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Lesungen der zweiten Fastenwoche

Bild: Wikimedia CommonsDie Lesungen der 2. Fastenwoche sind verschiedenen Büchern des Alten Testaments entnommen und zeigen auf den ersten Blick keinen offensichtlichen Zusammenhang. Dieser wird erst bei genaueren Hinschauen erkennbar: Überwölbendes Thema ist die Beziehung Gottes zu seinem an Kindes statt angenommenen Volk Israel, erläutert und ausgebreitet an Beispielen aus der Geschichte Israels, die einen reichen Fundus von Geschichten über Väter und Söhne, vom Erben und Enterben, vom bis zu Mord und Totschlag gehenden Wettstreit der Söhne um die Gunst des Vaters, bietet. Und – schließlich sind wir in der Fastenzeit – von der Gnade, die der Herr den Bußwilligen zuwendet, wenn sie ihre Sünden aufrichtig bereuen.

Der Montag reißt das Thema an mit dem Gebet des Propheten Daniel (Daniel 9, 15-19), der den Herrn um Erbarmen bittet für Sein Volk, das er um dessen Sünden willen verstoßen und zum Gespött der Heidenvölker gemacht hat: Dein Name sei über Deine Stadt und Dein Volk angerufen, Herr unser Gott. Wer aufrichtig bereut, wird beim väterlich handelnden Gott Gnade finden

Der Dienstag bietet ein Beispiel für diese Verstoßung, diese Aufkündigung der Vaterschaft, das jedem frommen Juden das Herz zerrissen haben mag: In einer Hungersnot sucht und findet der Prophet Elias durch Gottes wunderbares Eingreifen Hilfe nicht etwa im Volk Israel selbst – sondern bei der Witwe im heidnischen Sarepta, die dafür durch Wundertaten Gottes reich belohnt wird. (3. Könige 17, 8-16) Die Kirche liest diese Erzählung von alters her und im Anschluß an Lukas 4, 26 als Hinweis darauf, daß Gott sich von seinem untreuen und ungläubigen Söhnen im Volk Israel ab- und den Heidenvölkern zugewandt habe.

Hier geht es weiter Der Mittwoch deutet mit dem Gebet des Propheten Mardochai (Esth. 13, 8-11 u. 15-17) an, daß der Zorn Gottes nicht ewig währt, sondern durch Umkehr und Buße abgewendet werden kann: Und nun, Herr und König, Gott Abrahams, erbarnme Dich Deines Volkes, denn unsere Feinde wollen uns verderben und Dein Eigentum vertilgen. (…) Erhöre mein Gebet und sei gnädig Deinem Erbe und Anteil, und wandle unsre Not in Freude, auf daß wir leben und Deinen Namen preisen.

Am Donnerstag ist der Zusammenhang zum Vater-und -Söhne-Thema nur schwach erkennbar, Lesung und Evangelium dieses Tages stellen demgegenüber dien Aufruf zum Vertrauen in die Gerechtigkeit Gottes in den Vordergrund. Die Lesung (Jer. 17, 5-10) läßt den Propheten warnen: Ich, der Herr, ich durchforsche das Herz und durchprüfe die Nieren. Ich vergelte einem jeden nach seinem Wandel und nach der Frucht seiner Taten. Das Evangelium bekräftigt das im Gleichnis vom getrösteten armen Lazarus und dem in der Hölle leidenden reichen Prasser.

Das Wochenthema wird erst im Offertorium angedeutet, dessen Text aus Versen von Exodus 32 zusammengestellt ist: Herr, was zürnst Du Deinem Volke. Halt ein mit dem Zorn Deines Herzens, gedenke Abrahams, Isaaks und Jakobs, denen Du geschworen hast, das Land zu geben, das von Milch und Honig fließt.

