Kinder der Magd und Kinder der Freiheit
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- 07. März 2016
Das zensierte Evangelium I.
Der 4. Fastensonntag konfrontiert die Gläubigen in der Epistel mit einem Abschnitt aus dem Brief des hl. Paulus an die Galater 4, 20-31), in dem Paulus, der frühere Zelot und Pharisäer, in deutlichen Worten den Bruch des Christentums mit dem Judentum darstellt und begründet. Als Beispiel aus der hl. Schrift greift er dazu auf den Bericht von Abrahams zwei Söhnen zurück: Ismael, dem von der Magd, geboren aus dem Fleische und in der Knechtschaft, und Isaak, dem von der Freien, geboren aus der Verheißung und zur Freiheit der Kinder Gottes.
Stärksten Ausdruck des Bruches sieht er in der damals bereits voll eingesetzt habenden Verfolgung der jungen Juden-Christen durch die Mehrheit der Juden, die den Messias nicht akzeptieren konnten: „Wir, meine Brüder, sind wie Isaak Kinder der Verheißung. Aber wie damals der nach dem Fleische Geborene den nach dem Geiste Geborenen verfolgte, so ist es auch jetzt“. Paulus wusste nur zu gut, vovon er sprache, gehörte er doch als Saulus selbst zu den wütendsten Verfolgern der jungen Christengemeinde.
Und so findet er Trost und Bestätigung in dem Fazit des alltestamentarischen Berichtes, das da lautet: „Verstoße die Magd mit ihrem Sohne; denn der Sohn der Magd soll nicht Erbe sein neben dem Sohn der Freien.“ Für Paulus ist klar: Das Christentum hat das Erbe der Verheißung angetreten, die dem Bund ein weiteres Mal untreu gewordenen Juden sind „enterbt“. Was übrigens, wenn man der Analogie im weiteren Verlauf im 1. Buch Moses folgt, nicht heißt: endgültig verstoßen. Auch dem Ismael ist eine große Nachkommenschaft verheißen, aber der Eintritt ins gelobte Land bleibt ihr verwehrt.
Es liegt auf der Hand, daß diese Perikope in einer Zeit, in der phantasievolle Theologen hinsichtlich des „nie aufgekündigten Bund Gottes mit seinem auserwählten Volk“ die merkwürdigsten Theorien entwickeln, ihren Platz in der Liturgie nicht behalten konnte. Im Missale von 1970 findet sie für den 4. Fastensonntag in keinem der drei Lesejahre mehr einen Platz; im deutschen „Römischen Messbuch“ ist sie auch an keinem anderen Tag aufzufinden.
Ergänzung:
Ein Leser, der sich besser im neuen Missale auskennt, war so freundlich, uns mitzuteilen, was in der erneuerten Liturgie aus der fraglichen Perikope geworden ist: Am Montag der 28. Woche im Jahreskreis des 2. Lesejahres ist in etwa die gleiche Stelle aus dem 4. Kapitel des Galaterbriefes als erste Lesung (die gerne weggelassen wird) angegeben. Allerdings sind jetzt die Verse 25 und 28-30 gestrichen, so daß genau das, worauf es dem Apostel ganz wesentlich ankam - nämlich der Unterschied zwischen den erlösten Christen und den in der Unfreiheit verharrenden Juden - nicht mehr erkennbar ist. Der Kommentar im neuen Schott verstärkt diese Umdeutung noch.