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Der Ritus der Palmweihe

Bild: Screenshot der CD-Ausgabe

Denken Sie – falls sie sich überhaupt noch daran erinnern können – zurück an das gesungene lateinische Amt mit gregorianischem Choral. Vergleichen sie das mit mit der modernen Messe nach dem Konzil. Nicht nur die Worte, sondern auch die Melodien und bestimmte Handlungen sind jetzt anders. Tatsächlich ist es eine andere Messliturgie. Wir müssen es ganz klar sagen: Der römische Ritus, wie wir ihn gekannt haben, existiert nicht mehr. Er ist weg. Einige Mauern des Gebäudes sind gefallen, andere wurden versetzt – wir können das als eine Ruine ansehen, aber auch als Teile des Fundaments für ein neues Gebäude“.

So feierte 1978 der französische Reformer Joseph Gelineau SJ die Resultate der Liturgiereform, die mit der neuen Liturgie für die Karwoche des Jahres 1955 ihren Anfang genommen hatte. Gleich am Palmsonntag sind die Folgen dieser Reform, die in Wirklichkeit eine Revolution, eine Deform und Destruktion war, deutlich sichtbar. Und zwar am krassesten in der heute für die „überlieferte“ Liturgie verbindlichen Form des Missales von 1962 – die Endfassung der Reform von 1969 hat bereits einige der Fehlgriffe von 1955 leicht abgemildert.

Die Liturgie des Palmsonntags besteht seit Alters her aus zwei Teilen: Der Palmweihe mit anschließender Prozession und der heiligen Messe. Die Palmweihe selbst erfolgte in einer überaus feierlichen Form, die gelegentlich als eine „missa sicca“ - eine Messe ohne Verwandlung von Brot und Wein bezeichnet wird. Ähnlich wie bei einer hl. Messe gab es zunächst einen Wortgottesdienst mit Epistel und Evangelium, dem die eigentliche Weihe folgte. Diese Weihe selbst wurde nach römischer Ritus in einer Folge von Gebeten vorgenommen, die durch eine Weihepräfation eingeleitet wurde – die Ähnlichkeit zum Kanon der Messe ist unübersehbar.

Hier der Text der Weihepräfation nach dem Missale von Trient, der sich nur unwesentlich von dem im vorhergehenden Missale der Kurie unterscheidet:

Der Herr sei mit euch – Und mit Deinem Geiste

Empor die Herzen – wir haben sie beim Herrn

Lasset uns danken dem Herrn unseren Gott – das ist würdig und recht.

Es ist in Wahrheit würdig und recht, billig und heilsam, Dir immer und überall dankzusagen, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott.Ruhmvoll erstrahlst Du im Rat Deiner Heiligen. Fürwahr, Dir dienen Deine Geschöpfe, weil sie in Dir allein ihren Urheber und Gott erkennen; alles was Du gemacht hast, lobt Dich und es preisen Dich Deine Heiligen, denn mit freimütiger Stimme bekennen sie vor den Königen und Mächten dieser Welt den hohen Namen Deines Eingeboren. Vor ihm stehen die Engel und Erzengel, throne und Herrschaften, und mit der ganzen himmlischen Heerschar stimmen sie den Hochgesang Deiner Herrlichkeit und rufen ohne Unterlaß:

Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott der Heerscharen. Himmel und Erde sind erfüllt von Deiner Herrlichkeit Hosanna in der Höhe. Hochgelobt sei der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.

Hier ertönt also das „Benedictus, qui venit...“ quasi an seinem originalen Ort. In den folgenden sechs Orationen wird dann das Geheimnis des „Geschöpfes“ der Ölzweige nach der heiligen Schrift in seiner ganzen Fülle ausgebreitet. Von all dem haben die Reformer von 1955 nichts übrig gelassen außer einer schlichten Segensformel für die Palmzweige. Die im ursprünglichen Ritus vor der Palmweihe vorgetragene Lesung aus Matthäus 21 wurde in wenig einleuchtender Weise an das Ende der Austeilung der Zweige vor den Beginn der Prozession verlegt.

