Statio in S. Maria Maggiore - zu den Wurzeln des Stationswesens

Am Mittwoch der ersten Fastenwoche ist Statio in S. Maria Maggiore – ebenso an den Mittwochen der  anderen Quatembertage. Tatsächlich ist Maria Maggiore mit insgesamt 15 Statios die römische Kirche mit den meisten Stationstagen.

Die so offensichtlich herausgehobene Stellung dieser Basilika führt direkt zurück zu den Ursprüngen des römischen Stationswesens – und die liegen in Jerusalem. Die aus Südgallien stammende Pilgerin Egeria, die in den Jahren 381 – 384 das Heilige Land durchreiste, überliefert uns die Kenntnis von der auf alter Gewohnheit beruhenden Übung der Jerusalemer Christengemeinde, sich zu den entsprechenden Fest- und Gedenktagen an den „Originalschauplätzen“ der Heilsgeschichte zu versammeln – nichts könnte näher liegen und mehr einleuchten. Und nichts lag näher, diese offenbar auch vor Egeria in der ganzen Christenheit bekannte Praxis in Rom, dem Mittelpunkt des Erdkreises aufzugreifen, sobald das Ende der Christenverfolgungen ein öffentliches Auftreten zuließ.

Woher sollte man in Rom aber die „Originalschauplätze“ nehmen? Hier betritt Helena, die Mutter Kaiser Konstantins und selbst Trägerin des Kaiserin-Titels, die Bühne. Sie hatte in den 20er Jahren des 4. Jahrhunderts Palästina bereist und Schiffsladungen von Reliquien und Memorabilien nach Rom gebracht – darunter auch einen Balken des Heiligen Kreuzes und einige Bretter aus Platanenholz, die als Teile der Krippe des Jesuskindes zu Bethlehem verehrt werden. Die Orte, an denen diese Reliquien aufbewahrt wurden und heute noch werden, galten fortan als Äquivalente der heiligen Stätten. Die Kreuzreliquie gab Anlass zur Errichtung von Santa Croce in Gerusalemme, über die am Karfreitag zu sprechen sein wird. Die bethlehemitische Reliquie fand ihren Platz in einer Nachbildung der Geburtsgrotte in oder bei der sagenumwobenen liberianischen Basilika auf der Höhe des Esquilin, einer archäologisch bis jetzt nicht belegten Vorgängerkirche von S. Maria Maggiore.

Warum ausgerechnet an diesem Platz, ist gänzlich unklar. Die Legende verknüpft die Ortswahl mit einem Traum des Papstes Liberius (352 - 366), über den sonst so wenig bekannt ist, daß er als einziger der frühen Päpste nicht in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen worden ist. Ihm sei im Traum die Jungfrau erschienen und habe ihn aufgefordert, an der Stelle, die sie durch Schneefall im August kennzeichnen werde, zu ihren Ehren eine Kirche zu errichten. Vielleicht war die Sache aber auch viel prosaischer: Der Esquilin, wiewohl innerhalb der uralten severianischen Mauern gelegen, war auch in der Kaiserzeit nur locker bebaut und von Gärten und Märkten durchzogen. Hier bot sich mit mäßigem Aufwand die Gelegenheit sowohl zur Anlage einer „Geburtsgrotte“ als auch später zur Errichtung einer großen Basilika. Groß St. Marien, wie die Kirche auf Deutsch genannt wird, ist immer noch die größte der über 60 Marienkirchen der Stadt. Historisch fassbar wird diese Kirche im 5. Jahrhundert. Im Jahr 431 hatte das Konzil von Ephesus feierlich die Lehre von Maria als Gottesgebärerin – Theotokos – bekräftigt. Wenige Jahre später ließ Papst Sixtus III. (432 - 440) den gewaltigen Bau errichten, der nicht nur in seinem wesentlichen Baubestand, sondern auch mit einem Teil seines ursprünglichen Mosaikenschmucks bis heute erhalten ist.

