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Pius V. zum Dritten

Die Rede vom „Ritus von Trient“ oder dem „Missale Pius V.“ für das römische Messbuch in der bis 1965 gebräuchlichen Form hat sich so nachdrücklich eingebürgert, daß ihre Berechtigung selten in Frage gestellt wird. Ein Aufsatz des anglikanischen Liturgiehistorikers Paul Cavendish, den dieser Anfang der 90er Jahre veröffentlichte und der nur an eher abgelegener Stelle im Internet zu finden ist, gibt Anlass, hier etwas genauer hinzuschauen. 

In Bezug auf den Ordo Missae, den das Missale Pius V. ohnehin im wesentlichen mit seinen römischen Vorgängern gemeinsam hat, erfuhr das Missale von 1570 in der Tat für Jahrhunderte praktisch keine Änderungen. Deutlich mehr Neuerungen gab es bereits in den Rubriken, und hinsichtlich des Kalenders macht Cavendish, dessen Hauptarbeitsgebiet die Erforschung des Stundengebetes ist, darauf aufmerksam, daß hier bereits in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts tiefgreifende Änderungen einsetzten - und das durchaus nicht nur wegen der technischen Erfordernisse der Kalenderreform Gregors XIII. Er schreibt:

Das Kalendarium des Missales Pius V. war, wie schon gesagt, im Grunde das römische Kalendarium des 11. Jahrhunderts. Die Feste einer großen Zahl mittelalterlicher Heiliger wurden abgeschafft, so daß insgesamt vielleicht nur noch ein halbes Dutzend Heilige übrigblieben, die in den vier vorhergehenden Jahrunderten kanonisiert worden waren. Die Feste der großen Kirchenlehrer des Ostens, des hll. Athanasius, Basilius, Chrysostomus und Gregor v. Nazianz, wurde auf den Rang duplex gehoben, um dem Rang der vier Kirchenlehrer des Westens zu entsprechen: Gregor I., Augustinus, Hieronymus und Ambrosius. Die Kirchenlehrer des Ostens werden nicht explizit als solche bezeichnet, aber sie haben das gleiche Commune, die Messe in medio, wie ihre westlichen Brüder. Die Feste von Heiligen wie des hl. Antonius v. Padua, Nikolaus v. Tolentino, Patrick, Joachim, Franz v. Paula, Bernardin, Anna und Elisabeth v. Ungarn wurde aus dem Kalender gestrichen. Das Endergebnis war ein sehr spartanischer Kalender, der sich markant von dem unterschied, der dem pianischen Missale vorausging und auch von dem, der ihm folgte.

Es überwogen die alten römischen Märtyrer, und in der generellen Tendenz wurden die Ränge der Heiligenfeste so reduziert, daß die Sonntage und die Ferialtage im Advent und in der Fastenzeit mit ihren eigenen Messen gefeiert werden konnten. Nach dem Tode Pius' haben die nachfolgenden Päpste dann allmählich die von ihm aus dem Kalender genommenen Heiligen wieder hergestellt und neue Feste neu heiliggesprochener Heiliger eingefügt. Es waren keinerlei anatomische Feste (mit diesem etwas befremdlichen Ausdruck bezeichnet Cavendish Feste des. Hl. Herzens Jesu oder der Wundmale usw.) enthalten. (...)

Das Missale Pius V. vermittelt einen sehr stromlinigenförmigen und eleganten Eindruck. Es unterscheidet sich höchst deutlich von dem, was dann in der Zeit des Barock und der Romantik folgte. Man muß sich schon fragen, ob sein Missale von den Katholiken, die sich heute als Anhänger der "Tridentinischen Messe" verstehen, akzeptiert würde. Jedenfalls steht fest, daß dieses Missale trotz all der scheinbar in Quo Primum enthaltenen Verbote nicht mehr als 30 Jahre Geltung hatte. Genau betrachtet noch nicht einmal so lang. Viele Missale aus den Jahren ab 1580 weisen einige Veränderungen der rubriken zum Canon und für die Segnung auf und enthalten auch wieder einige Heilige, die bei Pius V. nicht enthalten waren, darunter die hl. Anna, Antonius v. Padua, die Darstellung Mariens im Tempel und andere. Der Ritus Clemenz VIII, der weitere Veränderungen der Rubriken und einen gefüllteren Kalender enthielt, wurde von Papst Urban VIII. 1634 im wesentlichen neu aufgelegt, und tatsächlich war es dann dieses Missale Urbans VIII., das dann - unter Hinzufügung zahlreicher weiterer Heiligenfeste - bis 1920 erhalten blieb, als unter der Autorität von Benedikt XV. eine neue Revision herausgebracht wurde.

Dieses Missale berücksichtigte die umfangreichen Änderungen zum Kalender und zu den Rubriken, die Papst Pius X. eingeführt hatte, soweit sie auch die Messe betrafen. Zum Beispiel die Farbe der Gewänder in den Okataven, die Zahl der zu feiernden Messen in Cathedralen und Konventskirchen beim Zusammenfall von Festen und großen Ferialtagen, Regeln zur Wahl der Präfation, die Bestimmung von Messformalaren für den Advent usw. Die auffälligste Veränderung war sicher, daß die Sonntage nun „grün wurden“. Bis dahin waren beim Zusammenfallen eines Sonn- und eines Festtages meistens die Festmessen gefeiert und der Sonntag kommemoriert worden, die Farbe der Gewänder war dementsprechend rot oder weiß. Nach den Änderung Pius X. hatten die meisten Sonntage einen höheren Rang als die Feste, und so sah man nun Sonntag auf Sonntag das gleiche Grün."

Soweit die entsprechenden Passagen aus dem Artikel des hochkirchlichen Anglikaners Cavendishs, der in seiner Darstellung trotz aller Gelehrsamkeit nicht jeden antirömischen Reflex unterdrücken kann. Vielleicht liegt es daran, daß er nicht ausdrücklich zur Kenntnis nimmt, daß das Missale gerade nach den Reformen Pius X. wieder ein gutes Stück näher an die „stromlinienförmige und elegante Form“ gerückt war, die ihn zuvor beim Missale Pius V. beeindruckt hatte.

Sei dem, wie es wolle. Wir verdanken Cavendish einige bemerkenswerte Einsichten in den Entwicklungsprozess der Römischen Liturgie im zweiten Jahrtausend. Sie lassen erkennen, daß die „organische Entwicklung“ zwar nicht immer streng linear und logisch verlaufen ist, daß sie offenbar aber auch niemals solche Brüche gekannt hat wie die, zu denen sich der Hochmut der Reformatoren nach 1950 verstiegen hat.

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