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Die Theologie des Offertoriums in der Ostkirche

Von Gregory Dipippo (Quelle)

Häufig wird gegen die traditionelle Form der Offertoriumsgebete eingewandt, daß sie Gedanken des Canons „vorwegnehmen“. In seinen Memoiren Die Reform der Liturgie 1948 – 1975 schreibt Erzbischof Bugnini, einer der wesentlichen Architekten der nachkonziliaren Reform, zur Diskussion über das Offertorium in dem mit der Reform befassten Gremium:

Nach längerer Diskussion kam das Consilium übereinstimmen zu folgendem gemeinsamen Einschätzung: Für die Beibehaltung der Formel „das wir dir opfern (offerimus)", wie von Papst Paul VI. zur Klarstellung des Offertoriumszweckes vorgeschlagen, waren 12 Stimmen, 14 dagegen und 5 für die Suche nach einer Formulierung, die sich auf die Darbietung der Gaben bezöge, ohne den Ausdruck „opfern" zu verwenden. An diesem Ausdruck hingen die Probleme, denn es schien das eine wahre Opfer des dahingegebenen Christus , das der Canon ausdrückt, vorwegzunehmen oder doch in seinem Wert herabzumindern. (S. 379 engl. Ausgabe)

Das ist ein Teil seiner Zusammenfassung der langen und komplizierten Diskussion über die für das Offertorium vorzunehmenden Änderungen. Er merkt auch an, daß bei der Diskussion Bischof Carlo Manziana, der vielfach vom Papst und dem Consilium als liturgischer Berater hinzugezogen wurde, sich für einen vorläufigen Vorschlag ausgesprochen habe, weil dessen neue Formel „den mißverständlichen Eindruck vermeide, daß das Offertorium einen kleinen Canon“ darstelle (S. 375)

Nach der ganzen Darstellung zu urteilen, scheinen die Mitglieder des Consiliums bei ihrer Kritik am Offertorium nicht allzu bestimmt oder gar polemisch gewesen zus ein, sie gingen einfach ohne weiteres von der Vorstellung aus, daß eine umfangreiche Revision vorzunehmen sei. Dazu ist zu sagen, daß hier wie an vielen anderen Stellen auch die letztlich beschlossenen Änderungen weit über den Auftrag der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium des zweiten Vatikanischen Konzils hinausgingen, in der das Offertorium überhaupt nicht erwähnt wird.

Nun kann man sich natürlich einfach auf den Standpunkt stellen, daß die Revision an sich vorteilhaft war und eine Verbesserung bedeutet, ohne sich dabei eine vorausgehende Kritik am Offertorium im Missale Pius V. Zu eigen zu machen. Doch wenn man davon ausgeht, daß das Offertorium auf unangemessene Weise die Gedanken des Canons vorwegnimmt, wirft das ein erhebliches Problem für die ökumenischen Beziehungen mit denen auf, die die byzantinische Liturgie in ihren verschiedenen formen und Sprachen verwenden. Tatsächlich stimmt die byzantinische Tradition sehr weitgehend mit der römischen Tradition bei der Vorbereitung des eucharistischen Opfers überein, und das in einer Weise, die das eigentliche Opfer noch weitaus deutlicher „vorwegnimmt“.

Das griechische Wort für den byzantinischen Ritus der Opfervorbereitung ist „proskomedia“, dessen beide Elemente „pros“ und die verbale Wurzel „komid“ in ihrer Bedeutung sehr weit mit der lateinischen Präposition „ob“ und der Wurzel „fer“ im Wort „Offertorium" übereinstimmen. Die Website der griechisch-orthodoxen Erzdiözese von Amerika übersetzt das Wort als den „Dienst der Opferung“ – und tatsächlich geht es hier um einen eigenständigen Dienst, der wesentlich ausgedehnter und komplexer ist als jedes Offertorium in irgendeiner Form des römischen Ritus.

Gerafft dargestellt nach einem Hieratikon (Zeremoniale) der Griechisch-Orthodoxen Kirche von 1977:

Nach dem Einleitungsgebet nimmt der Priester das Brot, welches „prosphora, Opfer“ genannt wird und erhebt es mit beiden Händen, dabei wendet er seine Augen zum Himmel gerade so wie im römischen Offertorium beim Gebet Suscipe Sancte Pater. Bei der Erhebung spricht er „Du hast uns durch Dein kostbares Blut vom Fluch des Gesetzes erlöst. Ans Kreuz genagelt und von der Lanze durchbohrt hast Du Unsterblichkeit über die Menschen ausgegossen, Ehre sei Dir, unser Retter.“ Der Diakon antwortet dann: „Herr, gebt den Segen,“ und der Priester mach dann mit der Prosphora und dem Werkzeug, mit dem sie geschnitten wird, das Kreuzzeichen über den Diskos (die griech. Patene). Dieses Werkzeug wird nicht als Messer, sondern als Lanze bezeichnet – das hier verwandte griechische Wort „longche“ ist das gleiche, das im Johannesevangelium (19,34) für die Lanze verwendet, mit der Christi Seite durchbohrt wurde.

