Bereichsnavigation Themen:

Die Passion des Hohenpriesters

Bild: Byzantinisches Museum Nikosia, https://byzantinetrail.com/2018/01/19/some-selections-from-the-archbishop-makarios-iii-byzantine-musem-in-nicosia-cyprus/Die beiden Lesungen in der überlieferten Liturgie des Passionssonntags, die auf – mindestens – hochmittelalterlichen Gebrauch zurückgehen, enthalten Passagen, deren Verständnis unvollständig bleibt, wo nicht eine lebendige Kenntnis des alten Testaments und der Denkweisen des vorchristlichen Judentums vorhanden ist.

Die Epistel aus dem Brief an die Hebräer, in dem Paulus sich an seine Glaubensbrüder wendet und oft beträchtliches Glaubenswissen voraussetzt, stellt in dieser Richtung einige Anforderungen, wenn es heißt:

Christus aber ist gekommen als Hoherpriester der künftigen Güter; und durch das erhabenere und vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt nicht von dieser Welt ist, ist er ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen, nicht mit dem Blut von Böcken und jungen Stieren, sondern mit seinem eigenen Blut, und so hat er eine ewige Erlösung bewirkt. (…) Und darum ist er der Mittler eines neuen Bundes; sein Tod hat die Erlösung von den im ersten Bund begangenen Übertretungen bewirkt, damit die Berufenen das verheißene ewige Erbe erhalten. (Hebräer 9, 11-15)

Was hier mit „neuer Bund“ gemeint ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Das 9. Kapitel, aus dem diese Verse genommen sind, beginnt mit den Worten: „Der erste Bund hatte gottesdienstliche Vorschriften und ein irdisches Heiligtum.“ Dem folgt in sechs Versen die Beschreibung dieses Heiligtums, wobei die verwandten Worte völlig zu recht keinen Unterschied machen, ob sie das transportable Bundeszelt der Wanderung durch die Wüste oder den ersten Tempel Salomos beschreiben, der 586 von den Babyloniern zerstört wurde. Material und Maßstab waren bei Zelt und Tempel verschieden, doch Ausstattung und Wesen waren identisch. Ganz klar jedoch ist, daß hier nicht der zweite Tempel gemeint ist, den die aus dem babylonischen Exil zurückkehrenden Juden 515 eingeweiht und den Herodes ab 21 vor Christi Geburt erweitert und prächtig ausgestattet hatte: Denn dessen Allerheiligstes war leer.

Die vier nächsten Verse handeln vom einmal im Jahr begangenen Versöhnungsfest, das die einzige Gelegenheit darstellte, zu der der Hohepriester das Allerheiligste betrat, um das Opferblut hineinzutragen und so geheiligt wieder herauszubringen, um es über dem Volk zu Vergebung seiner Sünden auszusprengen. So war es im Gesetz des Moses festgelegt, und so wurde es auch noch im „leeren“ zweiten Tempel des ersten Bundes gehalten.

Doch diesem Bund wird nun ein Neuer gegenübergestellt, und die Lesung des Passionssonntages mit den Versen 11-15 gibt die Begründung:

Christus ist der neue Hohepriester, der ein und für allemal in das Heiligtum hineingegangen ist, um nicht das Blut von Böcken und Stieren, sondern sein eigenes zum Opfer zu bringen und so ewige Versöhnung zu bewirken.

Vers 15 greift direkt auf den ersten Vers mit der Einsetzung des alten Bundes zurück und stellt dem entgegen

Und darum ist (Christus) der Mittler eines neuen Bundes, sein Tod hat die Erlösung von den im ersten Bund begangenen Übertretungen bewirkt, damit die Berufenen das verheißene ewige Erbe erhalten.“

Hier geht es weiterDie weiteren 14 Verse des 9. Kapitels breiten diese Kernaussage in verschiedenen Richtungen aus. Mit vollem Recht kann daher Thomas von Aquin im Tantum Ergo dichten „et antiquum documentum novo cedat ritui“ - „der Alte Vertrag weicht einem neuen Gebrauch“. Die Erfinder und Vertreter der neuen Lehre vom eigenständigen Heilsweg der Juden müssten viel Energie und Erfindungsreichtum einsetzen, wenn sie dem Apostel und dem Lehrer hier widersprechen wollen. Müssten – denn wer mit dem Zeitgeist surft, kann davon ausgehen, keine eingehende Begründung seiner Ideen vorlegen zu müssen – eine Zeit lang.