Der Freitag bringt aus dem Buch Genesis den ersten Teil der Erzählung von Joseph und seinen Brüdern (Gen 37, 6-22) zu Gehör: Wie der jüngste Sohn Jakobs seine Brüder mit seinen Traumgesichten gegen sich aufbringt und nur durch die Ermahnung Rubens „Vergießt kein unschuldiges Blut“ vor dem Tode gerettet wird. Der Fortgang der Geschichte von der Verschleppung Josephs in die Sklaverei nach Ägypten, von seinem Aufstieg am Hof des Pharao und von der Versöhnung mit seinen Brüdern, die er mitsamt ihrem ganzen Stamm aus der Hungersnot errettet, wird weder hier noch am folgenden Tag vorgetragen: Sie war dem Bewußtsein von Klerus und Volk wohl auch so stets gegenwärtig. Auch wenn sie sich noch so sehr gegen ihn vergangen haben: Gott handelt stets als gütiger Vater gegen sein Volk und seine Kinder – wenn sie nur bereuen und bußfertig umkehren.

Das Evangelium mit dem Gleichnis (Matth. 21, 33-46) von den Winzern, die dem königlichen Herrn des Weinbergs den Ertrag seiner Reben stehlen und selbst vor dem Mord an dem von diesem entsandten Sohn nicht zurückschrecken, unterstreicht, daß diese Gnade nicht bedingungslos gewährt wird. Und auch hier wieder die Drohung: Das Reich Gottes wird von Euch genommen und einem Volke gegeben werden, das gute Früchte bringt. Am Samstag hören wir die Erzählung vom Betrug Jakobs an seinem Bruder Esau (Gene. 27, 6-40), der sich den Segen Isaaks erschleicht und so – in Erfüllung der Verheißung, die seinem Großvater Abraham gegeben wurde – zum dritten Stammvater Israels wird. Die offenbar in sehr alte Schichten des Gottesglaubens Israels zurückreichende Erzählung wirft viele moralische und moralisierende Fragen auf, die hier alle nicht behandelt werden können. Ihre Aufnahme in den Zusammenhang der zweiten Fastenwoche verdankt die Lektio möglicherweise dem Ausruf des seiner Täuschung gewahr werdenden Isaak: „Ich habe ihn gesegnet, und gesegnet soll er bleiben“ – Gott bleibt seinem Versprechen treu und läßt sich auch durch Undank nicht beirren. Zwar erhält schließlich auch der geprellte Esau einen Segen – aber der ist ganz entschieden zweiter Klasse. Er wird zum Stammvater der Edomiter - des Erbfeindes Israels.

All das will freilich nur bedingt zu dem in den übrigen Perikopen und Orationen dieser Woche vorgetragenen Aufruf zu Buße und Umkehr passen. Es passt auch nicht wirklich zu der von älteren Erklärern aus den Perikopen dieser Woche herausgelesenen Verstoßung Israels aus der Gnade Gottes auf Grund seiner Weigerung, den Gottessohn Jesus von Nazareth als seinen Messias anzuerkennen. Die von uns konsultierten Standardwerke zum Kirchenjahr und seinen Perikopen haben zu dieser – und manchen anderen – Ungereimtheiten nichts zu sagen, so daß wir sie wohl als Stolpersteine nehmen müssen, die zur eigenen Verwunderung und zum eigenen Nachdenken anregen können.

Vielleicht bietet das an diesem Samstag vorgetragene Evangelium mit dem Gleichnis vom velorenen Sohn – auch hier geht es um einen moralisch durchaus zweifelhaften jüngeren und einen treubraven älteren Bruder – einen weiteren Hinweis, indem es das ausführt, was in Genesis 27 ungesagt bleibt: Erst nachdem er seine Sünden ehrlich bekannt und bereut hat, wird der Hallodri vom Vater wieder freudig umarmt und in Gnaden aufgenommen. Das Neue Testament ist in diesen Dingen oft bestimmter als das Alte.

Man wird einräumen müssen, daß solche Zusammenhänge von „normalen Gottesdienstteilnehmern“, die also nicht wie die Kleriker bereits durch Stundengebet oder Lectio Divina vorbereitet sind, kaum ohne weiteres erfasst werden können. Und zwar weitgehend unabhängig davon, in welcher Sprache die Lesungen vorgetragen werden. Aber nirdgendwo steht geschrieben, daß die „normalen Gottesdienstteilnehmer“ das Privileg haben, unvorbereitet zur Messe zu kommen. Und auch innerhalb der Messe bietet eine Predigt die Möglichkeit, verborgene Reichtümer der Leseordnung sichbar zu machen.

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