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Neue Präfationen für die alte Messe?

Priester bei der PräfationPapst Benedikt hat in seinem Begleitbrief an die Bischöfe zu „Summorum Pontificum" von einer wünschenswerten „gegenseitigen Bereicherung" der beiden Formen des römischen Ritus gesprochen und als Beispiele dafür die mögliche Aufnahme „neuer" Heiliger und „neuer" Präfationen aus dem Missale von 1970 genannt. Das Thema wurde hier bereits öfter behandelt, zum letzten Mal am 15. März dieses Jahres. Neue Aktualität erhält die Frage nach dieser möglichen Übernahme durch das Positionspapier der Internationalen Föderation Una Vace zur Frage der Präfationen, das Anfang des Monats veröffentlicht worden ist.

Das Papier stellt zutreffend fest, daß der römische Ritus, obwohl es eine große Zahl (das Papier spricht von insgesamt 1674) von nur zeitweise oder in engen regionalen Bezügen gebrauchten Präfationen gab, im zweiten Jahrtausend allgemein nur 11 quasi „kanonische" Präfationen kannte. Dieser Zahl wurde erst im 20. Jahrhundert auf schließlich 16 erhöht. Die Verfasser des Positionspapiers ziehen daraus den Schluss, daß die Knappheit an Präfationen geradezu ein Charakteristikum des allgemein durch Nüchternheit und Einfachheit gekennzeichneten Ritus darstelle.

Dem kann man prinzipiell folgen – auch wenn die Tatsache der über 1600 „nichtkanonischen" Präfationen aus allen Jahrhunderten darauf hindeutet, daß die Prinzipien der Nüchternheit und Schlichtheit in der liturgischen Realität wohl nie die unangefochtene Stellung einnahmen, die man ihnen heute gerne zuschreibt. Der Novus Ordo Missae, in dem die Zahl der Präfationen auf über 80 erhöht wurde, sieht darin offensichtlich keinen Widerspruch zu der von ihm in ganz besonderem Maße beanspruchten „vornehmen Schlichtheit".

Als weiteres Argument gegen eine Übernahme von „neuen" Präfationen (die meisten davon stellen mehr oder weniger exakte Übernahmen aus dem alten Bestand der 1674 dar) beruft sich das Positionspapier auf den Grundsatz von Sacrosanctum Concilium, daß Neuerungen in der Liturgie nur dann und soweit erfolgen sollten, wie der sichere Nutzen für das Wohl der Kirche das erfordert. Daß die Reform Pauls VI. diesen Grundsatz in beunruhigender Weise verletzte, steht außer Zweifel. Ob er unter heutigen Umständen auch gegen eine Übernahme einiger Präfationen aus dem neuen in das Missale der außerordentlichen Form spricht, ist weniger sicher: Unter dem Aspekt einer Befriedung der verhärteten Fronten zwischen den Vertretern der modernisierten und der überlieferten Liturgie könnte eine solche „Bereicherung" ein Zeichen dafür setzen, daß der überlieferte Ritus nicht starr den Zustand eines Stichjahres konserviert, sondern sich unter dem Einfluss von Zeitströmungen weiterentwickelt, wie er das immer getan hat.

Das Positionspapier nennt noch ein weiteres Argument gegen die Übernahme von neu-alten Präfationen aus dem Missale von 1970 und führt dazu einen Wechsel der Rolle der Präfation zwischen diesen beiden Missales an:

Ein Grund dafür ist, daß die alte lateinische liturgische Tradition viele Gemeinsamkeiten mit dem alten Ritus von Alexandria hat, besonders wenn man bedenkt, daß Präfation und Römischer Kanon der Einfügung des Sanktus vorausgehen. In diesen Traditionen hat die Präfation nicht nur eine danksagende, sonder auch eine fürbittende Funktion. Das Missale von 1970 verwendet demgegenüber eucharistische Gebete, die wesentlich aus der östlichen Tradition genommen sind oder sich daran orientieren, wo die Fürbitten Teil des Kanons und nicht der Präfation sind. So hat – wie viele alte Lateinische Präfationen – die Präfation zu den Aposteln im Missale von 1962 fürbittenden Charakter, wenn Sie den Herrn bittet, „Du wollest Deine Herde nicht verlassen". Im Missale von 1970 wurde diese Präfation umgeschrieben, um den fürbittenden Charakter zu tilgen."

Ein solcher Rollenwechsel wäre in der Tat ein starkes Argument für die Übernahme von Präfationen aus dem einen Kontext in den anderen. Der Blick auf die Präfationen von 1962 zeigt allerdings, daß von einem solchen Rollenwechsel keine Rede sein kann. Zumindest nicht zwischen dem Missale Pius V. Und dem Pauls VI. - inwieweit er irgendwann im ersten Jahrtausend stattgefunden hätte, kann hier nicht untersucht werden. Da die 10 „kanonischen" Präfationen des 2 Jahrtausends jedoch größtenteils bereits im 1. Jahrtausend belegt sind, erscheint auch das wenig wahrscheinlich.

