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Im Zeugnis für die Wahrheit

Bild: Aus der Wiedergabe des Briefes auf Rorate CaeliDer polnische Dominikaner Wojciech Gołaski hat einen Brief an Papst Franziskus, mehrere hohe Würdenträger der Kirche, Obere und Mitglieder seines Ordens sowie an den Distriktsoberen der Piusbruderschaft in Polen veröffentlicht, in dem er die grundsätzlichste Auseinandersetzung mit Traditionis Custodes vornimmt, die uns bisher zur Kenntnis gekommen ist. Der Brief, der inzwischen auf Rorate Caeli in englischer Sprache nachzulesen ist, schließt mit der Mitteilung, daß P. Gołaski sich um Mitgliedschaft in der Piusbruderschaft bewirbt und die Bruderschaft bereits wohlwollende Aufnahme seines Anliegens signalisiert habe.

Über die generelle Zulässigkeit dieses Schrittes oder seine Klugheit zum gegenwärtigen Zeitpunkt mag man unterschiedlicher Ansicht sein. Das ändert aber nichts am Wert und der Schlüssigkeit der von P. Gołaski vorgetragenen Gesichtspunkte und Argumente, mit denen sich künftig jeder auseinandersetzen muß, der die mit dem Pontifikat von Franziskus ja nicht nur erst seit TC aufgeworfenen Fragen im Hinblick auf die Wahrheit des Glaubens beantworten will und sich nicht mit Machtworten zufrieden geben will.

Der Brief von P. Gołaski besteht aus drei Teilen: Einer Beschreibung seiner „Entdeckung“ der überlieferten Liturgie im 16. Jahr seines Priestertums und den daraus gewonnenen Einsichten, die ihn unter anderem zur regelmäßigen Zelebration im usus antiquor führten. Dann dem durch TC ausgelösten Schock, der nicht nur seine persönlichen Einsichten, sondern die gesamte liturgische und lehrmäßige Tradition der Kirche in Frage stellte und schließlich einer eingehenden Analyse der philosophischen und theologischen Fehlkonzeptionen des Papstes und seiner Berater, auf deren Grundlage TC (und andere Maßnahmen) erlassen wurden.

Den ersten Teil lassen wir hier ganz aus. Er enthält zwar eine durchaus lesenswerte Darstellung des Vorgangs und der Auswirkungen der Entdeckung der Tradition auf einen lange nach dem Konzil ausgebildeten und geweihten Priester, fügt aber früheren „Entdeckungsberichten“ anderer Priester nichts wesentlich Neues hinzu. Den zweiten Teil mit der Beschreibung des TC-Schocks und den dritten Teil mit der Analyse der Fehlkonzeptionen übersetzen wir im Folgenden ganz. Da der vorliegende englische Text bereits eine Übersetzung aus dem Polnischen darstellt, wird eine in die Tiefe gehende Auseinandersetzung mit dieser Analyse möglicherweise nur auf Basis des Originals erfolgen können. Wir begnügen uns hier mit der schlichten Übersetzung und überlassen die Detaildiskussion den Spezialisten.

Es beginnt ein langes ZitatAus Ihren Dokumenten, Heiliger Vater, erfuhr ich, daß der Weg, auf dem ich die vergangenen 12 Jahre gegangen war, nicht mehr existierte. Wir haben nun Aussagen von zwei Päpsten. Seine Heiligkeit Benedikt XVI hatte gesagt, daß das römische Meßbuch des hl. Papstes Pius V „als der außerordentliche Ausdruck der lex orandi der katholischen Kirche des römischen Ritus anzusehen ist“. Aber seine Heiligkeit Papst Franziskus sagt, daß „die liturgischen Bücher der hl. Päpste Paul VI und Johannes Paul II (…) der einzige Ausdruck der lex orandi des römischen Ritus“ sind. Die Aussage des Nachfolgers verneint somit die seines noch lebenden Vorgängers.

