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S. Bellarmin zur Liturgie

Bild: Wikimedia CommonsDer hl. Robert Bellarmin war wie sein zeitlich etwas früheres deutsches Gegenstück Petrus Canisius Verfasser eines überaus einflußreichen Katechismus, trägt den Titel eines Kirchenlehrers, und gehörte ebenso wie dieser dem Jesuitenorden an. Die Jesuiten gelten gemeinhin als liturgisch uninteressiert – über Berechtigung und Begründung dieser Ansicht wäre ein andermal nachzudenken. Für Robert Bellarmin gilt das jedenfalls nicht oder nur begrenzt; eine amerikanische Bellarmin-Biographie von 1961 enthält unter anderen einschlägigen Hinweisen den Text eines Briefes, den Bellarmin – seit 1599 Kardinal – im Mai 1617 an seinen Ordensgeneral richtete:

Da bald die Fronleichnamsprozessionen stattfinden werden und diese, wie es heißt, größer und feierlicher sein werden als je zuvor, scheint es mir angemessen, schriftlich zu begründen, warum Diakone und Subdiakone in Dalmatik gekleidet in Hochämtern und bei Prozessionen ihren Dienst verrichten sollten.

1) So ist es, ohne daß irgendeine Ausnahme zulässig wäre, im Zeremoniale von Papst Clemens VIII. und dem Rituale von Papst Paul V. vorgeschrieben. Unter diesen Umständen sehe ich nicht, mit welchem Recht unsere Gesellschaft und vor aller Augen Roms eine dem entgegen stehende Praxis übt.

2) Der (vorgeschriebene) Ritus wird in den Kirchen der ganzen katholischen Welt eingehalten, in Kathedralen, Kollegienkirchen, Pfarreien und Klöstern, gleichgültig, welchem Orden sie angehören. Wie kann es dann unserer Gesellschaft erlaubt sein, etwas anderes zu praktizieren, zumal wir das römische Messbuch, das römische Brevier und das Rituale verwenden und uns dazu bekennen, den Weisungen des apostolischen Stuhles in allen Dingen zu folgen?

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3) Es sieht nicht gut aus, wenn der zelebrierende Prister bei Ämtern zu feierlichen Anlässen selbst die Rolle des Diakons beim Vortrag des Evangeliums und beim Ite missa est übernimmt. Das geschieht so außerhalb unserer Gesellschaft nur bei Priestern auf dem Lande, die keine andere Möglichkeit haben.

4) Bedeutende Prälaten haben diese modische Neuerung unserer Gesellschaft mehrfach angesprochen , und dann weiß ich nie, was ich ihnen antworten soll.

5) Die Gesellschaft hat keine Regel und keine Anordnung, die uns ermächtigt, auf Diakone und Subdiakone zu verzichten – das ist hier nur ein örtlicher Brauch. Als ich selbst in Flandern lebte, habe ich die hl. Messe mit Diakon und Subdiakon gesungen, und wenn der Provinzial zelebrierte, habe ich als Subdiakon amtiert.

Auf all diese Einwände könnte man begegnen, daß die Gesellschaft ein tätiger Orden ist, der sich mit wichtigeren nach Außen gerichteten Werken befasst, und ihre Mitglieder daher nicht die Zeit hätten, alle Zeremonien des feierlichen Hochamts zu erlernen. Dem ist zweierlei entgegen zu halten: Zum ersten sind die Zeremonien weder so zahlreich noch so kompliziert, daß man sie nicht innerhalb einer halben Stunde erlernen könnte. Das weiß ich aus eigener Erfahrung, da ich selbst viele Pontifikalämter in der päpstlichen Kapelle und seinerzeit in Capua gesungen habe. Unsere Patres und Brüder könnten die Zeremonien während einer einzigen täglichen Erholungszeit erlernen, wenn sie von jemandem geschult würden, der sich gut auskennt. Das wäre möglicherweise auch noch eine nützlichere Verwendung dieser Freizeit, als den römischen Klatsch zu diskutieren.

An zweiter Stelle wäre zu fragen: Wenn es zu schwierig ist, diese Zeremonien zu erlernen – warum verzichtet man dann nicht auf das gesungene Hochamt überhaupt und gibt sich mit stillen Messen zufrieden? Es ist durchaus zulässig, eine feierliche Prozession mit einer stillen Messe zu kombinieren, wie man am Beispiel des Papstes an Fronleichnam sehen kann. Tatsächlich wäre es weitaus besser, ganz auf feierliche Hochämter zu verzichten, als sie unter Mißachtung der Rubriken zu zelebrieren.

Soweit der Brief, den wir hier nach der englischsprachigen Wiedergabe bei Fr. Zuhlsdorf übersetzt haben.

Auf das Thema der Jesuiten, die sich über die Rubriken erhaben fühlen, oder der Bischöfe, Kardinäle und neuerdings sogar des Papstes, die diese „vor aller Augen Roms“ und des Erdkreises mißachten, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang aber, wie selbstverständlich es offenbar zu dieser Zeit noch erschien, daß die hl. Messe wo irgend möglich in ihrer Vollform – und das heißt im lateinischen Ritus als levitiertes Hochamt mit gregorianischem Choral - „gesungen“ wurde. Einzige anerkannte Alternative dazu war die Stillmesse, die sich seit Jahrhunderten in den Klöstern, Konventen und Kollegien als Form der Einzelmesse neben dem stets feierlich zelebrierten Konventsamt herausgebildet hatte. Das „gesungene Amt“ des Einzelpriesters war eine rubrikenwidrige Schrumpfform, die man bestenfalls duldete, wo die personellen Voraussetzungen für die Vollform nicht gegeben waren.

Von daher ist es zwar verständlich, daß dieses „gesungene Amt“ bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Form der feierlichen Messe war, die das Bild der Liturgie für die meisten Katholiken bestimmte. Es ist aber nicht verständlich, daß die Liturgiekritiker und -reformer sich einseitig an diesem Bild abarbeiteten und die nach wie vor an vielen Orten – mindestens in den Bischofskirchen als Pontifikalamt - weiterbestehende Vollform nur sehr am Rande in ihre Überlegungen einbezogen.

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