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Der alte Ritus der Palmweihe – eine „Missa sicca“

Christus zieht auf einem Esel reitend in Jerusalem ein

Einzug in Jerusalem von Giotto di Bondone

Die Liturgien der „Heiligen Woche“ gehören nach Form und Gebetstexten zu den ältesten Elementen des römischen Ritus. Sie reichen in einigen Teilen bis in das 4. und 5. Jahrhundert zurück, als das Christentum sich im ganzen römischen Reich erstmals in der Öffentlichkeit zeigen konnte. Einmal entstanden, haben spätere Jahrhunderte diese frühen Liturgien aus Ehrfurcht vor den Gewohnheiten der Vorfahren nur zurückhaltend der allgemeinen Liturgieentwicklung angepasst. Erst dem 20. Jahrhundert blieb es vorbehalten, die gewachsene liturgische Tradition mit uralten Wurzeln durch vielfach erfundene Archaismen zu verdrängen.

Aus den insgesamt noch weitaus umfangreicheren Ausführungen des sel. Ildefons Schuster zur Palmsonntagsliturgie in seinem Liber Sacramentarum übernehmen wir die wesentlichen Abschnitte zur Palmenweihe(Bd. III, S. 185 f. ).

DIE PALMENWEIHE gibt uns ein Bild der altchristlichen Versammlungen, d. h. jener Gottesdienste, die nur aus Psalmengebet, Unterweisung der Gläubigen usw. bestanden, auf die jedoch das hl. Opfer nicht folgte. Einen solchen Gebetsgottesdienst nahmen die Christen in apostolischer Zeit aus den Synagogen der Diaspora herüber. Die Prozession mit Olivenzweigen hatte in Jerusalem ihren Ursprung, wie die Pilgerin Aetheria am Ausgang des 4. Jahrhunderts bezeugt. Im Abendlande hielt man schon von Anfang an die Ölzweige bei der Lesung des Evangeliums in der Hand. Später kam in Gallien ein besonderer Segen hinzu, nicht über die Zweige, sondern über die Personen, welche den Worten des Evangeliums gemäß Palmen trugen. Die Prozession vor der hl. Messe verlieh den Zweigen eine solche Auszeichnung und Bedeutung, daß sie schließlich die priesterliche Segnung erhielten.

Nach den Ordines Romani des 14. Jahrhunderts werden die Palmen vom Kardinal von St. Laurentius geweiht und von Klerikern in das Patriarchium, und zwar in die Kapelle des hl. Silvester gebracht. Hier verteilen die Akolythen der vatikanischen Basilika die Zweige an das Volk. Der Klerus erhält die Palmen aus den Händen des Papstes im Triklinium Leos III. Nach der Verteilung bewegt sich die Prozession zur Erlöserkirche. Im Portikus angekommen, nimmt der Papst auf einem Throne Platz, die Türen der Basilika sind noch verschlossen. Nun stimmt im Innern der Kirche der Primicerius der Sänger und der Prior der Basilika mit ihrer Assistenz den Hymnus Gloria, laus et honor an, der auch heute noch in der Liturgie verwendet wird. Ist der Gesang beendet, so öffnen sich die Tore und in feierlichem Zuge tritt man in die Kirche ein, um mit dem hl. Opfer das große Drama der Erlösung zu beginnen (…)

Die Palmenweihe beginnt mit dem INTROITUS (Mt 21, 9): „Hosanna dem Sohne Davids l Hoch gelobt, der da kommt im Namen des Herrn 1 König Israels, Hosanna in der Höhe l" Mit diesem Zuruf wird heute der Messias begrüßt von den Heiden, den Kindern, dem einfachen Volke und den Ungebildeten. Die Führer der Juden aber halten sich fern. Darum verstößt der Heiland die verstockten Juden und wendet sich an die Heidenvölker, die ihn freudig als ihren Erlöser und Gott anerkennen. Doch die Barmherzigkeit des Herrn ist unerschöpflich: auch Israel wird gerettet, sobald es seinem Erlöser entgegenzieht und mit dem Psalmisten und den Kindern singt: „Hochgelobt, der da kommt im Namen des Herrn."

