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Der Passionssonntag als Schwelle

Natürlich wollte Papst Paul VI. mit der Inkraftsetzung des neuen Messbuchs die Lehre und den Kultus der Kirche nicht revolutionieren. Bei seinen Zuarbeitern im Consilium kann man sich da nicht so sicher sein: Mit zahllosen „kleinen“ Signalen wollten sie den Gläubigen suggerieren, daß nun alles neu, alles besser und das Bisherige vergangen sein sollte. Zu diesen Signalen gehört auch die „Abschaffung“ des Passionssonntages, der nun als „Fünfter Fastensonntag“ seine vordem herausgehobene Stellung verlor und neben die anderen Fastensonntage eingereiht wurde. Das ist nicht nur eine wenig bedeutende Äußerlichkeit. Der Kult lebt in den Menschen auch durch seine dramatischen Elemente, dazu gehört der Wechsel der Perspektiven und das Prinzip der Steigerung. Genau das war in der Abgrenzung des Passionssonntags von den vorherigen Fastensonntagen als Portal zur Zeit des Leidens gegeben - zuviel Dramatik für die Bürokraten der „Verheutigung“.

Allerdings gehen ihre Eingriffe in die Liturgie dieses Tages noch wesentlich tiefer. Obwohl sie in den drei Lesejahren insgesamt 9 Lesungsplätze zu vergeben hatten, fand keine der beiden traditionellen Lesungen dieses Tages Aufnahme in ihre reformierte Liturgie. Die neue Leseordnung vermeidet klare Bezüge zum bevorstehenden Passionsgeschehen und verbleibt im großen Ganzen in dem durch die vorherigen Sonntage abgesteckten Rahmen - Einebnung auch inhaltlich.

Das ist ein klarer Bruch mit dem traditionellen Charakter dieses Tages, der in Epistel und Evangelium nicht nur auf das historische Geschehen der Passion einstimmt, sondern auch theologisch den Opfertod am Kreuz ausdeutet. In der Epistel durch die Ausführungen des Apostels Paulus im Brief an die Hebräer (9, 11-13), die den wahren Inhalt des Keuzesopfers in der eindeutigsten Weise beschreiben:

Christus erschien als Hoherpriester der künftigen [himmlischen] Güter. Erging durch das erhabenere und vollkommenere Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht, das heißt, nicht von dieser Welt ist, auch nicht mit dem Blute von Böcken und Stieren, sondern mit Seinem eigenen Blute ein für allemal in das Allerheiligste, nachdem er ewige Erlösung bewirkt hatte.“

Das Evangelium zitiert mit dem Johannesevangelium (8, 46-59) aus der langen Rede Jesu, in der er sich selbst als Sohn des ewigen Vaters offenbart:

Wenn ich mich selbst ehre, so ist meine Ehre nichts; aber Mein Vater ehrt Mich, von dem Ihr sagt, daß er euer Gott sei. Doch ihr kennt ihn nicht; ich aber kenne Ihn (...) und halte Seine Worte. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, ehe Abraham ward, Bin Ich. Da hoben sie Steine auf, um nach ihm zu werfen; Jesus aber verbarg sich und ging hinweg aus dem Tempel.“

Es ist diese öffentliche Beanspruchung der Gottessohnschaft, ja der vollen Göttlichkeit (Ich Bin), die den Zorn der in ihrem vermeinlichen Glauben doch ungläubigen Juden erregt und den Grund für ihren Entschluss legt, Jesus als Gotteslästerer zu töten. Alles, was im Evangelium danach noch berichtet wird, setzt die Überschreitung dieser Schwelle voraus.

Indem die reformierte Liturgie diese Schwelle nach Form und Inhalt unkenntlich macht, behindert sie das, was sie zu leisten vorgibt: Den Gläubigen den vollen Reichtum der Schrift besser zu erschließen.

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An dieser Stelle ist es notwendig, kurz auf die am Karfreitag zu verlesende Passionsgeschichte nach Johannes vorauszuschauen. Dort findet sich eine überaus merkwürdige Aussage. Als die zur Ergreifung Jesu auf den Ölberg geschickten jüdischen Polizeidiener fragen, wer der dort Angetroffenen denn nun der gesuchte Nazarener sei, antwortet ihnen Jesus:  

Ich bin es - da wichen sie zurück und fielen zu Boden.“

Warum sollte eine Abteilung bewaffneter Polizeidiener vor Schreck in Panik geraten, wenn der gesuchte Verdächige sich stellt: „Der bin ich“? Aber das sagt er ja gar nicht. Die oben zitierte Wiedergabe des griechischen ego eimi bzw. lateinischen ego sum ist eine der spektakulärsten Fehlübersetzung, die sich im Lauf der Zeit in die katholische Bibel und damit auch in die deutschen Fassungen der überlieferten Liturgie eingeschlichen haben. Die in beiden Sprachen an dieser Stelle ungewöhnliche Formulierung mit Subjekt und Prädikat macht ganz deutlich: Jesus sagt nicht nur „Ich bin es“, sondern auch „Ich Bin“ und wiederholt damit die Worte Gottes aus dem brennenden Dornbusch auf dem Sinai und den Anspruch: Ich bin der Herr Dein Gott“. Das konnte einen Trupp Polizeidiener schon ins Straucheln bringen.

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