Eine Prosphora enthält eine als „Siegel“ bezeichnete Prägung; der Priester nimmt die Lanze und führt sie drei mal über das Siegel, und danach bezeichnen die Rubriken die Prosphora als „das Lamm“. Dann sticht der Priester das Lamm viermal an den Seiten mit der Lanze und spricht dabei die Worte aus Jesaias 53 nach der Septuaginta: „Wie ein Schaf wurde er zur Schlachtbank geführt, und wie das makellose Lamm vor dem Scherer verstummt, öffnet er nicht seinen Mund. In seiner Demütigung wird sein Urteil weggenommen: Wer soll sein Geschlecht erklären“. Der Diakon spricht dann: „Hebt es auf, Herr“, und der Priester hebt es auf und spricht weiter mit Jesaias: „Denn sein Leben wird von der Erde genommen“.

Daraufhin wendet der Priester es um, und der Diakon spricht „Nun opfere!“ (thyson). Der Priester schneidet das Lamm dann ein, wobei das Siegel auf der Oberseite unversehr bleibt, und spricht dann „Das Lamm ist geopfert (thyetai), der Sohn und das Wort Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt für das Leben und die Erlösung der Welt, Er der immer geopfert wird und nie vergeht.“

Dann sagt der Diakon auf Griechisch: „Stauroson, despota“ was wörtlich bedeutet Kreuzige (ihn), Herr". Die Rubriken des Hieratikon führen dazu eindeutig aus, daß er dabei einen Schnitt in Form eines Kreuzes macht. Und dabei wird das gleiche Wort verwandt, daß in den Evangelien die Menge Pilatus zuruft: „Kreuzige ihn!“ die Rubriken beschreiben diese Handlung mit dem Verb „thyei – er opfert“, und während dem spricht er „Als Du gekreuzigt wurdes, Christus, wurde die Tyrannei (des Teufels) aufgehoben, die Macht des Feindes in den Staub getreten, denn nicht ein Engel oder ein Mensch, sondern der Herr selbst, Du hast uns gerettet, Dir sei die Ehre.“

Nun sagt der Diakon: „Durchbohre (nyxon), Herr“, dabei sticht der Priester es (das Lamm) an der Linken Seite und spricht die Worte aus dem Johannesevangelium: „Einer der Priester durchbohrte (enyxon) mit der Lanze seine Seite und es floss Blut und Wasser daraus. Und der es gesehen hat, legt Zeugnis davon ab, und dieses Zeugnis ist wahr.“ Dann gießt der Diakon Wein und Wasser in den Kelch und biettet den Priester um den Segen. Der Priester macht das Zeichen des Kruezes darüber und spricht: „Gesegnet sei die Einheit Deiner Heiligen Dinge“.

Es folgt ein kompliziertes Ritual, bei dem 10 kleine dreieckige Stücke von dem Lamm (oder einer anderen Prosphora, es kann mehrere geben) abgeschnitten werden. Das erste wird unter den Worten aus Psalm 44 „Die Königin steht in Gold gewandet zu Deiner Rechten...“ zur Rechten des Lammers auf den Diskos gelegt; die anderen zur Linken in einem Qadrat, das erste zu Ehren der Engel, das zweite für die Propheten und Patriarchen – und so durch die ganze Hierarchie der Heiligen. Dabei spricht der Priester: „Zur Ehre und zum Gedächtnis der Erzengel Michael und Gabriel, ... all der körperlosen himmlischen Mächte, des ehrwürdigen und glorreichen Propheten und Vorläufers Johannes der Täufer, der glorreichen Propheten Moses und Aaron“ usw. In der gleichen Weise, nur knapper, wird im römischen Offertorium das Opfer dargebracht „zur Ehre der seligen immer jungfräulichen Gottesmutter Maria, des seligen Jahannes des Täufers“ usw.

Anschließend spricht der Priester ein langes Gebet für den Klerus und das Volk und ein weiteres für die Seelen derer, die in Frieden entschlafen sind, letzteres beginnt mit den Worten: „Außerdem bringen wir dieses Opfer dar...“ In der gleichen Weise bittet das erste Gebet des römischen Offertoriums Gott, das Opfer für alle „im Glauben treuen Lebenden und Verstorbenen“ anzunehmen. Am Ende jedes dieser Gebete kann der Priester die Namen derjenigen einfügen, für die er die heilige Liturgie darbringt. Dabei sagt er „Gedenke, o Herr, des N.N.“, und bei jedem Namen legt er eine anderes Stück des Lammes oder einer weiteren Prosphora auf den Diskos. Das dient dem gleichen Zweck wie die beiden Mementos im römischen Kanon, auch wenn es dann in der Anaphora noch eine weitere Möglichkeit gibt, bei der der Priester die Lebenden und die Toten erwähnen kann.

