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Freu Dich, Jerusalem!

Bild: Wikimedia Commons, FOTLbillDie freudige Aufforderung „Laetare Jerusalem“ bestimmt am 4. Fastensonntag den Ton der Liturgie. Sogar den Farbton der Gewänder, die an diesem Tag vom Violett der Fastenzeit in eine hellere rosenfarbige Variante (nein, nicht pink!) wechseln.

Nach der traditionellen Zählung der Fastentage war am Donnerstag vor dem 4. Fastensonntag „Halbzeit“ der Tage von Buße und Entbehrung und damit ein äußerer Anlaß, nicht am Tage selbst, aber doch am darauffolgenden Sonntag (und somit außerhalb des eigentlichen Fastens!) schon in der Vorausschau ein wenig von der Osterfreude zu kosten. Laetare, Jerusalem! Den Aufruf des Propheten Jesaias verstärkt die Kirche noch mit dem Zitat des ersten Verses von Psalm 121.: „Wie freute ich mich, als man mir sagte: Wir ziehen zum Hause des Herrn. Die Freude wird allerdings gleich wieder gedämpft im Tagesgebet, das daran erinnert, daß die Zeit der Vorbereitung und der Buße noch nicht vorbei ist:

Wir bitten Dich, allmächtiger Gott, laß uns, die wir mit Recht für unsere Missetaten gezüchtigt werden, durch den Trost Deiner Gnade wieder aufatmen

Das Zitat aus Psalm 121 und seine Verwendung in der Liturgie dieses Sonntags gibt willkommene Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie die Kirche sich die aus dem Judentum ererbten Psalmen und die anderen Bücher des Alten Testaments zum eigenen Besitz erworben hat.

Zunächst lenkt der Vers den Blick, der bei Jesajas auf den als gegenwärtig vorgestellten Tempels gerichtet ist, wieder auf die Zukunft, die erst noch kommen soll: Wir ziehen zum Hause des Herrn – aber noch sind wir nicht da. Das entspricht sowohl der Entstehungssituation des Psalms als auch seinem Gebrauch im vorchristlichen Judentum. Die Entstehung wird allgemein in die Zeit der Beendigung des babylonischen Exils, in die Jahre nach der Freilassung, aber vor der Wiederaufnahme des Kultes im erst wiederherzustellenden Tempel datiert. Danach wurde der Psalm zum Lied der Pilger auf dem Weg in die heilige Stadt. Gut vorstellbar, daß es unter den Liedern war, die gesungen wurden, als die Familie Jesus‘ den 12-Jährigen zum ersten Mal mit zur Feier des Paschafestes nahm. (Lukas 24,41)

Die Kirche hat den Psalm nach der Zerstörung von Stadt und Tempel früh umgedeutet oder besser erweitert in dem Gedanken des pilgernden Aufstiegs zum himmlischen Jerusalem – womit wir wieder ein gutes Stück näher am Sonntag zur Markierung der Mitte des vorösterlichen Fastens wären. Hier geht es weiter Da die Christen die Wallfahrt nach Jerusalem schon früh wieder aufnahmen – möglicherweise schon vor den Juden, denen das Betreten der Stadt nach dem Bar-Kochba-Aufstand von 135 für fast ein Jahrhundert bei Todesstrafe verboten war – haben sicher auch die christlichen Pilger Psalm 121 weiter als Wallfahrerlied gesungen, wenn auch nicht mehr in Hebräisch, sondern in Griechisch oder Syriakisch, später, zur Zeit Egerias (um 380), natürlich auch in Latein. Da fielen dann die alte Bedeutung und die neue Deutung fast ohne Fuge zusammen, zumal seit der Zeit Konstantins und seiner frommen Mutter Helena mit Grabeskirche und Anastasis ein neuer Tempelbezirk entstanden war; freilich nicht auf dem eigentlichen Tempelberg, der zu einem Ödland außerhalb der neuen römischen Stadt gemacht worden war.

Diese Kontinuität auf der Ebene des Wallfahrtsliedes wird abrupt aufgebrochen durch die Epistel aus dem Brief an die Galater, in der der hl. Paulus den Unterschied und ja, auch den Bruch zwischen den beiden Traditionen in aller Schärfe hervorhebt. Er bedient sich dazu des Rückgriffs auf die Geschichte von Abraham und dessen Söhnen von der Hauptfrau Sarah und von der Unfreien Hagar – also jener alttestamentarischen „Regenbogenfamilie“, deren Hauptpersonen Benedikt Schnabel unlängst reichlich unterschiedslos mit einem kirchlichen Gedenktag ehren wollte. Auf Paulus könnte er sich dabei nicht berufen: Der macht sich zwar einerseits die auch von den Juden geteilte Ansicht zu eigen, daß Hagar und ihr (und Abrahams) Sohn Ismael nach der Geburt Isaaks zu Recht verstoßen wurden: „Verstoße die Magd mit ihrem Sohne, denn der Sohn der Magd soll nicht Erbe sein neben dem Sohn der Freien“ (1. Mose 21) – doch dann wendet er diese Analogie auf die jüdische Herkunft des Christentums an und erklärt damit den tiefgreifenden Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Testament. Das alte, repräsentiert von der Unfreien Hagar, „stammt vom Sinai und gebiert zur Knechtschaft“, in der auch das zur Zeit Paulus noch in Blüte stehende Jerusalem verharrt. Das andere Jerusalem aber, „das von oben stammt, ist frei und ist unsere Mutter“.

Das von Isaias und im Psalm besungene „unfreie“ Jerusalem samt seinem Tempel ist also bestenfalls – gerade wie der Donnerstag vor dem 4. Fastensonntag – ein Zwischenstopp auf dem Weg zu dem durch Karfreitag und den Ostersonntag eröffneten eigentlichen Ziel des himmlischen Jerusalems. Dort zu verharren ist sinnlos, einen relativen Wert gewinnen solche Zwischenstationen jedoch aus der Perspektive der Vollendung in Christus.

Diesen relativen Wert hat die Kirche immer gesehen und anerkannt. Sie hat die Psalmen (und das ganze Alte Testament) nicht einer Cancel-Culture überantwortet, sieht man einmal ab von dem Irrlehrer Markion im 2. Jh. ab, der das ganze Alte Testament verwerfen wollte, oder von den modernistischen Redakteuren der Liturgiereform des 20. Jh., die zumindest die so etikettierten „Fluchpsalmen“ aus dem Stundengebet verbannt und zahlreiche Lesungen zeitgeistverträglich kupiert haben. Im Geist der wahren Tradition konnte auch die Freude über das wiedergewonnene Jerusalem des alten Testaments aus dem Psalter – nicht ohne ein in der Lesung hergestelltes „framing“ – in der Liturgie des 4. Fastensonntags ihren Widerhall finden.

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