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Keine Hymnen auf die Himmelfahrt?

Zu Assumptio Mariæ, IV

Im Beitrag über den Transitus Mariae war von der im Hochmittelalter verbreiteten Ungewissheit über den Verbleib des Körpers Mariens nach ihrem Tode die Rede. Diese Unsicherheit schlug sich in der Liturgie darin nieder, daß Missale und Brevier ihrem ansonsten oft geradezu überbordenden Marienjubel in dieser Hinsicht Zügel anlegten: Sie blieben im Allgemeinen. Das gilt auch für die Neuzeit, als die ehedem kontrovers geführten Diskussionen längst zur Ruhe gekommen waren und die Aufnahme Mariens in den Himmels zur weitverbreiteten Glaubensgewißheit geworden war. Assumptio war zwar im Missale der nachtridentinischen Zeit ein Hochfest mit eigener Oktav – doch von einer genaueren Bestimmung des Inhaltes dieses Festes in den liturgischen Texten kann keine Rede sein. Am weitesten geht noch die secreta, die bittet:

Herr, laß Deinem Volke die Fürsprache der Gottesgebärerein zugute kommen, denn obgleich wir wissen, daß sie dem Körper nach dahingeschieden ist, so wissen wir doch, daß sie in der himmlischen Glorie bei Dir für uns bittet.

Im übrigen verwendet das Missale (und auch das Brevier) die Formel „Assumpta est Maria in cœlum – gaudet exercitus angelorum“. Zum besseren Verständnis dieser Formel ist anzumerken, daß es lange Zeit ungeklärt war, ob die Seelen der Verstorbenen unmittelbar nach dem Tode ihr persönliches Gericht erhalten und im Falle der Heiligkeit sogleich in die Gegenwart Gottes aufgenommen werden – oder ob sie wie die Gerechten der Vorzeit nach dem körperlichen Tode in einem Limbus auf den Tag der zweiten Wiederkunft und des Weltgerichtes warten müssten. Letzteres scheint zumindest in der ältesten Zeit die vorherrschende Meinung gewesen zu sein. Doch genau von diesem Wartestand - darin stimmten alle ebenso überein wie in der Annahme ihres Todes - war Maria ausgenommen.

Im Breviarium Romanum, das der Ausbreitung der Festgeheimnisse mehr Spielraum gibt als das Missale, war die Zurückhaltung noch deutlicher spürbar. Das kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, daß generell das Formular für die Feste Mariens verwendet wurde, allrdings mit einigen proprietären Einschüben. Einen gewissen Raum für Varianten boten dabei insbesondere die Hymnen, bei denen es überdies zeitlich und regional gewisse Unterschiede gab. Generell scheinen zu Assumptio jedoch die Hymnen des allgemeinen Marienfestes verwandt worden zu sein: Zur Vesper das Ave Maris Stella; zur Matutin Quem terra, pontus, sidera des Venantius Fortunatus und zur Laudes vom gleichen Verfasser O gloriosa virginum . Alle drei sind dem allgemeinen Teil entnommen und sprechen die Aufnahme Mariens in den Himmel überhaupt nicht an.

Von den drei großen Sequenzen zur Assumptio von Adam v. St. Viktor geht nur eine auf das Festgeheimnis ein – die beiden anderen beschränken sich wie die Hymnen auf das allgemeine Marienlob. Das soll hier nicht interpretiert, sondern nur als Faktum festgehalten werden, um den unmittelbar nach der Verkündigung des Dogmas vollzogenen Wandel in der angebrachten Deutlichkeit hervortreten zu lassen.
Quasi am Tag nach der Verkündung des Dogmas wurden die liturgischen Texte von Missale (hier nach dem Schott von 1953) und vor allem das Brevier (die mir vorliegende Ausgabe ist von 1951) grundlegend revidiert. Das Tagesgebet wurde völlig neu verfasst:

Allmächtiger ewiger Gott, Du hast die unbefleckte Jungfrau Maria, die Mutter Deines Sohnes, mit Leib und Seele aufgenommen in die Herrlichkeit des Himmels; wir bitten Dich, verleihe, daß wir allzeit auf das Himmlische bedacht sind und so dereinst teilhaftig werden ihrer Herrlichkeit.