Heutigentags wird dieses Ritual an einem Tisch (Protesis) an der Seite des Allerheiligsten vorgenommen. In früher Zeit hatten viele der großen Kirchen des Ostens, darunter auch die Hagia Sophia, ein eigenes Gebäude, das als „skeuophylakion“ bezeichnet wurde – der „Platz, an dem die Gefäße aufbewahrt“ werden, also eine Sakristei. In seiner bekannten Darstellung der byzantinischen Gabenbereitung und Offertoriumsprozession „The Great Entrance“ hat P. Robert Taft S.J. Gezeigt, das die Proskomedia jahrhundertelang im skeuophylakion vorgenommen wurde, und daß der Große Einzug ursprünglich ein Einzug vom Sakristeigebäude in die Kirche und nicht nur bloß eine Prozession durch die Kirche war. (p. 189-194; Orientialia Christiana Analecta, no. 200, 1975)

Bei alledem kann man unmöglich übersehen, in welchem Ausmaß der Byzantinische Ritus bei diesen vorbereitenden Zeremonien das Eucharistische Opfer „vorwegnimmt“: Wiederholter und ausdrücklicher Bezug auf das Leidensgeschehen, die körperliche Zurüstung von Brot und Wein mit Worten wie Opfer, kreuzigen und durchbohren, mit opfern, der Bezeichnung des Brotes als Lamm und dem Arrangement einzelner Brotstücke auf der Patene als Teil des Gedächtnisses der Lebenden und der Toten. Und all das geschieht, bevor die eigentliche göttliche Liturgie beginnt und früher in der Mutterkirche der Byzantinischen Liturgie und anderswo auch noch in einem getrennten Gebäude!

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Diese Serie begann als Antwort auf die Behauptungen eines anonymen Bloggers „Consolamini“, der den traditionellen römischen Canon irrigerweise als Produkt der scholastischen Periode bezeichnete, „das nicht nur den Opfercharakter der Messe übertrieb, um sie als Wiederholung des Kreuzestodes erscheinen zu lassen, sondern auch noch ein zweites Opfer erfand, bei dem Brot und Wein Gott im Offertorium der Messe dargebracht würden“. Die Theologen der Scholastik, so behauptete er, hingen „einer übertriebenen Vorstellung eines Eucharistischen Opfers an, für die jede Messe als ein neues und selbständiges Opfer Christi an den Vater darstellte“, und darin läge „ein Verlust des patristischen Erbes und ein diametraler Widerspruch zur hl. Schrift, nach der Christus einmal und für alle gestorben“ sei. Das wurde dann von P. Anthony Ruff als eine gute Erklärung dafür zitiert, warum man „keinesfalls zur überlieferten Liturgie zurückkehren“ könne – eine Interpretation, der sich Consolamini kürzlich ausdrücklich anschloss.

Wenn auch nur etwas davon zuträfe, würde auch der Byzantinische Ritus, der das Eucharistische Opfer in der Proskomedia mit Nachdruck „vorwegnimmt“, einen radikalen Bruch mit der Lehre der Väter darstellen. Und dieser Bruch, das muß man dazu sagen, wäre ohne die Unterstützung durch die Scholastiker erfolgt, deren Einfluss in der byzantinischen Welt nie sehr stark war und der in der Hesychasmischen Kontroverse des 14. Jahrhunderts ausdrücklich zurückgewiesen wurde. Und natürlich bedeutet der Anspruch Consolaminis, daß die 1970 vorgenommene Revision des Offertoriums die Rückkehr zu einem verloren gewesenen Erbe der Apostel und der Väter darstelle, als unvermeidlichen Seiteneffekt einen harten Schlag ins Gesicht der Orthodoxen.

In den vorhergehenden Artikeln dieser Serie habe ich ausgeführt, daß es keinesfalls die Absicht Papst Pauls VI. war, die Theologie des Messopfers zu verändern oder gar etwas zurück zu holen, das möglicherweise verloren gegangen wäre. Die jüngere päpstliche Gesetzgebung hat die Kritik am herkömmlichen Offertorium und damit auch die implizite Kritik an der byzantinischen Tradition wegen seiner angeblichen inneren Problematik ausdrücklich zurückgewiesen. Das Motu Proprio Summorum Pontificum hat den überlieferten Ordo Missae und damit auch den Offertoriumsritus als Teil des Römischen Ritus auf eine Stufe mit dem Novus Ordo gestellt. Außerdem enthält die kürzlich approbierte Liturgie für das Ordinariat des anglikanischen Usus den vollständigen Text des überlieferten Offertoriums auf Englisch als Option.

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