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Resurrexit, sicut dixit

Bild: Wikimedia CommonsIn der Liturgie wird das Fest der Auferstehung nicht nur am Ostersonntag und dem ihm als säkularer „sozialer Besitzstand“ folgenden Ostermontag gefeiert, sondern eine ganze Woche lang – bis zum „Weißen Sonntag“, an dem die in der Osternacht neu Getauften ihre weißen Taufkleider wieder ablegten. Von daher haben wir also allen Grund, uns für die (wenigen) in dieser Woche geplanten Beiträge auf Ostern zu konzentrieren und die unersprießlichen kirchenpolitischen Themen ganz außen vor zu lassen.

Einen ersten Anlaß, eher ist es ein veritabler Stolperstein, biete gleich der Introitus der Ostermesse, der (auch im Novus Ordo) mit dem Vers beginnt:

„Auferstanden bin Ich, und bin nun immerdar bei Dir, alleluja. Du legtest Deine Hand auf Mich, alleluja. Gar wunderbar ist Deine Weisheit, alleluja.“

Als Quelle – der Introitus wird immer aus den Psalmen genommen – ist dann Psalm 138, 18 u. 5 angegeben, und die Frage liegt nahe: Wie kommt dieser österliche Auferstehungsjubel von Vers 18 in die ganz entschieden vorösterlichen Psalmen? Zwar ist 138 sicher nicht so alt, wie die traditionelle Zuschreibung „von David“ angibt – aber um ein halbes Jahrtausend vor Geburt, Tod und Auferstehung des Herrn dürfte er schon entstanden sein.

Wer zur Anwort auf diese Frage nach einem der Standardwerke nachkonziliarer Psalmenerklärung greift, findet wenig Aufschluß. Zunächst muß er schon einmal wissen, daß die Neokatholiken die Psalmen wie die Juden und die Protestanten nach der masoretischen Bibel zählen und übersetzen – man muß also nach Psalm 139 suchen. Die Einheitsübersetzung gibt unter dieser Nummer den Text des Psalms, den man als eine Meditation über die Allgegenwart Gottes und seine umfassende Fürsorge für die Kleinheit des Menschen lesen kann, zu Vers 18 ohne jeden Kommentar mit „Ich erwache, und noch immer bin ich bei Dir“ wieder. Dem Kontext nach wäre das „Ich“, das hier erwacht, also der meditierende Beter – und das ist, wenn man den Blick auf den Entstehungszusammenhang des Psalms beschränkt, auch zu rechtfertigen, zumal es der wörtlichen Bedeutung des hier im Hebräischen stehenden Verbs durchaus entspricht. Und die Brücke von „erwachen“ zu „auferstehen“ ist auch nicht sehr schwer zu schlagen.

Allerdings wirft dieses „erwachen“ im engeren Kontext von Vers 18 ein gewisses Problem auf: Nirgendwo ist da die Rede von „schlafen“, sondern der meditierende Beter ist, wenn man das so sagen kann, sogar sehr beschäftigt: als Bild für die Unegründlichkeit Gottes hat er gerade die Unzählbarkeit der Sandkörner an einem Strand angeführt. Hier geht es weiter Seit Ende des 19. Jahrhunderts greifen daher viele jüdische und protestantische Bibelwissenschaftler hier zu einer der beliebten „Emendationen“ des Textes: Man ersetzt das „schwierige“ Wort, da angeblich in der Überlieferung falsch abgeschrieben oder mißverstanden, durch ein gefälligeres. In den Worten von Hermann Gunkel, einer der Größen der historisch-kritischen Methode, in seiner Psalmenerklärung  von 1926:

(Hier steht wörtlich) „bin ich erwacht“; aber die Voraussetzung, daß der Dichter beim Nachdenken über Gottes Größe eingeschlafen sei, ist sehr unschön, und der Gedanke an das Wiedererwachen aus dem Todesschlaf (Klostermann) liegt ganz fern. Man lese mit Halévy besser: „bin ich zu Ende“.