Hier geht es weiterKann eine bestimmte Zelebrationsweise der Messe, die durch eine seit Jahrhunderten beachtete Tradition und alle Päpste, bis zum 16. Juli 2021 einschließlich Ihrer Selbst, Heiliger Vater, bekräftigt und durch ihre Feier während so vieler Jahrhunderter geheiligt ist, plötzlich aufhören, die lex orandi des römischen Ritus zu sein? Wenn das der Fall wäre, würde das bedeuten, daß diese Eigenschaft nicht etwas ist, das dem Ritus im Inneren eigentlich ist, ist sondern eine äußerliche Zuschreibung, die von den Entscheidungen derer abhängt, die Positionen hoher Autorität innehaben. In Wirklichkeit drückt die überlieferte Liturgie in jeder Geste und in jedem Satz und in dem ganzen daraus gebildeten Gesamt die lex orandi des römischen Ritus aus. Und wie die Kirche stets angenommen hat, ist sie sicherer Ausdruck dieser lex orandi auf Grund ihres seit unvordenklichen Zeiten ununterbrochen andauernden Gebrauchs. Wir müssen daraus folgern, daß die erste päpstliche Aussage (von Benedikt) sicher begründet und wahr ist und daß die zweite (von Franziskus) unbegründet und falsch ist. Doch auch wenn sie falsch ist, hat sie dennoch Gesetzeskraft. Das hat Konsequenzen, zu denen ich mich weiter unten äußern werde.

Zugeständnisse hinsichtlich der Verwendung des Messbuchs von 1962 haben nun einen anderen Charakter als frühere. Es geht jetzt nicht mehr um eine Antwort auf die Liebe, die die Gläubigen der früheren Form entgegenbringen, sondern darum, dem Gläubigen eine Frist zu geben – wie lange, sagt man uns nicht – um zur reformierten Liturgie „zurückzukehren“. Der Text des motu proprio und Ihr Brief an die Bischöfe machen es ganz klar, daß die Entscheidung bereits gefallen ist und mit ihrer Umsetzung bereits begonnen wurde, um die überlieferte Liturgie aus dem Leben der Kirche zu entfernen und in Vergessenheit sinken zu lassen: Sie darf nicht mehr in Pfarrkirchen gefeiert werden, es dürfen keine neuen Gemeindegruppen gebildet werden, Rom ist zu konsultieren, wenn neue Priester sie zelebrieren wollen. Die Bischöfe sind jetzt wahrhaftig „Wächter der Tradition“, aber nicht im Sinne von Wächtern, die sie beschützen, sondern eher im Sinne von Wächtern in einem Gefängnis.

Gestatten Sie mir den Ausdruck meiner Überzeugung, daß das so nicht geschehen wird und daß die Operation scheitert. Worauf gründet sich diese Überzeugung? Eine sorgfältige Analyse der beiden Texte vom 16. Juli enthüllt vier Elemente: Hegelianismus, Nominalismus, Glaube an die päpstliche Allmacht und Kollektivverantwortung. Jedes dieser Elemente bildet einen wesentlichen Bestandteil ihrer Botschaft – und keines davon ist mit den Grundsätzen des Katholischen Glaubens vereinbar. Da sie nicht mit dem Glauben vereinbar sind, werden sie auch weder in der Theorie noch in der Praxis darin Eingang finden können. Lassen sie uns diese Elemente der Reihe nach im Einzelnen untersuchen.

1. Hegelianismus

Das ist hier als Fachterminus gebraucht. Der Ausdruck bezeichnet nicht wörtlich das System des Philosophen Hegel, sondern etwas, das von seinem System abgeleitet ist, nämlich das Verständnis von Geschichte als eines guten, rationalen und unvermeidlichen Prozesses andauernder Veränderungen. Dieser Denkansatz hat eine lange Geschichte von Heraklit und Plotin über Joachim von Fiore bis zu Hegel, Marx und deren modernen Erben. Charakteristikum dieses Ansatzes ist die Einteilung der Geschichte in Phasen derart, daß der Beginn jeder neuen Phase mit dem Ende der vorhergehenden verbunden ist. Versuche, den Hegelianismus zu „taufen“, bedeuten nichts anderes als den Versuch, diese angenommenen historischen Phase mit der Autorität des Heiligen Geistes auszustatten. Dabei wird angenommen, daß der Heilige Geist der nächsten Generation etwas mitteilt, von dem er zur vorhergehenden noch nicht gesprochen hat, oder daß er sogar etwas mitteilt, das im Gegensatz zu dem steht, was er vorher gesagt hat. Im letzteren Fall müssen wir uns zwischen drei Alternativen entscheiden: Entweder ist die Kirche in bestimmten Phasen dem Heiligen Geist nicht gefolgt, oder der Heilige Geist ist der Veränderung unterworfen, oder er enthält Widersprüche in sich selbst.

