Gaudete in Domino semper
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- 11. Dezember 2016
So stark wirkt der Aufruf „Freut euch allezeit im Herrn“ aus dem Introitus, daß er sogar das bußzeitliche Violett der Gewänder des heutigen dritten Adventssonntags aufgehellt hat zum „rosacea“ - jener Farbe, die, soweit sie heute noch in Paramenten auftaucht, etwas unsicher zwischen einem aufgehellten lila und pink schwankt. Der Introitus ist, eher ungewöhnlich, einem Brief des Apostels Paulus (Phil. 4) entnommen. Seine Stellung im Messformular ist so alt, daß er schon bei Amalar von Metz für den 3. Adventssonntag genannt wird, dort freilich mit der Anmerkung, er finde sich nicht im althergebrachten Missale von Metz, sondern erst in den neuerdings von Rom übernommenen Büchern. Bei Rupert von Deutz ist er längst selbstverständlicher Bestandteil des Propriums.
Bis auf den Introitus gibt es jedoch in den zu Amalars und Ruperts Zeiten gebräuchlichen Messordnungen wenig Übereinstimmungen zu der später geltenden Ordnung, wie sie im Missale Pius V. festgeschrieben wurde und in Teilen noch heute – also über den Umbruch von 1970 hinaus – gültig ist. Während in der tridentinischen Ordnung die Epistel noch einmal die bereits im Introitus verwandte Stelle aus dem Brief an die Philipper aufgreift und lediglich um einen weiteren Verse ergänzt, wird bei Amalar ein Abschnitt aus dem Brief des Apostels an die Korinther vorgetragen, dessen Kernsatz ist: Deshalb urteilt nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch das in der Finsternis Verborgene ans Licht bringen und die Absichten der Herzen offenbar machen wird. (1 Kor 4,5).
Von daher erhält die Deutung dieses Sonntags bei Rupert eine ganz eigene Richtung. Während wir heute diesen Sonntag als freudige Vorausschau auf die Ankunft des Herrn wahrnehmen – daher auch das aufgehellte Violett – leitet Rupert aus der Lesung des Korintherbriefs eine deutlich verschiedene Interpretation ab. Sie ist bei weitem nicht so adventlich wie die heutige, und man kann nachvollziehen, daß die Kirche diese Lesung und Lesart irgendwann aufgegeben hat – sofern sie überhaupt jemals Allgemeingültigkeit besaß.
Das heißt aber nicht, daß Ruperts Version des 3. Adventssonntags uns heute nichts mehr zu sagen hätte, im Gegenteil. Sie gibt eine Ahnung davon, wie sehr die Kirche auch zu seiner Zeit von Auseinandersetzungen gezeichnet war, und sie spricht Mahnungen aus, die auch heute noch beherzigenswert sind:
Das ganze Offizium des dritten Sonntags trägt Trost vor allem für die Vorsteher der Kirchen vor: Je höher deren Rang ist, umso mehr ist ihr Lebenswandel den Urteilen der Menschen ausgesetzt, und umso mehr wird sehr oft ihr guter Ruf bei den Menschen verunglimpft, je stärker ihr Verdienst im göttlichen Gericht glänzt. Denn das Offizium verkündet ihnen das Kommen des Herrn, der das in Der Finsternis Verborgene ans Licht bringt‘, weil er selbst ihr Richter und Mitwisser ist, er, der sich im Gericht ganz und gar nicht zu irren vermag. Damit sie sich also auf das Kommen eines solchen Zeugen und Richters freuen und darauf hoffen, von ihm etwas zu erfahren, wird passend hierzu im Evangelium jenes herrliche und berühmte Zeugnis vorgetragen, das der Herr über Johannes den Täufer abgelegt hat.“
Rupert bezieht sich damit auf die Perikope aus Mt 11, die später auf den zweiten Adventssonntag vorgezogen worden ist. Und insgesamt richtet sich sein Blick eher auf die Wiederkunft des Herrn als Richter am Ende der Zeit als auf das Erscheinen des Erlösers im Stall von Bethlehem. Eine Veränderung des Blickwinkels, aber nicht in der Sache.
Die hier am Beispiel des dritten Adventssonntags ausschnittweise erkennbare historische Entwicklung – man sollte vielleicht eher von 'Varianz' sprechen – macht zweierlei deutlich: Die Wurzeln der fälschlich als „tridentinisch“ bezeichneten Liturgie reichen weit in das davor liegende Jahrtausend zurück. In dieser Zeit gab es Entwicklungen und Veränderungen, die aber doch in einer recht schmalen Bandbreite blieben.