Bereichsnavigation Themen:

Wie viele sind wir?

Bild: Paix LiturgiqueRorate Cæli brachte unter Datum vom 4. Oktober die englische Übersetzung eines langen Interviews mit Christian Marquant, dem Gründer der französischen Web-Publikation Paix Liturgique. Die Überschrift bei Rorate Cæli sagt so umfassen wie möglich, worum es bei dem Interview geht: „Zur überlieferten Liturgie: Wieviele Gläubige sind das in Frankreich – und in der ganzen Welt? Viele heutige Katholiken sind „heimliche Traditionalisten“, die auf eine heilige Messe hoffen, die diesen Namen verdient."

Der lange Text besteht aus zwei Teilen. Eine „historische Einführung“ rekapituliert die französische Entwicklung seit dem Oktroi des Novus Ordo 1970 unter besonderer Berücksichtigung der Rolle, die Erzbischof Lefebvre bei den letztlich erfolgreichen Anstrengungen zur zumindest partiellen Erhaltung der Tradition gespielt hat. Diese Entwicklung ist gekennzeichnet durch eine ganz und gar unpastorale Brutalität der Kirchenführung, die es bewußt in Kauf nahm, daß ein großer Anteil von Gläubigen von der Feier der Liturgie entfremdet wurde, teils still und resigniert auf den Messbesuch verzichtete, teils den Glauben ganz verlor und aufgab und zum kleineren Teil der Zwangsreform bewußt widerstand und Gemeinden bildete oder aufsuchte, die in der einen oder anderen Organisationsform an der überlieferten Form der Liturgie festhielt.

Hier geht es weiterMarquant räumt ein, daß die Liturgiereform nicht die einzige Triebkraft für den Glaubensverlust und den Zusammenbruch der Volkskirche in Frankreich war, betont jedoch die Schlüsselrolle, die sie in diesem größeren Zusammenhang gespielt hat. Besonders deutlich zeichnet Marquant den Mechanismus nach, mit dem die allermeisten französischen Bischöfe die Teilnahme an der überlieferte Liturgie zunächst unmöglich machten, dann unter verweis auf die gesunkenen Teilnehmerzahlen behaupteten, es gebe kein Interesse an der alten Messe, um damit weitere Einschränkungen oder das verbreitete Totschweigen zu begründen.

Von daher – und das steht im Zentrum des zweiten Teils – kommt Marquand zu einer kritischen Einschätzung der Zahlen, die nicht zuletzt auch von Paix Liturgique hinsichtlich der Teilnehmer und Interessenten bei der überlieferten Liturgie veröffentlicht worden sind. Diese Untersuchungen beruhen größtenteils auf Zahlen von Gemeinden und Gemeinschaften, die die überlieferte Liturgie erhalten oder wiedergewonnen haben und sagen nichts über die Situation in den zahlenmäßig größeren Bereichen, wo die Tradition erfolgreich eliminiert oder zumindest aus dem Bewußtsein der meisten noch verbliebenen Gläubigen verdrängt wurde.

Mit diesen Untersuchungsverfahren, die Marquant nachvollziehbar beschreibt, kommt man zu den heute kursierenden Schätzungen, die die Zahl der Traditionalistischen Gläubigen zwischen 100 und 200 Tausend ermittelt – kein besonders beeindruckender Prozentsatz bei ca2,5 Millionen praktizierenden Katholiken in Frankreich. Wobei die Kriterien für „praktizierend“ auch hier kritisch zu hinterfragen wären. Marquant trägt dazu die Beobachtung bei, daß es auch und vielleicht gerade unter den „nicht-praktizierenden“ Katholiken einen durchaus relevanten Anteil an Gläubigen gibt, die durch grünrote Predigten oder liturgische Mißbräuche von der Gottesdienstteilnahme abgeschreckt worden sind, die aber durchaus Gottesdienste besuchen würden – wenn diese nur dem katholischen Glauben mehr entsprechen würden.

Aufgrund solcher Überlegungen kommt Marquant zu der Vermutung, daß man in Frankreich die Zahl der Teilnehmer an Messen im überlieferten Ritus auf 600 000 oder mehr steigern könnte – wenn es nur gelänge, die Zahl der entsprechenden „Angebote“ zu erhöhen und diese auch bei den der nachkonziliaren Kirche entfremdeten Immer-noch-Gläubigen bekannt zu machen. 600 000 – das wären 25-30% der Kirchgänger in Frankreich. Zur Stützung dieser Überlegungen bezieht er sich auch auf Ergebnisse von Umfragen bei Kirchenbesuchern, nach denen ein Drittel der Befragten an einer Sonntagsmesse in der überlieferten Form teilnehmen würde – wenn diese in der Pfarrei zelebriert würde. Zwei Drittel bis drei Viertel der befragten „praktizierenden Katholiken“ würden es für „in Ordnung“ halten, wenn denen, die das wünschten, die Teilnahme an einer solchen Messfeier ermöglicht würde – während nur 10% das geradeheraus ablehnen würden.

Nach Aussage von Marquant kommen Umfragen in anderen Ländern zu ähnlichen Ergebnissen – was wir uns z.B. in Hinblick auf die USA sehr gut vorstellen können, hinsichtlich der Situation in Deutschland dagegen weniger. Aber auch hier käme es natürlich darauf an, die Möglichkeiten praktisch auszuloten und sich daran im konkreten Fall auch nicht durch Querschüsse entmutigen zu lassen. Zwar hat „Traditionis Custodes“ die Möglichkeiten der Priester und der Pfarreien zur Feier der überlieferten Liturgie empfindlich eingeschränkt. Aber Laien, die wirklich etwas bewegen wollen. sind davon weitaus weniger betroffen. In einer beschleunigt schrumpfenden „Synodalkirche“ eröffnen sich ihnen gelegentlich unvermutete Spielräume, die geradezu danach schreien, kreativ genutzt zu werden. Nur eines muß allen klar sein: Mit dem aus der Vegangenheit der „Volkskirche“ gewohnten Erwerb eines Rundum-Sorglos-Paketes per Kirchensteuer werden die Entwicklungen, die nach der Analyse von Christian Marquand im Bereich des Möglichen liegen, nicht in Gang zu setzen sein.

Zusätzliche Informationen