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Der schmerzlichste Verlust hier ist zweifellos der der Weihepräfation(Missale consuetudine 113). Ein Verlust, der in nur unwesentlich abgemilderter Form auch bei der Weihe der Osterkerze in der Auferstehungsnacht zu beklagen ist, Diese Weihe erfolgte traditionsgemäß im Rahmen eines Hochgebetes, des Exsultet, dessen Kernstück ebenfalls eine Weihepräfation darstellt, die mit dem klassischen Empor die Herzen eingeleitet wurde. (Missale 149-155). Das Exsultet selbst wurde zwar beibehalten, aber von der Kerzenweihe abgelöst und zu einem „österlichen Preisgesang“ für den Einzug der Kerze in die Kirche umgedeutet.

Die Messe das Palsmsonntag blieb von den Reformern des Jahres 1955 im wesentlichen unangetastet. Der „Novus Ordo“ war noch in weiter Ferne, und so beschränkten sie sich auf einige Kürzungen am Anfang und am Ende des Vortrags der Leidensgeschichte.

Diese Kürzungen sollen hier zum Anlaß für einige weitergehende Überlegungen hinsichtlich der Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer „zeitgemäßeren“ Form für Liturgien wie die des Palmsonntags geben.

Die Liturgie von Palmweihe und anschließender Messe kann selbst in der amputierten Form von 1955, die so in das Missale von 1962 eingegangen ist, um die zweieinhalb Stunden dauern. In der früheren Vollform dürfte sie, würdig begangen, dreieinhalb Stunden oder länger beansprucht haben. Das bedeutet unter den heutigen Lebensumständen und -gewohnheiten sicher ein Problem, dem mit „pastoralen Erwägungen“ entgenzukommen nicht grundsätzlich illegitim sein kann. Etwa mit der Einrichtung von Kürzungsoptionen oder zusammenfassenden Versionen von Orationsketten, die das Wesentliche unangetastet lassen, aber den Anspruch an die Zeit (und die Aufmerksamkeitsspanne des „modernen“ Menschen) reduzieren. Solche „pastorale Erwägungen“ können es aber in gar keiner Weise rechtfertigen, inhaltliche Kernbestandteile wie etwa die Weihepräfation abzuschaffen oder eine gekürzte Fassung für alleine verbindlich zu erklären. Selbstverständlich müßte es möglich sein, die ungekürzte Fassung als Option da zuzulassen, wo „pastorale Erwägungen“ eine sekundäre Rolle spielen müßten – etwa bei der Feier in klösterlichen Konventen, besonderen Gemeinschaften oder überall da, wo in mehreren Kirchen gefeiert wird und die Gläubigen die Möglichkeit haben, sich für die eine oder die andere Variante zu entscheiden. Es wäre vielleicht auch sinnvoll, sich etwas näher mit dem Verständnis von „Gottesdienstteilnahme“ der orthodoxen Kirchen des Ostens zu beschäftigen, in denen es von den Gläubigen nicht eingefordert wird, den oft sehr langwierigen Liturgien von Anfang bis Ende und ununterbrochen in „tätiger Teilnahme“ beizuwohnen.

Die von den Reformen bereits des Jahres 1955 an den Tag gelegte Kahlschlagmentalität zusammen mit der durchaus autoritären Einstellung, nur eine einzige Lösung zuzulassen, bietet jedenfalls die schlechteste denkbare Alternative. Zumindest dann, wenn man es nicht darauf abgesehen hat, den überlieferten Ritus abzuschaffen, wie es Gelineau im einleitenden Zitat erfreut feststellt.

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Die oben gezeigte Doppelseite 113/114 enthält im Umbruch den Text der Weihepräfation nach dem Missale secundum consuetudinem Romanae curiae in einer Druckausgabe von 1481. Diese Ausgabe ist in digitaler Form bei http://bibliotecaestense.beniculturali.it/info/img/mss/i-mo-beu-alfa.t.4.11 abrufbar und kann auch in einer CD-ROM-Ausgabe bezogen werden.

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