Eine andere Konsequenz dieser Weltanschauung ist eine Veränderung unseres Verständnisses von Kirche und Tradition. Die Kirche erscheint dann nicht länger als eine Einrichtung, die die Gläubigen aller Zeiten miteinander vereint, wie es der katholische Glaube annimmt, sondern als eine Mehrzahl von Gruppen entsprechend den jeweiligen Phasen. Diese Gruppen haben keine gemeinsame Sprache mehr, unsere Vorfahren hatten keinen Zugang zu dem, was der Heilige Geist uns heute mitteilt. Die Tradition selbst ist nicht länger eine Botschaft, die im Zusammenhang studiert wird, sondern sie besteht eher darin, immer wieder Neues vom Heiligen Geist zu empfangen. Dann ist, wie in Ihrem Brief an die Bischöfe, die Rede von der „Dynamik der Tradition“, oft im Zusammenhang mit bestimmten Ereignissen. Ein Beispiel ist es, wenn Sie schreiben, daß die „letzte Stufe dieser Dynamik das zweite Vatikanische Konzil ist, bei dem sich die katholischen Bischöfe versammelten, um zuzuhören und zu ergründen, welchen Weg der Heilige Geist der Kirche zeigt“. Diese Argumentation impliziert dann auch, daß eine neue Phase neue liturgische Formen erfordert, da die früheren zwar dem vorherigen Stadium entsprachen, das aber nun vorbei ist. Da diese Abfolge der Stadien durch das Konzil vom Heiligen Geist vorgegeben ist, widersetzen sich diejenigen, die an den früheren Formen festhalten, obwohl sie Zugang zu den neuen hätten, dem Heiligen Geist.

Derartige Ansichten widersprechen dem Glauben. Die Heilige Schrift als die Grundlage des katholischen Glaubens bietet für ein solches Geschichtsverständnis keine Grundlage. Statt dessen lehrt sie uns ein vollständig anderes Verständnis. Als König Josia von der Entdeckung des alten Gesetzbuches erfahren hatte, ordnete er an, die Feier des Paschafestes nach dessen Vorgabe durchzuführen, obwohl es eine Unterbrechung von einem halben Jahrhundert gegeben hatte (2 Könige 22-23). In der gleichen Weise feierten Ezra und Nehemia bei ihrer Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft das Laubhüttenfest mit dem ganzen Volk genau nach der Vorgabe der alten Gesetzesvorschriften, obwohl seit der letzten Feier viele Jahrzehnte vergangen waren (Nehemia 8). In beiden Fällen wurden die alten Gesetzestexte verwandt, um den Gottesdienst nach einer Periode der Verwirrungen zu erneuern. Niemand verlangte eine Veränderung der Riten, weil eine neue Zeit angebrochen wäre.

2. Nominalismus

Während der Hegelianismus das Verständnis von Geschichte betrifft, beeinflußt der Nominalismus das Verständnis von Einheit. Der Nominalismus geht davon aus, daß äußerliche Einheitlichkeit (durch eine administrative Entscheidung von Oben) gleichbedeutend ist mit tatsächlicher Einheit. Das kommt daher, daß der Nominalismus geistige Einheit zugunsten der Schaffung von Einheit durch Vorgaben und Maßstäbe aufgibt. Sie, Heiliger Vater, schreiben: „Um die Einheit des Leibes Christi zu verteidigen, bin ich gezwungen, die von meinen Vorgängern zugestandenen Erlaubnisse zurückzuziehen.“ Aber um dieses Ziel zu erreichen, haben ihre Vorgänger mit guten Gründen die entgegengesetzte Entscheidung getroffen. Wenn man versteht, daß wahre Einheit eine geistige und eine innere Komponente hat und sich insoweit von bloßer äußerer Einheit unterscheidet, dann wird man Einheit nicht nur in der Uniformität der äußeren Erscheinung suchen. Damit erreichen wir keine wirkliche Einheit, sondern bloß Verarmung und das Gegenteil von Einheit: Spaltung.

