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Sonntag Septuagesima

Ostern fällt früh in diesem Jahr, und deshalb beginnt bereits morgen mit dem Sonntag Septuagesima die Vorfastenzeit. Erstmals explizit benannt wird die Vorfastenzeit im gelasianischen Sakramentar, das inhaltlich auf das siebte Jahrhundert zurückgeht. Ihre Entstehung fällt jedoch spätestens in die Zeit Gregors des Großen († 604), der in seinen Evangelienhomilien die heute noch bestehende Ordnung der Perikopen und der Stationskirchen der Vorfastensonntage zugrunde legt.

Die 40 Tage der Fastenzeit beruhen ganz klar auf einer in der heiligen Schrift bezeugten alttestamentlichen Tradition, die sowohl von Moses als auch Elias und schließlich von Christus ein vierzigtägiges Fasten überliefert. Die (gerundet) siebzig Tage ab Septuagesima sind demgegenüber nicht aus dem Gebrauch des alten Testaments ableitbar. Seit Amalar von Metz († um 850) wird die Zahl als gleichnishafte Aufnahme des siebzigjährigen babylonischen Exils des Volkes Israel gedeutet: Um darauf hinzuweisen, daß uns durch die Gnade Christi die Sünden nachgelassen wurden, seien die 70 Jahre in 70 Tage umgewandelt worden. Gleichzeitig sei das aber auch eine Erinnerung daran, daß die Gläubigen des gegenwärtigen Zeitalters immer noch im Exil weilen und sich erst noch durch Fasten und Buße von der Sünde der Welt lösen und der Aufnahme in das himmlische Jerusalem würdig erweisen müssen.

Die traditionelle Liturgie der Zeit der 70 Tage bringt diesen Charakter in vielfacher Weise zum Ausdruck, die auffälligsten davon: Im Offizium wird an allen Tagen, auch an den Sonntagen, der Bußpsalm Miserere gebetet, die fortlaufende Lesung beginnt neu mit dem Pentateuch und den Berichten über die Erschaffung der Welt und den Sündenfall, die Alleluja-Rufe verstummen. In der hl. Messe entfällt der Gesang des Gloria, verschiedene Melodien werden vereinfacht, die Entlassungsformel des Ite missa est wird durch Benedicamus Domino ersetzt. Zur Erklärung dieser äußeren Zeichen greift Amalar auch hier auf die Parallele zum babylonischen Exil zurück und zitiert aus Psalm 64: Wie sollen wir in fremdem Land die Lieder des Herrn singen?

Das Verstummen der Gesänge gab im Mittelalter den Anlass zu vielerlei Bräuchen, in denen Klerus und Volk feierlich Abschied vom Alleluja und Gloria nahmen. Durandus von Mende († 1334) erklärt diese Zeremonien damit, „daß wir jene (Gesänge) überaus lieben und in der Schatzkammer unseres Herzens bewahren, so wie wir einen Freund, der zu einer langen Reise aufbricht, vielmals umarmen und auf den Mund oder das Gesicht küssen“. Der hier bereits anklingende Überschwang führte gelegentlich auch zu Begängnissen, die eher zum etwa gleichzeitig stattfindenden Karneval als zum Auftakt der Bußzeit gepasst haben dürften, etwa wenn Alleluja und Gloria in Art einer Beerdigungsprozession mit großem Pomp zu Grabe getragen wurden. Aus einer französischen Kirche des 15. Jahrhunderts ist überliefert, daß dort nach der Vesper am Samstag vor Septuagesima eine Strohpuppe, auf der in goldenen Buchstaben „Alleluja“ geschrieben war, von Ministranten und Chorknaben mit Stöcken aus dem Allerheiligsten und durch das Kirchenschiff getrieben und anschließend auf dem Friedhof verscharrt wurde - mit Weihrauch, Weihwasser und allem Drum und Dran.

Die Geschichte der Liturgie enthält auch eine Geschichte liturgischer Missbräuche - noch nicht einmal die sind auf dem eigenen Mist der Liturgieverderber in der Gegenwart gewachsen – zumindest nicht alle.

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