Soviel zu dieser Lesung aus dem Brief des hl. Apostels Paulus, mit der die Kirche an diesem Sonntag die heilsgeschichliche Dimension der anstehenden Gedächtnistage vor Augen stellt. Und um diese Dimension, um das Große und Ganze, geht es auch im Evangelium. Dort ist es ein einziger kurzer Satz, in dem Jesus den Vertretern der pharisäischen Lehren entgegenhält: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham ward, bin ich.“

Die Erklärung für dieses Präsens an sachlich wie sprachlich unmöglicher Stelle ist noch einigermaßen bekannt: Jesus unterstreicht damit den Anspruch, eben kein gewöhnlicher Mensch zu sein, sondern der Menschensohn, der Sohn Gottes, der existiert seit Anbeginn der Zeit. Für die Juden seiner Epoche war das noch viel deutlicher hörbar als für uns – sie brachten keine Sekunde lang darüber nachzudenken, um aus diesem „bin ich“ den unaussprechlichen Namen Gottes herauszuhören: Ich Bin der Ich Bin. Sofortige Steinigung, so mußte es  ihrem Unglauben erscheine, war die einzige angebrachte Antwort auf diese Gotteslästerung.

Für uns heutige ist daraus noch eine andere Erkenntnis abzuleiten: Wir haben uns weitgehend in der Vorstellung eingerichtet, den Herrn und Gott des alten Testaments mit der Person des Vaters zu identifizieren – der Sohn, die Person des Fleisch gewordenen Wortes, tritt dann erst mit dem Neuen Testament in unser Blickfeld. Dieses Blickfeld ist anscheinend jedoch verengt. Von Anbeginn der Schöpfung her ist es das Wort, das die Schöpfung trägt und zwischen dem Vater aller Dinge und seiner Schöpfung agiert, das Johannesevangelium macht das von seinem Prolog an deutlich. Die Stimme/das Wort aus dem brennenden Dornbusch war nicht der Vater, der im unzugänglichen Licht wohnt, sondern der Sohn. Genau das deutet Paulus im 1. Brief an die Korinther an, wenn er vom wasserspendenden Felsen, der den Juden in der Wüste folgte, sagt: „Denn dieser Fels war Christus“ (1. Kor. 10,4) Und genau das ist der Inhalt des ganzen Evangeliums, das die überlieferte Liturgie an diesem Tag vorträgt:

Der Vater, von dem ihr sagt, daß er euer Gott ist, ehrt mich. Doch ihr kennt Ihn nicht – ich aber kenne Ihn.“

Nur von diesem „ich bin“ her wird auch die merkwürdige Stelle im Passionsbericht des hl. Johannes verständlich, gemäß der Jesus im Garten Gethsemane die Häscher des Hohen Priesters fragt, „Wen sucht ihr?“ - und diese auf seine Antwort „ich bin es“ entsetzt zurückweichen und zu Boden fallen. Seit wann fallen Polizisten vor Schreck um, wenn der Gesuchte sich zu erkennen gibt? Nun, wir wissen nicht, in welcher Sprache dieser denkwürdige Dialog geführt worden ist, aber noch die späte lateinische Übersetzung „ego sum“ mit dem unüblichen Personalpronomen lässt erkennen, daß die Soldaten kein triviales „ich bin es“ hörten, sondern geradewegs das Wort zu vernehmen glaubten, das Moses aus dem Dornbusch gehört hatte. Und sie hatten sich nicht verhört.

Zusätzliche Informationen