Lob der Verschiedenheit
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- 18. Februar 2020
Fr. Zuhlsdorf hat dieser Tage versucht, die Anfrage eines Lesers zu beantworten, der sich nach den „Rubriken“ für Haltung und Verhalten der Gläubigen bei der Feier der überlieferten Liturgie erkundigt hatte. Die korrekte Antwort Zuhlsdorfs: Es gibt keine solchen Rubriken, wenn man unter Rubriken in irgendeinem rechtsverbindlichen Text festgehaltene Vorschriften verstehen will. Es gibt Konventionen, die in aller Regel einem (zumindest für den westlichen Kulturkreis) natürlichen Verständnis der jeweiligen Situation entsprechen: Bei Lesung und Predigt sitzen, beim Evangelium stehen, zur Anbetung von Leib und Blut des Herrn knien... Wer sich anders verhält, ohne das mit einem auffälligen oder störenden Auftritt zu verbinden, wird deshalb in aller Regel nicht böse angeschaut und sollte das auch auf keinen Fall werden: sicher hat er einen guten Grund.
Es ist dem Geist der Teilnahme der Gläubigen an der Messfeier durchaus fremd, zu verlangen, daß alle und zu jeder Zeit das Gleiche tun. Die überlieferte Liturgie ist sich zwar durchaus bewußt, daß die Gläubigen als Mitglieder der Gemeinde und als Glieder am Leibe Christi an der Liturgie teilnehmen – aber sie denkt dabei weniger an die konkrete Versammlung, sondern an die ganze Kirche, ihre leidende und ihre triumphierende Abteilung eingeschlossen. Gleichzeitig weiß sie, daß letztlich aber doch jeder für sich und in einer ganz konkreten und höchst persönlichen Situation vor den göttlichen Geheimnissen steht. Darin unterscheidet sie sich wohltuend von eher kollektivistischen Vorstellungen, die der Novus Ordo als Erbschaft aus der Liturgischen Bewegung und der Massenästhetik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in seine liturgischen Ideen übernommen hat. Dort gibt es tatsächlich verbindlich niedergelegte Vorgaben für die Gläubigen, und – in Deutschland eher selten – auch Vorbeter, die die Gemeinde energisch zu bestimmten Haltungen auffordern, oder Bischöfe, die für ihre Diözesen „dem modernen Menschen nicht mehr zumutbare“ Gesten untersagen. Hier herrscht Ordnung!
In einem merkwürdigen Gegensatz dazu steht es, daß der Novus Ordo zumindest in der Praxis dem Geschehen am Altar selbst und in dessen Umfeld nur wenige Vorgaben macht, deren Nicht-Beachtung vielerorts zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Auf der anderen Seite regelt die überlieferte Liturgie hier viele Abläufe mit großer Präzision und Strenge – nicht nur für die Bewegungen und Positionen der Offizianten, sondern bis hin zu solchen (vermeintlichen) Nebensächlichkeiten wie der Zahl und Richtung der Schwünge des Rauchfasses bei der Inzensierung des Altars. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, darin Ausdruck der unterschiedlichen Akzentsetzung zu sehen: Einerseits bei der Rolle und Befindlichkeit der konkret versammelten Gemeinde, andererseits beim objektiven Geschehen am Altar bei der Vergegenwärtigung de Opfers Christi.
All das sollte man im Hinterkopf haben, wenn in Gemeinden des alten Ritus über die „richtige“ Haltung und Gestik der Gläubigen diskutiert wird und bevor man die rechts aus Fr. Zuhlsdorfs Blog angelinkte Tabelle anklickt und vergrößert, um „Streitfragen“ zu schlichten: Für Streit sollte es im Bereich der Tradition hier keinen Anlaß geben, auch nicht für böse Blicke.