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Ohne Tradition können wir nicht leben

Bild: Screenshot  YoutubePeter Kwasniewski hat zu Beginn des Monats vier Vorträge vor der Latin Mass Community in Charlotte, North Carolina gehalten. Generalthema: Zur Situation der überlieferten Liturgie nach Traditionis Custodes. Der erste davon ist bereits gestern auf RorateCaeli vollständig veröffentlicht worden, mit den folgenden ist in den kommenden Tagen zu rechnen. Wir bringen hier eine von uns übertragene Zusammenfassung des ersten Vortrags, bei der wir die uns am wichtigsten erscheinenden Teile auch wörtlich übersetzt haben. Die ganze Lektüre oder auch das Anhören der Aufzeichnung auf YouTube ist sehr empfohlen.

Der Primat von Tradition und Gehorsam zur Wahrheit

Zu Beginn seines Vortrages zitiert Kwasniewski mehrere Aussagen von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. zur fortdauernden Hochschätzung und Geltung der überlieferten Liturgie, die schließlich in dessen bekanntem Diktum gipfelten: „Was früheren Generationen heilig war, bleibt auch uns heilig und groß; es kann nicht plötzlich rundum verboten oder gar schädlich sein.“ (Summorum Pontificum). Das ist, so Kwasniewski, keine persönliche Meinung, der man auch andere Meinungen entgegen stellen könnte, sondern eine unhintergehbare lehramtliche Aussage, die ihrerseits auf zahlreiche andere lehramtliche Aussagen gestützt ist. Als Beispiele dafür führt Kwasniewski die verschiedenen Formen des (inzwischen wegreformierten) Amtseides der Päpste an, die ganz klar zum Ausdruck bringen, daß ein Papst kein unumschränkter Herrscher ist, sondern auch in Sachen der Disziplin und des Ritus an das gebunden ist, was ihm die Kirche überliefert hat. In die gleiche Richtung gehen Beschlüsse der Konzile von Konstanz und Trient, die Kwasniewski hier anführt.

Tatsächlich, so fährt der Redner dann fort, haben bedeutende Kirchenrechtler und Theologen der (Nach-)Reformationszeit wie Thomas Cajetan, Juan de Torquemada, Sylvester Prierias, Francisco de Vitoria oder Suárez aus dieser Beschlußlage stets die Konsequenz gezogen, daß Päpste, die gegen diese Grundlagen verstoßen, keinen Anspruch auf Gehorsam seitens ihrer Untergebenen haben. In den Worten des Jesuiten Francisco Suárez (1548 – 1617):

Wenn der Papst etwas anordnet, das der rechten Ordnung widerspricht, muß man ihm nicht gehorchen. Wenn er versucht, etwas zu tun, das offensichtlich gegen Rechtlichkeit und das Allgemeine Wohl verstößt, ist es zulässig, ihm zu widerstehen. Wenn er mit Gewalt angreift, darf man ihm auch mit Gewalt widerstehen, soweit man die stets zur Verteidigung gebotenen Grenzen einhält.“

Hier geht es weiter Das ist eine beeindruckende Phalanx gelehrter Häupter. Dabei ist es Kwasniewski besonders wichtig, daß diese Juristen und Theologen nicht nur ein höchst abstraktes Widerstandsrecht für einen theoretischen Fall proklamieren, sondern daß sie offensichtlich davon ausgehen, daß ein solcher Fall tatsächlich eintreten kann und daß die von ihrem obersten Hirten verlassenen und verratenen Gläubigen auch fähig sind, das wahrzunehmen und entsprechend zu handeln. Kwasniewski:

Wir sind keine passiven Automaten, die darauf warten, daß ihnen jemand sagt, daß der Papst etwas falsches lehrt oder etwas tut, das es verdient, zurückgewiesen und bekämpft zu werden. Unser wohl ausgebildeter Verstand und Glauben befähigt uns, die Schlüsse aus seinen Worten und Handlungen zu ziehen (...)

Päpste sind von einer großen Versuchung bedroht – vielleicht entsprechend Actons nicht völlig falscher Annahme, daß „Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert absolut“. Sie sind versucht, sich selbst als Quelle und Maßstab dessen, was katholisch ist, zu betrachten, wo sie doch nur dessen Empfänger, dessen Diener und Verteidiger sind. Den Tiefpunkt dieser Verirrung bezeichnet die bekannte Reaktion von Pius IX. auf einen franziskanischen Kardinal, der es wagte, Widerspruch gegen die Formulierung der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem I. Vatikanum zu erheben: und den er anschrie: „Io, io sono la tradizione! Io, io sono la chiesa!“ (Ich, ich bin die Tradition, ich, ich bin die Kirche!) Das ist das kirchliche Äquivalent zu Ludwigs XIV. „L’Etat, c’est moi,” als wollte der Papst sagen – die Kirche, das bin ich. Ein zutreffendes Verständnis der päpstlichen Autorität – auch entsprechend der tatsächlichen Lehre des I. Vatikanums zusammengenommen mit allen anderen darauf bezüglichen Lehren – läßt erkennen, daß diese Autorität nicht einfach absolut und unbegrenzt ist, sondern in mehrfacher Weise relativ und und begrenzt ist, so wie Gregor der Große den Papst als den „Diener der Diener Gottes“ beschrieben hat.

