Ordo Missæ VII: Die Opferung
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- 14. November 2020
Mit dem traditionell als „Opferung“ bezeichneten Offertorium beginnt der zweite Hauptteil der Messfeier – die eigentliche Opfermesse. Die innere Ordnung, der dieser Abschnitt folgt, erschließt sich allerdings nicht so leicht wie die Abfolge der Elemente im vorhergehenden Wortgottesdienst. Das eigentliche Opfer, die Vergegenwärtigung des Erlösungsopfers Christi am Kreuz durch den Priester „in persona Christi“ und die Kirche, folgt ja erst im anschließenden Kanon – es ist also durchaus berechtigt, die Frage zu stellen, wer opfert hier eigentlich was? Das seit unvordenklichen Zeiten zum Grundbestand des römischen Ritus gehörende Offertorium, das diesen Abschnitt einleitet, ist in den meisten Messen sehr allgemein gehalten und kann keine Antwort geben. Eher dann schon die an seinem Schluß stehende Sekret, die in vielen ausdrücklich von den herbeigebrachten und nun bereitliegenden Opfergaben handelt und damit aussagt, daß der eigentliche Zeitpunkt des Opfers noch nicht erreicht ist.
Vor dem Nachzeichnen der Ordnung, der die Gebete dieses Abschnitts folgen, ist allerdings in einem ersten Beitrag auf den Umstand einzugehen, daß dieser seit an die tausend Jahren zum Bestand der Messfeier im römischen Ritus gehörende Teil der Opfermesse von einigen Vertretern der liturgischen Bewegung und insbesondere vom Consilium zur Litugiereform als so „unordentlich“ empfunden wurde, daß sie ihn abschafften und durch eine Neudichtung ersetzt haben.
Tatsächlich enthalten die zwischen Offertorium und Sekret vom Priester leise und als Teile des Ordinariums gesprochenen „Privatgebete“ an einigen Stellen Formulierungen, die zu Mißverständnissen führen können. Etwa, wenn z.B. in der Darbringung des Brotes von immaculatam hostiam, von einer makellosen Opfergabe, die Rede ist, oder es bei der Bereitung des Weines heißt:
Wir opfern Dir Herr, den Kelch des Heiles, und flehen dich, den Allgütigen an, laß ihn, uns zum Segen und der ganzen Welt zum Heile, wie lieblichen Wohlgeruch vor das Angesicht Deiner göttlichen Majestät emporsteigen.
Hier fehlt nur noch die Geste des Ausgießen des Weines über den Altar, um das Bild eines Opfers zu vervollständigen, wie es an den Altären der Heidengötter, aber auch im Tempel Yahwes – dort freilich eher mit Blut statt mit Wein – zu Jerusalem, vollzogen wurde. Doch noch trägt das Brot, von dem der Priester hier spricht, die Makel alles Irdischen an sich; noch ist der Kelch, den er emporhebt, nicht wirklich der „Kelch des Heils“, sondern enthält ganz schlichten Wein, der lediglich als Opfer vorbereitet ist, wie es im anschließenden „Veni Sanctificator“ heißt.
Dennoch: so ganz „schlicht“ sind dieser Wein und das ebenfalls vorbereitete Brot schon doch nicht mehr, wie man daran erkennen kann, daß unmittelbar anschließend der Priester im Hochamt die Opfergaben und den Altar feierlich inzensiert und ein feierliches Gebet an die heiligste Dreifaltigkeit anstimmt, das um die Annahme des Opfers bittet. Diese Gaben der Gemeinde und des Priesters sind auch für sich schon deren Opfergaben, sie sind bereits herausgehoben aus dem rein irdischen Bezirk und erhalten dadurch, daß sie in wenigen Augenblicken „transsubstantiiert“ werden, ihre zusätzliche Würde. Außerdem ist das Denken der Zeit, in der diese Gebete ihre heutige Form annahmen, von einer merkwürdigen Dualität (nicht: Gegensatz) bestimmt: Auf der einen Seite bemühen sich Denker wie der hl. Thomas darum, die unausschöpfbaren Geheimnisse des Glaubens mit nachgerade mathematischer Logik fassbarer zu machen – auf der anderen gibt es (im gleichen Orden übrigens) die stärker mystisch denkenden gelehrten Dichter, die eher die übergreifenden Zusammenhänge sehen und betonen. Letzteren wäre die Frage, zu welchem Zeitpunkt und bei welchen Worten die Transsubstantion „tatsächlich erfolgt“, wohl reichlich fremdartig vorgekommen: Auch Brot und Wein, die soeben zum Altar gebracht wurden, haben schon einen Anteil an der bevorstehenden Wandlung, so wie diese an der immerwährenden Gegenwart des Opfers von Kalvaria.
