Wie illegitim ist die Liturgie des
„Novus Ordo“?
20. OKTOBER 2024
Petrus mit den Schlüsseln - die nicht schließen können
Es ist höchste Zeit, noch einmal auf die Frage zurückzukommen, die wir vor vier Wochen hier aufgeworfen und nur sehr ansatzweise beantwortet hatten: Ist der Novus Ordo illegitim oder gar illegal?
Eine Antwort fällt deshalb so schwer, weil der Papst als oberster Gesetzgeber quasi über dem Gesetz steht – sein Wort und sein Willen gelten nach traditionellem Glauben als Wille Christi und setzen das Recht. Allein formal betrachtet kann ein Papst mit seinen Anordnungen zu kirchlichen Dingen gar nicht rechtswidrig handeln. Es gibt keine nach Paragraphen aufgeschlüsselte Verfassung, die als Maßstab dienen könnte; nur den Wortlaut und den in Dogmen ausgedrückten Geist des Evangeliums. Doch beides erscheint in der Gegenwart als weitaus flexibler, als das sich die Kirchenlehrer der Vergangenheit und die Konzilsväter von 1870 oder selbst noch die Mehrheit von 1965 jemals vorstellen konnten.
Das Recht des Papstes zur Ordnung der Liturgie galt immer als selbstverständlich – und wurde gleichzeitig von den Päpsten immer nur mit großer Zurückhaltung und in nachgerade ängstlichem Blick auf Präzedenzen in der Tradition wahrgenommen. Das war so – sieht man einmal von der mißlungenen Revision der Hymnen für das Brevier unter Urban VIII. ab – zumindest bis zur Brevierreform Pius’ X. und der Umgestaltung der Karwoche unter Pius XII. Noch Pius IX. soll die Bitte, den hl. Joseph in die Heiligenliste des Communicantes aufzunehmen, mit den Worten abgelehnt haben: „Das kann ich nicht machen – ich bin nur der Papst.“
Von dieser Zurückhaltung ist bei Pius XII. hinsichtlich der Karwoche und erst recht bei Paul VI. nur noch wenig zu spüren. Ganz im Geist der modernen Machbarkeitsideologie erscheint ihnen das Überlieferte weniger als zu bewahrendes Erbe und Verpflichtung, sondern insbesondere unter dem Regiment Bugninis als Rohmaterial, das nach Zweckmäßigkeitserwägungen und gleitet von „Erkenntnissen der Wissenschaft“ be- und verarbeitet werden kann, wie es sinnvoll erscheint. Trotzdem wurden Legalität und Legitimität der Karwochenreform soweit wir sehen nie ernsthaft in Frage gestellt. Das änderte sich dann mit dem Erlaß des Novus Ordo, dem vielfach von der Piusbruderschaft die „Legitimität“ abgesprochen wird – und zwar nicht mit u.E. schwer darstellbaren juristischen Gründen (das würde dann die Legalität bestreiten) sondern mit inhaltlichen Argumenten: Weil dieser Ritus das katholische Verständnis dessen, was er vollzieht, nur zum Teil und weniger deutlich zum Ausdruck bringt als der vorhergehende.
Die sehr grundsätzliche Erklärung der Piusbruderschaft zu diesem Thema, der diese Gedanken entnommen sind, verzichtet darauf, diesen dort nur behaupteten Sachverhalt durch Hinweis auf tatsächliche Entwicklung in der Kirche näher zu untermauern. Doch die Einbeziehung genau dieser empirischen Argumentationsebene erscheint uns nicht nur möglich, sondern auch dringend angebracht.
Nicht jeder „Besucher“ einer Messe im alten Ritus in den Jahren vor 1970 konnte im Einzelnen erklären, welchem Mysterium er da beiwohnte und was das für ihn und die Kirche bedeutete. Aber so gut wie jeder Gottesdienstteilnnehmer wußte, daß es um ein übernatürliches Geschehen, eine besondere Form der ehrfurchtheischenden Begegnung mit Gott und seinem Gnadenhandeln ging und nicht nur um eine soziale Veranstaltung der Gemeinde. Dieses Wissen verlieh dem Glauben Substanz und Widerstandsfähigkeit gegenüber dem sich immer weiter ausbreitenden Unglauben in der Säkulargesellschaft. Wie inzwischen in zahllosen Untersuchungen belegt, kann der moderne Ritus auch bei gutwilligen (Halb-)gläubigen genau dieses Wissen nur noch sehr unvollkommen vermitteln, und vieles deutet darauf hin, daß er von modernistischen Priestern und Bischöfen auch ganz bewußt in einer Form praktiziert wird, die diese Ausdrucksschwäche besonders zur Geltung kommen läßt.
