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Die Liturgie der Bittprozession

Bild: Illustration eines Stundenbuches vom Beginn des 15. Jh., Wikimedia gemeinfreiDas Meßbuch des überlieferten Ritus enthält eine ausführliche und ausgefeilte Liturgie für die Bittprozession der Tage vor Christi Himmelfahrt - offensichtlich ein Restbestand aus dem Mittelalter, als Prozessionen innerhalb und außerhalb der Meßfeier einen weitaus größeren Stellenwert hatten als gegenwärtig. Die Prozessions-Liturgie besteht aus zwei Hauptteilen. Der erste ist die auch zu anderen Anlässen gesungene Litanei zu allen Heiligen, gefolgt von einer Reihe von Anrufungen und Fürbitten. Dieser Teil endet mit dem dreifachen Agnus Dei und einem Vaterunser. Dieser Aufbau der Allerheiligenlitanei ist auch in der neuen Liturgie weitgehend erhalten, sieht man einmal von einigen reformtypischen Abschwächungen einzelner Formulierungen ab.

Der zweite Teil der Prozessionsliturgie wird mit dem ganz gesungenen Psalm 69 (neu 70) eingeleitet, dessen ersten Vers die Kirche zum Eingangsversikel ihrer Tageszeiten gemacht hat: Gott, merk auf meine Hilfe – Herr, eile mir zu Helfen! Dem folgt ein zweiteiliges großes Bittgebet. Der erste Teil besteht aus einer Reihe von antiphonal (also im Wechsel zwischen Vorbeter und Gemeinde oder Schola) vorgetragenen Fürbitten nach dem Schema: Benennung des Gegenstandes – Präzisierung der Bitte. Er ähnelt den Fürbitten des Stundengebets vom Ende der Laudes und schlägt wie diese einen großen Bogen von der Bitte um das Heil für die eigene Seele über Gottes Segen für die Oberen der Kirche und die weltlichen Regenten bis hin zu den Wohltätern der Gemeinde sowie ihren abwesenden und verstorbenen Mitgliedern.

Der zweite Teil besteht aus einer langen vom Offizianten vorgetragenen Oration, die zwar nur einmal mit dem klassischen „Oremus“ eingeleitet wird, die man sich aber durchaus als eine Kette von 10 aneinandergehängten Einzelorationen vorstellen kann. Die ersten vier davon sind ganz und gar vom im Bewußtsein der eigenen Sünden vorgetragenen Apell an Gottes Barmherzigkeit bestimmt. Sie schließen mit der Bitte:

Gott, Du wirst durch die Sünde beleidigt und durch die Buße versöhnt; sieh gnädig auf das Gebet Deines flehenden Volkes und wende ab die Geißeln Deines Zornes, die wir für unsere Sünden verdienen.“

Dem folgen Bitten für den regierenden Papst, er möge mit Gottes Gnade das erstreben, was Gott wohlgefällig ist, dann im gleichen Geist die Bitte um jenen „Frieden, den die Welt nicht geben kann“ und schließlich um die Gabe des hl. Geistes, damit „wir keuschen Leibes Dir dienen und mit reinem Herzen Dir gefallen“. Der Gedanke, daß Gott den Menschen die Gnade gewähren möge, das zu erstreben, was Gott wohlgefällig ist, durchzieht wie ein roter Faden die Kette dieser Orationen. Kein „Non Serviam“, kein Machbarkeitswahn – nur Demut. In der neunten Bitte wird dieser Geist des rechten Bittens noch einmal sehr prägnant zusammengefasst ausgesprochen:

Wir bitten Dich, o Herr: Komm unserem Tun mit Deinen Eingebungen zuvor und begleite es mit Deiner Hilfe, auf daß all unser Beten und Handeln stets von Dir begonnen und, wie begonnen, auch durch Dich vollendet werde.

Die abschließende zehnte Bitte fügt noch einmal alles vorher gesagte zusammen, ohne Neues hinzuzufügen – danach beginnt das eigentliche Bittamt.

Das alles ist wie ein Blick in eine längst vergangene Welt. Er provoziert die Beunruhigende Frage: Steht das Ende der Kirche, wie unsere Vorfahren Sie über ein Jahrtausend lang kannten, wirklich noch bevor – oder ist es bereits eingetreten?

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