Von daher ist es nachvollziehbar, daß die Opferungsgebete in der Vergangenheit gelegentlich auch als „kleiner Kanon“ bezeichnet wurden. Diese Redeweise mag den Unterschied zum eigentlichen Kanon etwas verwischen, aufheben kann und will sie ihn nicht. Wer will, kann hier einen gewissen Klärungsbedarf sehen – freilich unseres Erachtens nichts, das nicht durch eine gelegentliche katechetische Predigt zu bewältigen wäre, um die alledem unterliegende Ordnung wieder sichtbar zu machen. Die Meisterdenker der Liturgiereform wollten das freilich weder den Priestern noch ihren Gemeinden zutrauen. Sie haben sich stattdessen für den Einsatz ihres liebsten Mittels entschieden: Weg damit! Der Novus Ordo hat sämtliche traditionell hier gesprochenen Gebete „abgeschafft“ und den Abschnitt der Opferung sowohl in den Abläufen als auch der Bezeichnung nach auf eine schlichte „Gabenbereitung“ reduziert.
Ursprünglich sollte das schweigend quasi als reines Handwerk erfolgen, auf Drängen von Papst Paul IV. fanden sich die hochmögenden Theologen des Consiliums schließlich bereit, den Vorgang mit einigen Gebeten begleiten zu lassen. Als Vorlage wählten sie dazu ausgerechnet jüdische Tischgebete aus rabbinischer Zeit, als die Juden den Tempel und dessen Opfer längst verloren hatten und sich darauf beschränkten, Gott für die Erträge der Erde zu danken. Zeitgemäß ergänzten sie das noch durch den Hinweis, daß auch die menschliche Arbeit an diesen Erträgen mitgewirkt habe. Tatsächlich kann man – den Optionen sei es gedankt – den ganzen Vorgang durchlaufen, ohne das Wort „Opfer“ ein einziges mal in den Mund zu nehmen.
Zur Begründung dieses Vorgehens verwiesen die Reformer auf die historischen Ursprünge dieses Abschnitts der Feier, die soweit ersichtlich in der Tat im Vorgang des Herbeibringens von Opfergaben liegen. Dabei wurde anfänglich wohl noch nicht einmal differenziert zwischen den Gaben der Gläubigen für den Unterhalt des Klerus und den Brot- und Weinspenden für die Eucharistie. Genau dieser archaische Zustand erschien den Reformern als wieder zu gewinnendes Ideal. Sie rekonstruierten eine im Westen seit langem verschwundene Prozession der Gläubigen mit Brot und Wein zum Altar und bezogen auch die Erträge der Kollekte „für die Bedürfnisse der Kirche und der Armen“ in diesen Vorgang mit ein. Dabei wurden aber nicht nur die möglichen Mißverständnisse beseitigt, die eine Unterscheidung zwischen der Darbringung von Brot und Wein in der Opferung und dem eucharistischen Opfer erschwert haben mochten – auch der tiefe geistige Gehalt, der sich um die Zeremonien der „Opferung“ im Lauf des ersten Jahrtausends entwickelt hatte, wurde zurückgedrängt.
Ein Element, das dabei sogar ganz verschwunden ist, betrifft die sogenannte Apologie des Priesters zu Beginn seiner Zurüstung des Opfers. Es ist schließlich keine kleine Sache, als kirchlicher Mittler zwischen den Gläubigen und dem allmächtigen Vater, dem das Opfer dargebracht wird, in Persona Christi, also des Opfers selbst, an den Altar zu treten. In der überlieferten Liturgie ist die Erschütterung über diesen Wagemut im Gebet „Suscipe, sancte Pater“ noch zu spüren, wenn der Priester davon spricht, das Opfer „als unwürdiger Diener auch für die eigenen unzähligen Sünden, Fehler und Nachlässigkeitenn“ darzubringen.Tatsächlich hat der Zelebrant in den frühesten Zeiten sogar eigene, ganz persönliche Opfergaben dargebracht – Spuren davon haben sich in den Zeremonien der Papstmesse bis zu deren glorreicher Abschaffung vor 50 Jahren erhalten.
Im hohen und späten Mittelalter, als die Menschen zwar wohl nicht weniger sündigten, aber ein stärkeres Bewußtsein davon hatten als ihre unbeschwerteren Nachkommen, scheinen diese „Apologien“ überhand genommen zu haben, jedenfalls ist beim sonst zumeist sachlich argumentierenden Josef Jungmann ein bis zum Abscheu gehender Unwille zu verspüren, wenn er in diesem Zusammenhang von „höfischem Unterwerfungsgestus“, von „Flut“ oder „Wucherungen“ der Apologien spricht. Anscheinend stand er mit diesem Ressentiment nicht allein – in den neuen Gebeten zur „Gabenbereitung“ ist von diesem Bekenntnis der eigenen Unwürdigkeit nichts übrig geblieben.
Damit entfällt einer der Aspekte, die ein ganz wesentliches Element der alten Ordnung für diesen Teil der Liturgie ausdrückten: Das Bewußtsein dafür, daß wir gerade in der Feier der Sakramente nichts aus uns selbst tun können, außer die notdürftigsten Voraussetzungen für ihre Wirksamkeit zu schaffen. Doch das passte bereits ende der 60er Jahre nicht in die Vorstellungen der Reformer von „Gemeindebeteiligung“ an der Messfeier und ist inzwischen wohl weithin ganz in Vergessenheit geraten. Die in einem zweiten Teil folgende Darstellung des geistlichen Gehalts der alten Opferung kann das weiter ausführen.