Die theologischen Schwächen des Novus Ordo in Theorie und Praxis sind (in Deutschland neben dem gewollt herbeigeführten Zusammenbruch des Religionsunterrichts) in hohem Maße mitverantwortlich für die Glaubensverluste auch unter gutwilligen Kirchgängern, die insbesondere in Mitteleuropa das Erscheinungsbild der Mehrheit der Gemeinden prägen. Das sind nach 70jähriger Praxis des NO keine theoretischen Befürchtungen, sondern mit Zahlen belegter empirischer Befund. Im Zeichen der praktischen Gleichsetzung von „Tisch des Wortes“ und „Tisch des Brotes“ ist der Glaube an die Realpräsenz des Herrn in den Verwandelten Gaben weitgehend geschwunden; der im Barock oft in aufwendigen Gemälden über Chor und Kirchenraum dargestellte Durchblick zur Transzendenz des Himmels ist für viele nicht mehr erkennbar.
Dabei ist es müßig, damit zu argumentieren, daß Papst Paul IV. in seinen Ansprachen (erste Ansprache vom 19. 11. ; zweite Ansprache vom 25. 11.) zur Einführung des Novus Ordo doch mehrfach ausdrücklich darauf hingewiesen habe, daß sich am Lehr- und Glaubensinhalt der „Neuen Messe“ nichts ändere. In eklatantem Widerspruch zur Bestimmung von Sacrosanctum Concilium Abschnitt 23 wonach „keine Neuerungen eingeführt werden (sollen), es sei denn, ein wirklicher und sicher zu erhoffender Nutzen der Kirche verlange es“, hat das Consilium zahlreiche Änderungen vorgenommen, bei der ein solcher Nutzung bestenfalls zu erhoffen, aber durch keine begründbaren Argumente zu erwarten war. Schon alleine daraus könnte man ableiten, daß diese Reform rechtswidrig und illegal gewesen wäre – wenn nicht eine solche Rechtswidrigkeit durch die päpstliche Promulgation quasi automatisch geheilt worden wäre. Außerdem können die Anhänger Bugninis natürlich auf die Widersprüchlichkeit von SC selbst verweisen, wo in anderen Abschnitten sehr wohl weitreichende Änderungen auch ohne die in Abschnitt 23 verlangte „begründete Erwartung“ in Aussicht gestellt werden.
Ein stärkeres Argumente für die Illegitimität des Novus Ordo sehen wir jedenfalls darin, daß die Reform inzwischen nachweisbar nicht nur keinen „Nutzen“ für die Gläubigen erbracht hat, sondern zu einem katastrophalen Rückgang an Glaubenswissen und „Liturgiefähigkeit“ geführt hat: Die (von Sacrosanctum Concilium so durchaus gewollte) weitgehende Reduzierung der Gesten und Zeichen der Liturgiefeier auf die Formen des modernen Alltags hat vielen Menschen nicht etwa den Zugang zur Liturgie erleichtert, sondern ihre Augen für alles, was hinter dem Alltag liegt, blind gemacht. Wo das dann noch – in Deutschland besonders häufig – durch eine entsprechende Exegese und Predigt unterstützt wird, ist der Weg in die Glaubenslosigkeit vorgezeichnet. Hier nicht rechtzeitig gegengesteuert zu haben, ja diese Tendenzen sogar noch auf vielfache Weise unterstützt zu haben, ist ein nachgerade kriminelle Versäumnis der Jahre nach 1970 und dann noch einmal verstärkt seit Beginn des bergoglianischen Pontifikats. Und selbst wenn die Rechtswidrigkeit eindeutig hergeleitet werden könnte, so gibt es doch kein Gericht, vor dem Klage erhoben werden könnte.
Es gibt noch weitere Argumentationsschienen, über die Legitimität und Legalität des Novus Ordo in Frage gestellt werden können. Die eine betrifft den totalitären Anspruch, mit dem das Gespann Bugnini/Paul VI. seinen „Ritus modernus“ als einzigen in der lateinischen Kirche und später wohl auch in der gesamten römischen Kirche durchsetzen wollte. Ein solcher Anspruch ist der liturgischen Entwicklung der Kirche völlig fremd und feindlich. Innerhalb der Kirchen des „Patriarchen des Abendlandes“, aber auch innerhalb der lateinischen Kirche, hat es immer eine große Vielfalt der Liturgien gegeben, die durchaus zu gegenseitiger Befruchtung und VWeiterentwicklung beitrug. Innerhalb dieser Vielfalt hätte womöglich (und könnte vielleicht auch in einer nach-bergoglianischen Zukunft) eine „gereinigte“ Form des paulinischen Missales ihren Platz finden, etwa als „Werktagsmesse“ für bestimmte Gemeinschaften, deren Charisma dadurch mehr gefördert als eingeschränkt würde. Die lateinische Liturgie hat immer eine Vielfalt von „Usus“ hervorgebracht, die sich zum Beispiel im Grad ihrer „Feierlichkeit“ deutlich unterscheiden – das Spektrum geht von der traditionellen Papstmesse mit dem Prunk des ganzen Hofstaates bis zur „Einzelmesse“ des Priestermönchs am Seitenaltar vor der Konventsmesse oder der je nach Umständen äußerst reduzierten Form in der Notmesse im Schützengraben.