An anderen Stellen wurde zumindest die Formel „die seligste Jungfrau Maria, die aufgenommen ward in den Himmel“ - neu eingefügt.

Noch weiter gingen die Veränderungen im Brevier. Von der Neufassung der Lesungen der Nocturn, bei denen die Predigt dese Johannes von Damaskus gekürzt und ein zum Thema aussagekräftigerer Text Pius des XII. neu aufgenommen wurde, war bereits die Rede. Ebenso wie im Missale wurde in Antiphonen und Responsorien ein „die seligste Jungfrau Maria, die aufgenommen ward in den Himmel“ eingefügt – sofern nicht ganz neue Texte herangezogen wurden. Da auch die Hymnen fast sämtlich durch neue Textel ersetzt wurden, entstand faktisch ein neues Proprium, ohne daß dieses als solches bezeichnet worden wäre.

Die Neuzugänge, wie man sie in den Brevierausgaben von 1951 bis zur Liturgia Horarum  1971 vorfindet, waren in der ersten Vesper „O prima, virgo, prodita“, zu den Laudes „Solis, o virgo, radiis“, und für die Matutin „Surge! Jam terris fera“ . Alle drei sind aus der Tradition nicht belegt, sondern gelten als Neudichtungen des kurialen Hymnologen(!) Vittorio Genovesi. Allein in der zweiten Vesper blieb das bereits vordem wiederholte „Ave maris stella“ erhalten.

Bemerkenswert an dieser Neuauswahl hinsichtlich unseres Themas ist zum einen die Tatsache, daß auch von den drei neuen Hymnen nur eine die leibliche Aufnahme explizit anspricht – das „O prima, virgo, prodita“. Und zum zweiten der Umstand, daß genau dieser Hymnus, der sich dogmatisch sehr weit in unerforschtes Gebiet vorwagt, nicht in die Liturgia Horarum übernommen wurde, in der neben dem Genovesis Solis o Virgo radiis das traditionelle Aurora velut fulgida zurückkehrt.

Der lateinische Text dieser möglicherweise etwas allzu 'expliziten' Hymne (mit einer unbrauchbaren englischen Übersetzung) findet sich hier.
Unsere eher unpoetische, aber um Präzision bemühte Übersetzung lautet:

O Jungfrau, die Du als erste aus dem Geist des Schöpfers hervorgingest und vorbestimmt warst, im Leibe den Sohn des Allerhöchste zu tragen,

Du Frau, dem ewig feindlichen Dämon angedroht, und durch unbefleckte Empfängnis von von einzigartiger Gnade erfüllt,

Du hast in Deinem Leibe das Leben empfangen, das Leben, das seit Adam verloren war, als Dienerin stellst Du das Fleisch bereit, das Gott zum Versöhnungsopfer dienen soll.

Der aufgrund der Erbschuld verwirkte Tod blieb Dir besiegt fern, und dem allerhöchsten Sohne zur Gefährtin wirst Du im Körper zu den Sternen erhöht.

Leuchtend im Glanz solcher Glorie bist du über alle Natur hinausgehoben, in Dir ist alle (Schöpfung) berufen, den Gipfel aller Schönheit zu erreichen.

Ach wende, die du als leuchtende Himmelskönigin triumphierst, dich uns Verbannten zu, damit wir unter Deiner Führung mit Dir zum glücklichen Heimatland gelangen.

Jesus, der Du aus der Jungfrau geboren bist, Dir sei mit dem Vater und dem erhabenen Geist die Ehre in Ewigkeit.

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