Ob dieser Bau über der Krippen-Grotte oder in deren unmittelbaren Nähe errichtet wurde, ist unbekannt – jedenfalls wird der Name der Kirche, die auch Statio für die Mitternachtsmesse an Weihnachten ist, für diesen einen Tag im überlieferten Missale bis heute als „Sancta Maria ad Praesepe“ - St. Marien bei der Krippe – angegeben. Die Reliquie selbst ist heute in einem prachtvollen Kristallschrein in der Konfessio vor dem Hauptaltar ausgestellt.

Die Liturgien der Fastenzeit und Karwoche bewahren ganz allgemein einen sehr alten Stand der stadtrömischen Liturgie. Der Mittwoch nach dem ersten Fastensonntag wird ungewöhnlicherweise durch zwei Lesungen aus dem alten Testament ausgezeichnet: Den Bericht über den Anstieg des Mose zum Berg Sinai zum Empfang der Gesetzestafeln und die von Engeln und Wundern begleitete Wanderung des zu Tode ermatteten Propheten Elias zum Gottesberg Horeb. Beide Texte enthalten die ausdrückliche Nennung eines 40-tägigen Fastens, und beide betonen die Anstrengung von Kraft und Willen, die es verlangt, den Willen Gottes zu tun. Auch das Evangelium blickt zurück ins Alte Testament. Hier berichtet Mathäus über jene Predigt Jesu, mit der er die Schriftgelehrten und Pharisäer an das Zeichen des Jonas vor Ninive und die Königin von Saba als Schülerin Salomos erinnerte und aufforderte, sich wahrhaft zu bekehren und dem Willen des Vaters zu unterwerfen. Das im Kontrast zu den langen Lesungen besonders kurze Offertorium faßt all das in nur zwei Versen aus Psalm 118 (47–48) zusammen:

Ich überdenke Dein Gebot, das ich gar innig liebe; ich strecke meine Hände aus nach Deiner Satzung, die ich liebe.“

Die reformierte Liturgie stellt an diesem Tag die ursprünglich nur als eines von mehreren Beispielen genannte Jonas-und-Ninive-Geschichte in den Mittelpunkt – freilich weniger unter dem Aspekt der Aufforderung zur Umkehr, sondern zur Herausstellung des unbedingten Gnadenhandelns Gottes. Dazu läßt das Evangelium nicht Matthäus, sondern Lukus mit dem Bericht über das Zeichen des Jonas zu Wort kommen - der ist als solcher leichter verständlich und hat überdies den Vorteil, daß anders als bei Matthäus der ärgerliche Walfisch darin nicht vorkommt. Aus dem Alten Testament zieht das neue Missale dann nicht etwa eine der beiden Perikopen nach der Tradition heran, sondern nimmt als Lesung aus dem Buch Jonas im 3. Kapitel die Verse 1–10 mit dem Bericht über den Bekehrungsaufruf des Jonas und dessen Beherzigung durch die Bewohner von Ninive.

Das Gabengebet wendet sich dann überraschenderweise von dem vorher so einfühlsam und ganz ohne Wunderberichte didaktisch aufbereiteten Thema der von Gott belohnten Umkehr ganz ab und präsentiert eine allgemeine Formel, die man an jedem Tag des Jahres verwenden könnte:

Herr, wir bringen die Gaben dar, die du uns geschenkt hast, damit wir sie dir weihen. Mache sie zum Sakrament, aus dem wir das ewige Heil empfangen.“

So ist das Messformular dieses Tages ein gutes Beispiel dafür, daß die Konstrukteure dieses Missales zwar durchaus bestrebt waren, Kernaussagen des Glaubens in einer – ihrer Ansicht nach – der Gegenwart leichter verständlichen Form vorzutragen, dabei aber auch vieles weggelassen haben, das diesem Glauben erst seine Dimension in der Tiefe gibt. Ein „plattes Produkt des Augenblicks“ eben, wie Josef Ratzinger 1970 bei einer Predigt vor der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda ausführte. (Quelle)