Tatsache ist: Mit Ausnahme der in der Tat altehrwürdigen Präfation zu den Festen der Apostel und Evangelisten läßt sich der im Positionspapier angeführte fürbittende Charakter in den anderen Präfationen des Missales von 1962 an keiner Stelle nachweisen. Sie alle sind im gleichen Ton des Dankes für die Großtaten Gottes an den Menschen und in seinen Heiligen gehalten, der auch die Präfationen des Missales von 1970 kennzeichnet. Die Präfation zu den Apostelfesten nimmt also im Missale nach Trient ganz eindeutig eine Sonderstellung ein. Von daher ist es auch nachvollziehbar, daß sie im englischen Missale des NOM wie beschrieben „angepasst" wurde, im deutschen Missale ist sie wohl wegen dieser Inkongruenz ganz entfallen. Die Präfationen des neuen Missales sind damit alle vom gleichen danksagenden Typ wie die Mehrzahl der Präfationen des 2. Jahrtausends.

Das Argument, Präfationen des neuen Missales seien wegen eines Rollenwechsels zwischen fürbittendem und dankendem Charakter mit der überlieferten Liturgie nicht „kompatibel", ist damit offensichtlich nicht haltbar.

Das festzustellen bedeutet nun nicht, eine „Bereicherung" der überlieferten Liturgie durch zusätzliche Präfationen für wünschenswert oder auch nur sinnvoll zu halten. Das oben als denkbare Rechtfertigung für eine Übernahme genannte Argument von der innerkirchlichen Versöhnung kann nämlich auch in anderem Sinne gelesen werden: Viele Gläubige, die sich der überlieferten Liturgie verbunden fühlen, sind durch die seit Jahrzehnten behauptete Abschaffung dieser Liturgie, und durch die auch nach „Sumorum Pontificum" andauernden Schikanen seitens vieler Ordinariate und Ortspfarrer tief verunsichert. Ihnen jetzt wieder von oben verordnete Änderungen zuzumuten, trägt nicht zur Vertrauensbildung und zum Abbau von Spannungen bei. Die Heranziehung untauglicher Argumente zur Verteidigung des status quo allerdings auch nicht.

Formung und Ausbildung des römischen Ritus erfolgten in der Vergangenheit – das bezieht sich im wesentlichen auf die Zeit vor Trient – nach dem Prinzip der „organischen Entwicklung", die man als einen Prozess im Zusammenspiel zwischen liturgischer Praxis auf den unteren Ebene und deren Aufnahme und seltener auch Lenkung durch die Oberhirten verstehen kann. Die Initiative ging dabei im allgemeinen von den unteren Ebenen aus, die eine damals noch als unproblematisch angesehene Freiheit in liturgischen Dingen genossen – die Hirten einschließlich des Papstes in Rom und seiner Kurie beschränkten sich darauf, gegen erkennbar gewordene Fehlentwicklungen einzuschreiten und besonders wertvoll erscheinende Neuerungen als Vorbild aufzugreifen oder sogar für die ganze Kirche vorzuschreiben.

Der Weg einer „organischen Entwicklung" in diesem Sinne erscheint für die überlieferte Liturgie im gegenwärtigen historischen Abschnitt kaum gangbar. Die Maßlosigkeit des Selber-Machens im Novus Ordo und die vielfach heterodoxen Tendenzen solchen Ehrgeizes, aber auch der weitgehende Abbruch der Verbindung zur liturgischen Tradition bei den Trägern der Orthodoxie und die Tatsache, daß diese Tradition in den Jahrhunderten nach Trient selbst erstarrt war und überreguliert worden ist, lassen es kaum denkbar erscheinen, zur (durchaus relativen) liturgischen Freizügigkeit der Vorreformationszeit zurückzukehren.

Das Verharren in der rubrizistischen Festigkeit und die Abwehr aller von „unten" ebenso wie von „oben" kommenden Veränderungen erscheint unter diesen Umständen als der Preis, den die traditionsorientierten Gemeinschaften dafür entrichten müssen, daß die überlieferte Liturgie die Periode des liturgischen Zusammenbruchs überstehen kann. Wahrscheinlich braucht es ein Moratorium von einigen Jahrzehnten, bis folgende Generationen darangehen können, eine Weiterentwicklung des in den Büchern von 1962 fixierten Zustandes ins Auge zu fassen. Und dabei werden sie den Blick nicht nur auf das (wenige) richten, was in den Jahren seit 1960 gewonnen wurde, sondern auch auf das viele, was bereits vor 1960 verloren gegangen ist.

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