Einheit entsteht nicht aus dem Entzug von Erlaubnissen, der Zurücknahme von Genehmigungen und der Auferlegung von Beschränkungen. Bevor König Rehoboam von Juda entschied, wie er in Sachen der Israeliten vorgehen sollte, die ihn um eine Erleichterung ihrer Lage gebeten hatten, befragte er zwei Gruppen von Ratgebern. Die älteren empfahlen Milde und eine Verminderung der Lasten des Volkes – Alter steht in der Heiligen Schrift oft für Reife. Die Jüngeren aus der gleichen Generation wie der König empfahlen eine strenge Antwort und die Vermehrung der Lasten – Jugend steht in der Heiligen Schrift oft für Unreife. Der König folgte dem Rat der Jungen. Doch damit war die Einheit zwischen Juda und Israel nicht zu erreichen. Im Gegenteil: damit begann die Spaltung des Landes in zwei Königreiche (Könige 12). Unser Herr heilte diese Spaltung durch Milde, denn er wußte, daß der Mangel an dieser Tugend die Spaltung verursacht hatte.

Vor Pfingsten beurteilten die Apostel Einheit nach äußeren Kriterien. Der Erlöser selbst hat dieses Verhalten berichtigt. Als der Hl. Johannes ihm sagte: „Meister, wir haben gesehen, wie ein Mann in Deinem Namen böse Geister austrieb, das haben wir nicht zugelassen, weil er keiner von uns war“ antwortete er: „Laßt ihn gewähren, denn wer nicht gegen euch ist, ist mit euch“. (Lk 9, 49-50, vergl. Mt 9, 38-41). Heiliger Vater, Sie hatten viele hunderttausend Gläubige, die nicht „gegen Sie waren“. Und Sie haben so viel getan, um ihnen das Leben schwer zu machen! Wäre es nicht besser gewesen, den Worten des Erlösers entsprechend eine tiefere, geistige Grundlegung von Einheit anzuzeigen? Hegelianismus und Nominalismus sind oft Verbündete, weil das materialistische Verständnis von Geschichte zu der Überzeugung führt, daß jedes Stadium zu einem unwiderruflichen Ende kommt.

3. Glaube an die Unfehlbarkeit des Papstes.

Als Papst Benedikt XVI größere Freiheiten für den Gebrauch der klassischen Form der Liturgie gewährte, bezog er sich auf einen jahrhundertealten Brauch und Usus. Das ergab eine solide Basis für seinen Entschluss. Die Entscheidung Eurer Heiligkeit basiert auf keiner solcher Grundlage. Heiliger Vater, sie hebt etwas auf, das schon sehr lange existiert und überdauert hat. Heiliger Vater, Sie schreiben, daß Sie in den Entscheidungen des Hl. Pius V Unterstützung finden, aber der hat Kriterien angewandt, die genau das Gegenteil Ihrer eigenen sind. Was Jahrhunderte bestanden hat und Bestand hatte, sollte seiner Meinung nach weiter bestehen, nur das Neue sollte abgeschafft werden...Die einzige Grundlage für Ihre Entscheidung ist daher der Wille einer Person, die mit päpstlicher Autorität ausgestattet ist. Kann diese Autorität - wie groß sie auch sein mag - leugnen, daß die alten liturgischen Bräuche Ausdruck der lex orandi der Römischen Kirche sind? Der Hl. Thomas von Aquin stellt sich die Frage, ob Gott bewirken kann, daß etwas, das einmal existiert hat, nie existiert hat? Die Antwort ist nein, denn Widerspruch gehört nicht zu Gottes Allmacht. (Summa Theologiae, S.1, 25, Art.4). So kann auch die päpstliche Autorität nicht bewirken, daß traditionelle Rituale, die jahrhundertelang den Glauben der Kirche (lex credendi) ausgedrückt haben, eines Tages plötzlich nicht mehr das Gesetz des Betens der selben Kirche (lex orandi) zum Ausdruck bringen. Der Papst kann Entscheidungen treffen, aber keine, die eine Einheit verletzen, die sich - weit über die Dauer des Pontifikates hinaus - auf Vergangenheit und Zukunft erstrecken. Der Papst steht im Dienst der Einheit, die größer ist als seine Autorität. Das ist eine von Gott gegebene Einheit- nicht menschlichen Ursprungs. Daher hat diese Einheit Vorrang vor der Autorität und nicht die Autorität vor der Einheit.

