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„Ordo Missæ“ - III

Bild: Institut St. Philipp Neri

Nach dem wohlgeordneten Einzug, der historisch-genetisch gesehen mit dem Kyrie endet, beginnt nach Aufstieg des Zelebranten zum Altar die eigentliche Messfeier. Dabei scheint allerdings die Ordnung etwas unsicher zu werden: Introitus und Kyrie werden vom vorkonziliaren Schott bereits der sogenannten „Vormesse“ zugerechnet – sicher unberechtigt. Tatsächlich läßt der ältere Schott die Messfeier sogar schon mit dem ersten „Dominus vobiscum“ vor dem Aufstieg zum Altar beginnen – doch dieser Gruß gilt zweifellos nicht wie dort behauptet den Gläubigen, sondern dem Altardienst, und war in früherer Zeit von einem Austausch des Friedenskusses oder -grußes begleitet.

Wann also beginnt nun die eigentliche Messfeier?

Die historischen Befunde, wie sie Nikolaus Giehr und Andreas Jungmann in ihren immer noch grundlegenden Untersuchungen zur Entstehung des römischen Ritus ausgewertet haben, sind da recht eindeutig: Die Messe als Feier der versammelten Gemeinde beginnt mit dem zweiten Dominus vobiscum, zu dem sich der Priester auch heute noch (anders als beim ersten) zur Gemeinde umwendet und die er anschließend im Gebet der Collecta mit in die nun beginnende Feier hineinnimmt. Diesen Charakter der Sammlung aller Anwesenden hat die Oration des „Kirchengebetes“, wie die Collecta oft bezeichnet wird, stets bewahrt – auch wenn sie in der heutigen Form des Ritus nicht (mehr?) von den Versammelten gemeinsam, sondern stellvertretend vom Zelebranten alleine gebetet wird.

Es folgt der aus Schriftlesungen und Psalmen bestehende „Lehrgottesdienst“, vor dessen Einordnung allerdings die Frage zu klären ist, wo das denn in den meisten Messfeiern gesungene oder zumindest gebetete „Gloria“ denn seinen ordentlichen Platz finden soll. Hier geht es weiter Im tatsächlichen Ablauf steht es nach dem Kyrie und vor dem zweiten Dominus vobiscum irgendwo außerhalb unseres Ordnungsschemas. Tatsächlich ist das Gloria erst verhältnismäßig spät in die Messliturgie eingewandert. Als Hymnus des kirchlichen Morgenlobes und Festgesang zu besonderen Anlässen reicht es in früheste Zeiten zurück, und irgendwann vielleicht schon im zweiten Jahrhundert wurde es in einer seiner frühen Formen durchaus passend zu Beginn der Weihnachtsmesse des Papstes angestimmt. Von dort breitete es sich nach den Gesetzes der „organischen Entwicklung“ in andere Papstmessen aus, blieb jedoch bis zu Beginn des zweiten Jahrtausend dem Papst und den Bischöfen an besonderen Festtagen vorbehalten, und wurde erst dann für die größte Zeit des Jahres (im wesentlichen außer Advent und Fastenzeit) allgemein üblich.

Eine vergleichbare Entwicklung hat übrigens das Credo genommen, das an allen Sonntagen und einigen anderen höheren Festen den Abschluß dieses herkömmlich als „Gebets- und Lehrgottesdienst“ bezeichneten Teiles der Messfeier markiert. Ebenso wie das Gloria geht das Credo auf die früheste Zeit der Kirche – nämlich auf die Konzilien der ersten Jahrhunderte zurück, ist jedoch erst deutlich später in die Messfeier aufgenommen worden – im 6. Jahrhundert in einigen byzantinischen Ortskirchen. Von daher scheint es in das ebenfalls byzantinisch beeinflußte Spanien gekommen zu sein, wo es als Zeichen der Absage an den soeben überwundenen Arianismus besonderen Stellenwert gewann. In der gleichen Funktion taucht es dann im 8. Jahrhundert bei den Franken auf und wurde in der Pfalzkapelle Karls des Großen von dem bis daher bei den Byzantinern üblichen Platz vor der Kommunion an die auch heute bei den Lateinern noch übliche Position nach dem Evangelium vorgezogen. Beide Stellungen sind begründbar: die frühere als Bezeugung des Glaubens vor dem Zutritt zum Tisch des Herrn, die spätere quasi als Bekenntnis zum in den Schriften der Apostel und des Evangeliums verkündeten Glaubens. Der fränkische Hof ließ sich diese liturgische Neuerung von Papst Leo III. genehmigen und drang zwei Jahrhunderte später auch darauf, das Glaubensbekenntnis nach dem Evangelium für den ganzen römischen Ritus verbindlich zu machen – mit den bis in die Gegenwart geltenden Einschränkungen.

