Latein und Volkssprache
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- 15. März 2017
Immer wieder hört man zur Begründung der Feier des Gottesdienstes in der Volkssprache die Behauptung, schließlich habe auch Rom, nachdem die griechische Sprache dort als Sprache der Gebildeten außer Gebrauch gekommen war, die bis dahin auf Griechisch gefeierte Liturgie ins Lateinische übersetzt. Wie selbstverständlich wird dabei impliziert, daß es sich dabei um die lateinische Volks- und Umgangssprache des 4. Jahrhunderts gehandelt habe.
Das ist ein Irrtum, und wenn Liturgiewissenschaftler, die so argumentieren, nicht noch ungebildeter sind, als man ohnehin annehmen muß, eine bewußte Irreführung. Fr. John Hunwicke vom Ordinariat ULF von Walsingham veröffentlicht in diesen Tagen eine Reihe von Artikeln über das Werk der bedeutenden niederländischen Altphilologin Christine Mohrmann (1903 – 1988), die sich große Verdienste um die Erforschung der unterschiedlichen Sprachschichten des Griechischen und des Lateinischen von den vorklassischen Zeiten bis ins spätmittelalterliche Gelehrtenlatein erworben hat.
Mohrmann hat bereits vor Jahrzehnten nachgewiesen, daß das liturgische Latein eine höchst artifizielle Sprache darstellte, die in enger formaler Anlehnung an uralte (und dem einfachen Volk längst fremd gewordene) Sprachmuster gestaltet wurde - eben um den Unterschied zwischen der Alltagssprache und einer Sprache für den Sakralen Raum zu betonen und sinnfällig zu machen. Sie hat auch eine einleuchtende Erklärung dafür gegeben, warum die Römer sich so viel Zeit für die Entwicklung einer lateinischen Liturgiesprache ließen: Die Christen mußten sich zunächst die lateinische Sprache soweit als Ausdruck des Christenglaubens aneignen, daß sie in der Lage waren, alte Formen zu assimilieren, ohne damit unzulässige Gleichklänge oder gar Gleichsetzungen mit den Gebeten zu riskieren, die etwa lauteten: „Vater Mars, ich flehe Dich an, Du mögest alle sichtbaren und unsichtbaren Krankheiten und Nöte sowie alle verheerenden Mißgeschicke und Notfälle von mir durch Dein Gebot fernhalten.“
Diese Sprache hatte nichts „umgängliches“ an sich, sie war nicht und mußte auch nicht Wort für Wort „verständlich“ sein – sie diente der Abgrenzung eines sakralen Geschehens vom Alltag, und sie wurde dadurch und insoweit „verstanden“, daß den Menschen neben dem ungefähren Inhalt eben der Unterschied zwischen säkular und sakral immer gegenwärtig war – nicht als wissenschaftliche Abstraktion, sondern als gelebte und erfahrene Religion.
Die erste der bisher 3 Beiträge von Fr. Hunwicke zum Thema findet sich hier: http://liturgicalnotes.blogspot.de/2017/03/recent-liturgical-shenanigans-in-rome.html