Dieses Bekenntnis des Glaubens an den Messias war Jesus überaus wohlgefällig; darum sollen auch wir es mit großer Andacht beten. Die Kirche erneuert es täglich im feierlichsten Augenblick der hl. Messe, bevor Jesus auf das Wort des Priesters als Opfer auf unsere Altäre herniedersteigt.

SEGEN ÜBER DAS VOLK: „Gott, dem verehren und lieben Gerechtigkeit ist, mehre in uns die Geschenke deiner unaussprechlichen Gnade. Im Tode deines Sohnes gabst du uns die Zuversicht, das zu erhoffen, was uns der Glaube zeigt: laß uns durch seine Auferstehung dahin gelangen, wohin unsere Sehnsucht zieht." Die Form des Gebets ist feierlich, sein Inhalt klar und gemessen: Jesu Tod ist die causa meritoria unseres Heils, seine Auferstehung die causa exemplaris, denn der verherrlichte Heiland läßt auf die Glieder seines mystischen Leibes die Heiligkeit und Glückseligkeit überströmen, die ihn selbst als das Haupt dieser Gemeinschaft am Tage seines Sieges über Tod und Sünde erfüllt.

LESUNG (2 Mos 15, 27; 16, 1-7). Die Erzählung vom Aufruhr der Juden gegen Moses (...) wurde in der gallikanischen Liturgie erst im Mittelalter eingeführt, und zwar, weil darin Wasserquellen und Palmen vorkommen, in deren Schatten das auserwählte Volk sich lagerte. Die Juden, die in so wunderbarer Weise aus der Knechtschaft Ägyptens herausgeführt worden waren, murren wider den Herrn und sehnen sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens zurück. Sie wurden dadurch zum Vorbild für ihre Söhne, die einst den wahren Moses, den Befreier aus der Sklaverei der Hölle, gerade in dem Augenblicke verstießen und töteten, als er sein Leben zur Erlösung für sie hingab."

Soweit der Sel. Ildefons. An einer Stelle erscheint noch eine Ergänzung angebracht: Der Ritus der Palmweihe insgesamt folgt weitgehend dem einer Feier der hl. Messe. Das Hauptgebet der Palmweihe entspricht in seiner Form exakt einer Präfation, auf die allerdings kein Kanon folgt, sondern eine ähnlich umfangreiche und altehrwürdige Sammlung von Weihegebeten. Deren Höhepunkt und Abschluss bildet dann die eigentlich Segnung der Palmen, die damit als eine „Konsekration“ von Sakramentalien gekennzeichnet wird. Seit dem frühen Mittelalter bürgerte sich für Weihegottesdienste dieser Art die Bezeichnung als „Missa Sicca“ ein. Diese Bezeichnung wurde im Zug der nachtridentischen Reformen „abgeschafft“ - die Sache selbst hat sich in der Palmweihe weitgehend erhalten.

Das heißt: Bis zur „Reform“ von 1955. Bei dieser Gelegenheit wurde der überlieferte Ritus komplett ausgelöscht. Die Segnung der Zweige findet sofort zu Beginn einer extrem kurzen Zeremonie statt, der man ansieht, daß die Sache den Liturgen wohl irgendwie peinlich war. Dem folgt das Absingen von Psalm 23 (teilweise) und Psalm 46, und schon sind wir bei dem nun als Evangelium verlesenen Bericht über den Einzug in Jerusalem, der früher als Antiphon die Prozession eröffnete. Das wars.

1970 musste an dieser Schrumpfform dann auch nicht mehr viel reformiert werden. Allerdings wurde die Segensformel, bei der 1955 noch davon die Rede war, das Vok Gottes möge „den Sieg erstreiten über den Feind“, pelagianisiernd neutralisiert: „Lass uns in Christus die Frucht guter Werke bringen“.

Es ist schwer vorstellbar, daß dieses Zerstörungswerk von 1955 auf Dauer Bestand haben sollte.

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