Aus diesem Grund ist Traditionis Custodes nichtig und ungültig von der ersten bis zur letzten Zeile. Es gründet auf einer Unmöglichkeit, auf einer Unlogik, auf einem Widerspruch. Es greift das innere Wesen der Kirche in ihrem göttlichen und Gott-genehmen Gottesdienst an. Es greift ihre lex credendi an. Es greift das Allgemeine Wohl aller Gläubigen an – sowohl derer, die den römischen Ritus, als auch derer, die andere Riten des Westens oder des Ostens verwenden, die sich nun in einer völlig instabilen Stellung sehen. Es greift in verstörender Weise die Rechte von Bischöfen, Priestern und Diakonen, von Ordensleuten und Laien an, wie viele Kommentatoren aufgezeigt haben. Und deshalb ist nicht nur nicht nötig, Traditionis Custodes oder jede weitere darauf gegründete Gesetzgebung zu befolgen, sondern es ist nötig, es nicht zu befolgen. Wir sind nicht nur frei, dagegen zu protestieren – wir sind dazu verpflichtet, dieses Dokument nicht anzuerkennen und es nicht zu befolgen.

Dieser überaus klaren Aussage, nur leicht gemildert durch das Zugeständnis, daß es Sache der Klugheit ist, zu entscheiden, wie man dem ungerechten Befehl am besten Widerstand leistet, folgen weitere grundsätzliche Überlegungen zur Verpflichtung aller Katholiken, sich Änderungen an Kultus und Lehre der Kirche zu widersetzen, die den Kern ihres göttlichen Auftrags beschädigen. Kwasniewski greift dazu ein weiteres Mal auf die Geschichte der Liturgiereform Pauls VI. und des dagegen gerichteten Widerstandes zurück und setzt sich dabei unter anderem ausführlich mit der reichlich inkonsequenten Position des Jesuiten Karl Rahner auseinander, der Papst habe zwar nicht die moralische, aber doch die rechtliche Kompetenz zu derartigen Maßnahmen. Das ist eine Trennung von Dingen, die nicht getrennt werden können und dürfen, wie die Opponenten des Diktats Pauls VI. klar erkannten und durch ihre Praxis betätigten. In diesem Zusammenhang zitiert der Redner auch ausführlich die Stellungnahme von Prior Alcuin Reid zu der vom Diözesanbischof auf Betreiben Roms ausgesprochenen Resuspendierung und Aufhebung der Gemeinschaft von St. Benoit: Wie vor 50 Jahren nach Erlass des Novus Ordo ist auch jetzt eine Zeit gekommen, in der nur der Widerstand der Gläubigen in der Lage ist Lehre und Liturgie der Kirche Christi für die Zukunft zu bewahren. Und noch einmal Kwasniewski in unmißverständlichen  Worten:

Ich möchte das ausdrücklich betonen: Wo die Tradition angegriffen wird, besteht die einzige Antwort des rechtgläubigen Katholiken darin, sie zu verteidigen, an ihr festzuhalten und denen, die sie angreifen, Widerstand zu leisten. Gehorsam kann nie legitim von denen eingefordert werden, die gegenüber dem ungehorsam sind, das höher als sie selbst steht und ihnen vorausgeht. Positiv gewendet: Wir sind dazu verpflichtet, ihren Geboten und Verboten in der Sache zu widerstehen, um dem höheren Gesetz der göttlichen Wahrheit zu folgen, das in unseren Riten, unserem Glauben und unserer Art zu leben enthalten ist und ausgedrückt wird. (…)

Die traditionalistische Bewegung ist etwas schlaff und selbstgenügsam geworden, soweit wir uns haben einreden lassen, daß wir nur einer „Vorliebe“ oder Neigung nachgingen, als ginge es um Vanille- oder Schokoladeneis. Wenn das die Grundlage unseres Handelns wäre, würden wir zurecht wegen unser Starrsinns getadelt und aufgefordert, zu befolgen, was immer uns aufgetragen wird. Doch wenn wir uns dem authentischen römischen Ritus aus den tiefstgehenden theologischen, moralischen und spirituellen Gründen verpflichtet sehen – und so ist es doch oder sollte es zumindest sein – dann haben wir das Recht, Männer der Kirche wegen ihres Abweichens von der Tradition und ihrer Pflichtvergessenheit zu kritisieren. Wir sind moralisch im Recht, und es besteht kein Grund, sich beschämen zu lassen und zu entschuldigen.“

In den folgenden Abschnitten seiner Rede geht Kwasniewski auf die besonderen Herausforderungen und Probleme ein, die die gegenwärtige Situation den Priestern bietet, die sich auf besondere Weise zum Gehorsam verpflichtet haben. Doch auch hier gilt, daß das Recht und das Gelübde keinen verpflichten können, gegen das Wohl der Kirche und das Heil der Seelen zu handeln.

