Freu dich, Jerusalem?
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- 21. März 2020
Der morgige Sonntag Laetare scheint mit seinen wiederholten Aufruf zur Freude im Herrn in diesem Jahr so gar nicht zur aktuellen „Befindlichkeit“ der Menschen zu passen. Von wegen „Laetare Jerusalem - et conventum facite omnes, qui diligetis eam“ und „Wie freute ich mich, da man mir sagte: Wir ziehen zum Hause des Herrn“ (Is. 66,10; Ps 21,1). Die Abwehrmaßnahmen gegen die Seuche machen es den Gläubigen vielerorts unmöglich, am Sonntagsgottesdienst teilzunehmen. Und tut sich nicht ein schwer erträglicher Widerspruch auf zwischen dem Gottvertrauen im Evangelium von der wunderbaren Speisung der vielen Tausende aus dem Korb eines Jungen mit 5 Gerstenbroten und dem in Panik leergekauften nur scheinbar unerschöpflichen Überfluß der Regale im Supermarkt?
Dieser Widerspruch gehört von Anfang an zur Liturgie dieses Sonntags. Der Aufruf zur Freude bei Iesaia stammt historisch aus der Zeit der Verbannung oder unmittelbar danach, als die Juden eben noch nicht im Tempel beten konnten oder nach ihrer Rückkehr aus dem Exil mit vielerlei Widrigkeiten zu kämpfen hatten, um ihr Leben und ihren Glauben zu bewahren.
Das Tagesgebet fordert denn auch zu einem radikalen Perspektivwechsel auf und betet:
Wir bitten Dich, allmächtiger Gott: Laß uns, die wir mit Recht für unsere Missetaten gezüchtigt werden, durch den Trost Deiner Gnade wieder aufatmen.
Die Freude ist das, was kommen soll und mit der Gnade Gottes auch kommen wird und jedenfalls nichts, das wir aus eigenem Recht beanspruchen könnten. Die Sekret nimmt diesen Gedanken noch einmal auf:
Wir bitten Dich, Herr: Schaue versöhnt auf die hier dargebrachten Opfergaben, damit durch sie unsere Hingabe und unser Heil gefördert werden.“
Letztlich wird das Heil von oben gewährt – aber es kommt nicht zustande ohne unsere Mittätigkeit.
Die reformierte Liturgie hat übrigens diese Gegenläufigkeit, um nicht zu sagen „Dialektik“, in der Gebetshaltung des 4. Sonntags der Fastenzeit weitestgehend eliminiert und beschränkt sich auf den Ausdruck einer vorweggenommenen Osterfreude, nicht weit entfernt von einer frohgemuten allgemeinen Heilsgewissheit. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß der Churer Weibischof Marian Eleganti, als er sich auch nur in die Nähe des Gedankens wagte, daß wir in der gegenwärtigen Heimsuchung „mit Recht für unsere Missetaten gezüchtigt“ werden könnten, einen veritablen Skandal auslöste und letztlich seitens des Diözesan-Administrators einen Maulkorb erhielt.
Dieses Tagesgebet – und in zurückhaltender Form Bischof Eleganti – drücken nichts anderes aus als das, was seit weit über 2000 Jahren Glaubensgut von Juden und Christen ist. Es wird morgen an vielen Hunderten von Altären bei der Feier des hl. Messopfers nach dem überlieferten Ritus der Kirche gebetet – zusammen mit dem „Laetare!“ des Introitus, das in einem produktiven Spannungsverhältnis dazu steht. Und das sollte für „moderne Katholiken“ unzumutbar sein?