4. Kollektive Verantwortung.

Wenn Sie auf die Motive Ihrer Entscheidung hinweisen, Hl. Vater, erheben Sie diverse und schwere Vorwürfe gegen jene, die die von Papst Benedikt XVI gewährten Möglichkeiten nutzen. Es wird aber nicht erklärt, wer diesen Mißbrauch begeht, oder wo und wie viele. Da sind nur die Worte "oft" und "viele". Wir wissen nicht einmal, ob das eine Mehrheit ist. Wahrscheinlich nicht. Obwohl keine Mehrheit- sind alle jene, die die oben erwähnten Möglichkeiten nutzen, dennoch durch eine drakonische Sanktion betroffen. Sie sind- entweder sofort oder in einer nicht näher bezeichneten Zukunft ihres spirituellen Weges beraubt worden. Es gibt sicher Leute, die Messer mißbrauchen. Sollte deshalb die Produktion und Verbreitung von Messern verboten werden? Ihre Entscheidung, Hl. Vater, ist weitaus schmerzlicher als es die hypothetische Absurdität eines universalen Verbots der Herstellung von Messern wäre.

Heiliger Vater, warum tun Sie das? Warum haben Sie die heilige Praxis der antiken Form, das Allerheiligste Opfer unseres Herrn zu zelebrieren, angegriffen? Die Mißbräuche bei anderen Formen, obwohl weit verbreitet oder universal, führen zu nichts als Worten, die nicht über allgemeine Begriffe hinausgehen. Aber wie kann man mit Autorität lehren, daß "das Verschwinden einer Kultur genau so schwerwiegend, oder sogar noch schwerwiegender ist, als das Verschwinden einer Pflanzen-oder Tierart. "(Laudato Si` 145) und dann einige Jahre später- in einem einzigen Schritt- beschließen, daß große Teile des eigenen spirituellen und kulturellen Erbes der Kirche ausgelöscht werden müssen? Warum gelten die Regeln der von Ihnen formulierten "tiefen Ökologie" in diesem Fall nicht? Warum haben Sie nicht stattdessen gefragt, ob die ständig wachsende Zahl der Gläubigen, die die traditionelle Liturgie besuchen, ein Zeichen des Hl. Geistes sein könnte? Sie haben den Rat von Gamaliel (APG..5) nicht befolgt. Stattdessen schlagen Sie sie mit einem Bann, für den es nicht einmal eine vacatio legis gibt.

Gott der Herr, Modell für die irdischen Herrscher - und vor allem für Kirchenautoritäten - benutzt seine Macht nicht auf diese Weise. Die Hl. Schrift spricht so zu Gott: "Deine Stärke ist ja Grund für Deine Gerechtigkeit und der Umstand, daß Du alles beherrscht, gestattet Dir, alles zu schonen. Stärke zeigst Du nur, wenn man an die Machtfülle nicht glaubt, und Du bestrafst den Trotz bei denen, die sie kennen. Obgleich Du über Stärke verfügst, richtest Du mit Milde und leitest uns mit großer Nachsicht, denn die Macht steht Dir zur Verfügung, sobald Du willst." (Wis 12, 16-18).

Wahre Macht muß sich nicht selbst durch Härte beweisen. Und Härte ist keine Eigenschaft der Autorität, die dem göttlichen Beispiel folgt. Unser Erlöser selbst hat uns eine genaue und verläßliche Lehre dazu hinterlassen (Mt. 20, 24-28) . Nicht nur ist - sozusagen - den Leuten der Teppich unter den Füßen weggezogen worden, die auf Gott zugehen; es ist der Versuch gemacht worden, sie des Bodens, auf dem sie gehen, zu berauben. Dieser Versuch wird nicht gelingen. Nichts, das im Konflikt zum Katholizismus steht, wird in Gottes Kirche akzeptiert werden.

