelalters, die oft genug erlebt hatten wie Mütter, Frauen oder Schwestern im Kindbett gestorben waren, ein großes Problem dar. Hier die Erfahrung aus dem Alltag und die Anforderungen des unverfälschten Glaubens miteinander zu verbinden, war keine Kleinigkeit. Und aus dem Nachwirken der Erfahrungen aus dem arianischen Schisma erklärt sich dann die Schärfe des Streits – sie reicht bis zur gegenseitigen Häresieanschuldigung – mit der sich die Vertreter der beiden Richtungen bekämpften. Auch der Weihnachtshymnus des Abelard lässt diese Schärfe erkennen. Er ist, wenn man denn diese Parallele ziehen will, durchaus ein hochmitelalterliches Gegenstück zu den „politischen" Predigten von heute: Ein (kirchen)politischer Hymnus.

Die Ironie bei der ganzen Sache liegt freilich darin, daß der streitbare Abælard, der des öfteren in Häresieverdacht gebracht wurde und eine seiner Schriften auf dem Konzil von Sens (1141) selbst verbrennen mußte, hier von der seitherigen Entwicklung nachdrücklich bestätigt worden ist: Spätestens mit der im Katechismus von Trient (Kap 164) auch als Glaubenssatz festgestellte Lehre hat die Jungfrauenschaft Mariens vor, während und nach der Geburt den Status eines Dogmas – in dieser Form hat sie Papst Pius XII. 1951 im Zusammenhang mit der Dogmatisierung der unbefleckten Empfängnis in der apostolischen Konstitution „Munificentissimus Deus" erneut ausgesprochen.

Möglich war diese Dogmatisierung wohl erst, nachdem das Bedürfnis, die Glaubenswahrheiten alllzu konkretistisch mit Vorstellungen aus dem Alltagsleben zu verbinden, schwächer geworden war. Kein Bad! Keine Hebammen! - das sind nicht mehr Kampfesrufe und Banner, unter denen sich heute die Rechtgläubigen versammeln müssen. Der Streit um die Verbindung von Lebenswelt und Glaube ist an anderen Fronten zu führen.

Zusätzliche Informationen