In einem weiteren Exkurs beschäftigt sich Kwasniewski mit jenen Apologeten bergoglianischer Machtanmaßung, die dem Papst – ihrem Papst, versteht sich – unbegrenzte Vollmacht in allen liturgischen Dingen zusprechen. Sie entwürdigen, so der Redner, die Liturgie zu einem Instrument päpstlicher Willkür, die jede Spiritualität auflöst und die Kirche ihrer Fähigkeit beraubt, den ihr vom Herrn vorgegebenen Auftrag zu verfolgen. Wer Gesetze zu oft ändert oder gar umkehrt, stellt das Wesen und die Wirksamkeit von Gesetzlichkeit selbst in Frage. Die Traditionalisten der ersten Epoche (nach dem Erlaß des Novus Ordo) haben das intuitiv erfaßt und dementsprechend gehandelt – ihrem Vorbild gilt es auch jetzt wieder zu folgen.

In den letzten Abschnitten dieses Vortrages wendet sich Peter Kwasniewski einem Gegenstand zu, den man den Propagandisten, Schönrednern und Verteidigern der neuen Liturgie Pauls VI. gar nicht oft genug vorhalten kann: Dem weitgehenden – oder kann man mit Kwasniewskis sagen: völligen – Fehlschlag ihres mit so großen Versprechungen eingeleiteten und ebenso großen Hoffnungen begleiteten Projektes. Nichts von dem, was die Konzils-Konstitution Sacrosanctum Concilium erhofft und Papst Paul in seinen Ankündigungsreden versprochen und erwartet hat, ist eingetroffen. Die Kirche und ihr Gottesdienst sind heute – und das gilt wenn auch in unterschiedlicher Hinsicht für alle Kontinente – in einem schlechteren Zustand als je zuvor. In Regionen wie Deutschland steht sie kurz vor der mit episkopaler Mitwirkung betriebenen Selbstauflösung.

Nach einem halben Jahrhundert der Täuschungen und Enttäuschungen können wir daher mit Sicherheit sagen, daß dieses vermessene Experiment gescheitert ist – was und ob überhaupt etwas aus der Konkursmasse der Reformliturgie zu retten wäre, bedarf einer eigenen Untersuchung. Die Voraussagen, Erwartungen und Illusionen der „Reformer“ sind sämtlich gescheitert, die Befürchtungen und Warnungen der Vertreter der Tradition haben sich sämtlich bewahrheitet. Dem Konflikt, den der „liturgische Friede“ Benedikts überdeckte und den die Kriegserklärung von „Traditionis Custodes“ neu aufgerissen hat, ist nicht mehr auszuweichen. Vom Faktum dieser Kriegserklärung ausgehend soll hier einer der letzten Absätze des Vortrags noch einmal ganz in Übersetzung zitiert werden:

(Auf diese Entwicklung) waren viele von uns, insbesondere die, wie man sagen könnte „Nachwuchs-Traditionalisten“, in keiner Weise vorbereitet. An dieser Stelle müssen wir unseren Einsatz erhöhen. Alle, die sich in den vergangenen Jahren der überlieferten Liturgie zugewandt haben – weil sie die eucharistische Ehrfurcht schätzen, die Stille, die Musik, die Gemeinschaft der jungen Familien, die rechtgläubigen Predigten oder was auch sonst – sie alle müssen ein paar gute Bücher zur Hand nehmen und sich weiter bilden. Sie müssen erfahren, was in den 60er Jahren geschehen ist und wie die traditionsorientierte Strömung zu einer Bewegung geworden ist. Sie müssen, in einem Wort gesagt, von eher touristischen Besuchern der überlieferten Liturgie zu deren Aposteln werden, von Nomaden zu fest Ansässigen Bewohnern, von Bewunderern zu Verteidigern. Man hat uns mit einer Art Halbwahrheit abgespeist, nämlich daß wir die Tradition haben könnten, wenn wir das „vorzögen“ – doch das war ein falscher Kompromiss, denn die Tradition ist nicht etwas, das wir „vorziehen“, sondern sie ist etwas von dem wir wissen, verstehen und das wir leben: Sie ist ein Schatz, ohne den wir nicht leben und ohne den die Kirche nicht gedeihen kann. Sie ist nichts, was wir „vorziehen“, sondern eine Lebensnotwendigkeit, die Grundlage unserer Identität“.

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