Heiliger Vater, es ist unmöglich, 12 Jahre lang den Grund unter den eigenen Füßen zu erleben und plötzlich festzustellen. daß er nicht mehr da ist. Es ist unmöglich, zu beschließen, daß meine eigene - nach vielen Jahren wiedergefundene - Mutter nicht meine Mutter ist! Die päpstliche Autorität ist sehr groß. Aber selbst sie kann nicht bewirken, daß meine Mutter aufhört, meine Mutter zu sein. Ein einziges Leben kann keine zwei sich gegenseitig ausschließende Rupturen ertragen, von denen die eine einen Schatz öffnet, während die andere behauptet, daß dieser Schatz liegen gelassen werden muß, weil er seinen Wert verloren hat. Wenn ich solche Widersprüche akzeptieren müßte, hätte ich keinerlei intellektuelles Leben mehr und deshalb auch kein spirituelles Leben. Bei zwei sich widersprechenden Statements kann man befehlen, jede Behauptung- wahr oder falsch- zu befolgen. Das bedeutet das Ende des rationalen Denkens, das Ende jeder Wahrnehmung von Realität, das Ende einer effektiven Kommunikation von irgendwas zu irgendwem. Aber alle diese Dinge sind Grundkomponenten des menschlichen Lebens im Allgemeinen und des dominikanischen im Speziellen.

Ich habe keine Zweifel bzgl. meiner Berufung. Ich bin fest entschlossen, mein Leben und meinen Dienst innerhalb des Dominikanerordens fortzuführen. Aber um das zu tun, muß ich in der Lage sein, vernünftig und logisch zu argumentieren. Nach dem 16. Juli 2021 ist das für mich innerhalb der bestehenden Strukturen nicht mehr möglich. Ich sehe vollkommen klar, daß der Schatz der heiligen Riten der Kirche, der Grund unter den Füßen jener, die sie praktizieren und die Mutter ihrer Frömmigkeit, weiterhin existiert. Mir ist ebenso klar geworden, daß ich Zeugnis dafür ablegen muß.

Mir ist jetzt keine andere Möglichkeit geblieben, als mich an jene zu wenden, die ganz am Anfang der radikalen Veränderungen (Veränderungen- lassen Sie mich das feststellen - die weit über den Willen des II. Vaticanischen Konzils hinausgehen) die Tradition der Kirche - zusammen mit dem Respekt der Kirche vor den Erfordernissen der Vernunft - verteidigt haben und die fortfahren, das unveränderliche Erbe des Katholischen Glaubens den Gläubigen weiterzugeben: der Priesterbruderschaft des Hl. Pius X. Die FSSPX hat ihre Bereitschaft gezeigt, mich anzunehmen-und meine Dominikanische Identität zu akzeptieren. Sie ermöglicht mir nicht nur ein Leben des Dienstes an Gott und der Kirche, einen Dienst, der nicht durch Widersprüche behindert wird, sondern auch die Gelegenheit, jenen Widersprüchen entgegen zu treten, die ein Feind der Wahrheit sind und die die Kirche so kräftig angegriffen haben.

Es gibt eine Kontroverse zwischen der FSSPX und den offiziellen Strukturen der Kirche. Das ist ein innerer Streit innerhalb der Kirche und betrifft Angelegenheiten von großer Wichtigkeit. Die Dokumente und Entscheidungen des 16. Juli haben dazu geführt, daß mein Standpunkt in diesem Thema mit dem der FSSPX konvergiert. Wie im Fall irgendeines wichtigen Streites, muß auch dieser entschieden werden. Ich bin entschlossen, dem meine Bemühungen zu widmen, Ich betrachte diesen Brief als Teil dieser Bemühung. Die Mittel, die ich benutze, können nur demütiger Respekt für die Wahrheit und Sanftheit sein, die beide einer übernatürlichen Quelle entspringen, Dann können wir auf die Beendigung der Kontroverse und die Wiederherstellung der Einheit hoffen, die nicht nur die jetzt Lebenden umfaßt sondern auch alle Generationen- sowohl frühere als auch zukünftige.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie meinen Worten gewidmet haben und bitte Sie, Allerheiligster Vater, um Ihren Apostolischen Segen.

In kindlicher Ehrerbietung ín Christus

Fr. Wojciech Gołaski, O.P.

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