So fallen das Gloria ebenso wie das Credo einerseits aus der Ordnung eines bloßen Lehrgottesdienstes heraus, heben diese Ordnung jedoch als besonders feierliche Elemente der Eröffnung und des bekennenden Abschlusses in durchaus „organischer“ Weise hervor. Läßt man beide weg, bleibt ein Wortgottesdienst von Lesungen aus der heiligen Schrift, begleitet von Psalmengesängen und Textauslegung, übrig, wie ihn die früheste Kirche als Erbe aus dem Gottesdienst der Synagoge in der Zeit nach der Zerstörung des Tempels übernommen haben dürfte. Stärker als in der Synagoge war bei den christlichen Gemeinden jedoch schon in der frühesten Zeit das Bewußtsein dafür, daß die Lesungen nicht allein zur Unterrichtung des Volkes vorgetragen wurden, sondern als Lob Gottes in seinem eigenen Wort vor der ganzen Gemeinde.Beide Aspekte sind untrennbar.

Im Prinzip ist diese Ordnung auch heute noch erhalten, wenn auch in zweierlei Weise beeinträchtigt: Die traditionelle Form des römischen Ritus hat die Verkündigung des Wortes Gottes in der Messfeier schon früh auf eine relativ kleine Auswahl von Schriftstellen eingeschränkt – die dann aber durch ihre alljährliche Wiederholung besonders tief in das Bewußtsein der Gläubigen eindringen konnten. Die Psalmen wurden in der Messfeier – nicht im Brevier – auf die Funktion von Begleitgesängen zu Prozessionen und anderen liturgischen Handlungen reduziert und wurden mit der Dauer dieser Anlässe immer stärker abgekürzt, so daß heute oft nur noch ein oder zwei Verse übrig geblieben sind. Die Reformer des Consiliums haben versucht, diese als unglücklich betrachtete Entwicklung zu korrigieren. Daneben haben sie aufgrund „didaktischer Erwägungen“ die Zahl der als Lesungen in der Messe vorgetragenen Texte vervielfacht – und dazu den Jahresrhythmus aufgebrochen. Dabei haben sie Texte zur Lesung eingeführt, die ohne umfassende Katechese kaum verständlich sind. Den Psalmen wollten sie durch Ausweitung des Anwortpsalms als Rekonstruktion des ursprünglichen Graduales wieder mehr Raum und Gewicht geben. Dabei haben sie in dem Bestreben, vermeintlich anstößige Passagen (ebenso wie bei den Lesungen) zu streichen, die Originalgestalt mindestens ebenso schwer beschädigt wie die Kürzungen der traditionellen Form.

Die zahllosen Streichungen im Textbestand von Evangelien und Psalmen sind zweifellos der stärkste Defekt und angesichts ihrer ideologischen Motivation auch der verwirrendste Einbruch von Unordnung in diesen Abschnitt der Meßfeier nach dem Novus Ordo. Die Weiterentwicklung der überlieferten Form, die den (angenommenen) reinen Wort- und Lesungsgottesdienst der frühesten Zeit im Lauf der ersten vier oder fünf Jahrhunderte in Richtung der heute noch gebräuchlichen Form weiterentwickelte, stellt demgegenüber ein gutes Beispiel für eine gelungene „organische Entwicklung“ das. Sie verstößt nicht gegen eine ursprüngliche Ordnung, sondern erweitert sie logisch und konstruktiv durch das feierlichen Gotteslob am Anfang und die Bekräftigung des in der Schrift offenbarten Glaubens durch das feierliche Bekenntnis zum Abschluß.

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