Und genau so liest und übersetzt es denn auch 100 Jahre nach Halévy der an unseren Priesterseminaren mit unhinterfragbarer Autorität ausgestattete Bibelerklärer Erich Zenger in seinen Psalmen-Auslegungen (Herder 2003):

Doch mir, wie schwer sind mir Deine Gedanken,
o Gott, wie gewaltig ist ihre Zahl?
Wollte ich sie zählen, sie sind zahlreicher als der Sand,
wäre ich damit am Ende, wäre ich noch immer bei Dir.

Wieder eine „schwierige Stelle“ aus dem Alten Testament eliminiert – und nicht nur den Stein des Anstoßes zum Nachdenken über die konkrete Passage entfernt, sondern auch noch das Problem „Auferstehung“ elegant umgangen.

Soviel zum Thema „Urtext“.

Dabei sind die „katholischen“ Grundlagen jeder Bibelarbeit in in dieser Sache durchaus eindeutig: Sowohl die Septuaginta als auch die Vulgata sprechen hier von „(wieder)aufstehen“. Und es ist der „Einheitsübersetzung“ einerseits durchaus zu gute zu halten, daß sie mit ihrem „erwachen“ zumindest in der Nähe dieser Bedeutung bleibt. Damit bleibt freilich immer noch die Frage offen, wer hier und von was erwacht oder aufsteht. Der Psalmtext in seiner ursprünglichen Bedeutung, wie er jahrhundertelang von frommen Juden rezitiert worden ist, meint dabei zweifellos das sich wieder Erheben von der ja nur in der Hocke oder auf Knien vorstellbaren Tätigkeit des Zählens von Sandkörnern. Von daher bis zur Wiederaufersthung des Ostersonntags ist ein weiter Schritt – möchte man meinen.

Doch bei genauerem Hinsehen und im Licht des Neuen Testamentes ist dieser Schritt mehr als nachvollziehbar. Schließlich gehörte auch Jesus von Nazareth zu den frommen Juden, die diesen Psalm im Lauf ihres Lebens immer wieder gebetet haben, und so wurde dieser Text zum Teil seines unaufhörlichen und nach der Auferstehung noch einmal intensivierten Zwiegesprächs mit dem Vater. Mit Inkarnation und Auferstehung ist den Psalmen eine zusätzliche Bedeutungsebene zugewachsen, wir als irdische Beter nicht immer nachvollziehen und in vielen Fällen auch nicht in ihrer Tiefe erschließen können. Das demonstrative Bestehen auf dem sog. „hebräischen Urtext“ läuft in vielen Fällen darauf hinaus, die Existenz dieser Ebene grundsätzlich zu bestreiten – an Erich Zengers übersetzung von Psalm 138,18 (und zahlreichen anderen Beispielen) ist zu sehen, wohin das führt: Geradewegs aus dem Christusglauben heraus! Wer die auch noch im Schott Online gebotene Quellenangabe (Ps. 139, 18. 5-6) mit Zengers Übersetzung vergleicht, landet im Nirgendwo.

Die überlieferte Liturgie bietet auch hier einen sicheren Anker. Mit ihrem „resurrexi“ greift sie auf eine lateinische Form der Psalmenübersetzung zurück, die noch älter ist als die Vulgata, und macht so unübersehbar deutlich, daß sie von der Auferstehung des Gekreuzigten und nicht vom Aufstehen eines Sandkörnerzählers oder vom Erwachen eines in Meditation versunkenen Beters sprechen will. Die deutsche Übersetzung im Schott kann noch ein weiteres Mittel zur Verdeutlichung einsetzen: Sie schreibt das „Ich“ und „Mich“ des Sprechenden ebenso mit großem Anfangsbuchstaben wie das „Du“ und „Dein“ des angesprochenen Vaters. Die Liturgie betet den Psalm also nicht mehr auf der Ebene des irdischen Beters – in der wir ihn und die anderen Psalmen auf der unteren Stufe des Verrständnisses sicher notgedrungen immer wieder beten – sondern in der Perspekte des innertrinitarischen Dialogs. 

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