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Zukunft ohne Tradition?

Bild: DomradioDie Kirche des Westens, insbesondere ihr bei allem weltlichem Reichtum geistig und geistlich ausgetrockneter Zweig in Deutschland, steht seit sechs Jahrzehnten in einem unerbittlichen Krieg gegen die eigene Tradition. Wenn es die Absicht ihres Leitungspersonals gewesen sein sollte, diesen Zustand der Ödnis in der Architektur und innenausstattung der im vergangenen Mai eingeweihten Neuen Propsteikirche Leipzig bildhaft auszudrücken, so ist das überzeugend gelungen: Da ist nichts mehr, was über die nackte Lebenswelt der Gegenwart hinausweisen könnte. Selbst das Kreuz der Erlösung wird entpersonalisiert und erscheint nur noch wie ein Firmenlogo. Der Bildersturm als höchstes Ideal sakraler Kunst - oder gebaute Häresie? Die Amträger aus Politik und Gesellschaft und die Kunstwelt gaben sich angesichts des in Leipzig entstandenen blassen Aufgusses von Architektur der 70er Jahre begeistert und lobten die Zeitgemäßheit des Baus. Die (wenigen) Katholiken der Stadt waren eher verstört, ihre Bedenken und Einwendungen wurden jedoch wie üblich von den Anhängern des Fortschrittsglaubens rücksichtslos übergangen.

Bild: Panoramio

Im vergangenen Dezember wurde in der südwestlichen Moskauer Trabantenstadt Yasenowo eine Kirche eingeweiht, die Selbstbild und Glaubensgeist der russischen Orthodoxie ausdrückt. Die „Kirche des Schutzes der Gottesmutter“ (Pokrova Presvete Bogorodice) liegt auf einer Erhebung im parkähnlich gestalteten 50-150 m breiten „Mittelstreifen“ der zentralen Magistrale und blickt noch über das etwa 15 km entfernte Stadtzentrum hinaus auf das gesamte Moskauer Stadtgebiet. (Hier die Koodinaten für das Auffinden in Google-EartH: 55°35'59.20" N  37°31'43.89" O) In dieser Lage bietet die ganz im traditionellen Stil errichtete Kirche mit ihren blauen Dächern und goldener Hauptkuppel schon einen imposanten Anblick. Als geradezu atemberaubend wird das Bild beschrieben, das sich im Inneren bietet: Der ganze Kirchenraum ist mit Goldmosaiken im Stil der sizilianischen Kirchen des 12. Jahrhunderts ausgeschmückt, in denen sich die Kunst von Byzanz mit am glänzendsten erhalten hat. Diese Ausschmückung ist alles andere als bloße Dekoration, sie ist wie in den Vorbildern Palermo und Monreale nicht nur Vergegenwärtigung der Heilsgeschichte im alten und neuen Testament, sondern auch Vorausschau auf das himmlische Jerusalem.

Bild: Orthodox Arts Journal

Die Kirche „Schutz der Gottesmutter“ von Yasenowo drückt mit den Mitteln der Architektur und der bildenden Kunst den ganzen Reichtum des christlichen Glaubens aus. Pilgern bietet sie - ganz ähnlich wie das nahegelegene Kloster des neuen Jerusalem aus dem 17. Jahrhundert und einige spätmittelalterliche Anlagen des Westens  - darüberhinaus die Möglichkeit zu einer spirituellen Pilgerreise ins Heilige Land: In der großangelegten Pilgerkrypta gibt es Repliken der Geburtsgrotte und des Kreuzigungsfelsens von Golgatha, ein achteckiger Taufbrunnen assoziiert die Himmelfahrtskapelle auf dem Tempelberg und die Grabeskapelle von der Grabeskirche wurde ganz und gar nachgebaut - einschließlich der Eingangstür, die so niedrig ist, daß man sie nur gebückt durchschreiten kann. Die Website des Orthodox Arts Journal gibt einen reich illustrierten Bericht über den Bau, Einzelheiten von Planung und Durchführung. Demnach ist die ganze Anlage nicht das Ergebnis einer Kopfgeburt glaubensferner Eliten im Kunst- und Sakralbetrieb, sondern eher ein Projekt „von Unten“, das freilich in seinem Fortschreiten eine Dynamik entwickelte, die weit über Yasenowo in Staat und Gesellschaft ausstrahlte.

Von der Leipziger Propsteikirche ist derlei nicht zu erwarten. Ihr Anblick hat noch nie jemanden an das himmlische Jerusalem denken lassen. Eher an die Gewerkschaftszentrale einer Provinzstadt.

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