Außerdem gibt es auch im lateinischen Bereich Raum für sprachliche Sonderformen wie die glagolithische oder neuerdings die Ordinariatsmesse, die eben nicht das traditionelle Latein, sondern eine dem rituellen Modus angepasste Form der Landessprache verwenden. Für diese Vielfalt bietet der Novus Ordo praktisch kaum Raum. Äußerstenfalls läßt er es zu, den Ansprüchen der Fernsehkultur oder der Idealisierung der „Ränder“ zuliebe bestimmte lokale oder ethnische Versatzstücke prononciert zur Schau zu stellen. Mit lehrmäßig durchaus bedenklichen Nebenwirkungen, wie im Zeichen südamerikanischer Inkulturationsprojekte erkennbar wird. Im übrigen ist es verräterisch, daß die Reformmesse in der Erprobungszeit vielfach unter Bezeichnungen wie „Missa normativa“ oder „Missa universalis“ gehandelt wurde. One Size fits all.
Totalitär verhält sich der Novus Ordo aber auch hinsichtlich der Zeitachse, auf der er nicht nur jede lebendige Verbindung zur Vergangenheit abschneidet, sondern auch massiv um deren Delegitimierung bemüht ist. Papst Paul VI. hat zwar bei der Promulgation des NO darauf verzichtet, die überlieferte Liturgie ausdrücklich zu verbieten, praktisch hat er aber dennoch ein solches Verbot angestrebt und auch weitestgehend durchgesetzt. Damit ist er weit über alle Eingriffe früherer Päpste in die Liturgie hinausgegangen, die sich damit begnügten, offensichtlich in Irrtum führende Formeln oder Riten zu untersagen oder (etwa durch die Einführung neuer Feste und Gedenktage) altüberlieferte Glaubensinhalte stärker ins Bewußtsein zu rufen. Mit dem jetzt von den Bergoglianern erneuerten praktischen Verbot der überlieferten Liturgie für die allgemeine Seelsorge sieht sich die Kirche ein weiteres Mal von der seit über hundert Jahren andauernden Identitätskrise überwältigt, die nach dem Konzil offen ausbrach und zu deren Überwindung Papst Benedikt XVI. unter anderem die Restituierung der überlieferten Liturgie durch „Summorum Pontificum“ geplant hatte.
Aus alledem läßt sich ableiten, daß die Frage nach illegal oder illegitim eine Ebene anspricht, die dem zugrunde liegenden Problem nicht wirklich entspricht. Illegalität ist päpstlichem Handeln schwerlich beizumessen, weil der Papst als oberster Gesetzgeber über dem geschriebenen Recht der Kirche steht. Die Feststellung von „Illegitimität“ hängt davon ab, in wieweit man dem Papst im Sinne der Tradition die Aufgabe und unhintergehbare Verpflichtung zuschreibt, die von Christus den Jüngern und Aposteln im Inhalt abschließend offenbarte Lehre zu verteidigen und zu verbreiten, sei es gelegen oder ungelegen (2. Tim. 4,2) – oder ob man zu Abstrichen von dieser Lehre und bei den sie stützenden Formen bereit ist, um einen vermeintlich allen Menschen guten Willens gemeinsamen „Kernbestand von Religion“ zu bewahren.
Aus der erstgenannten Sicht ist der Novus Ordo und vor allem das verstockte Festhalten daran, nachdem seine proklamierten Ziele offensichtlich verfehlt wurden, eindeutig illegitim. Er hat Ziel und Auftrag verfehlt. Aus der zweiten Perspektive, die offenbar von einer Mehrheit der europäischen Theologen und von einer überwiegenden Mehrheit des Weltepiskopats geteilt wird, ist das keinesfalls eindeutig. Sie entdecken hinter den vor 70 Jahren proklamierten Zielen modernere Varianten eines „Evangeliums light“, die leichter vermittelbar sind als Erlösungstod am Kreuz oder Realpräsenz auf dem Altar. An die Stelle der alten treten dann neue Glaubensgewißheiten: globale Überwindung der Armut, Schaffung eines ebenso globalen Religionsfriedens, umweltsensibele „Bewahrung der Schöpfung“ und vieles mehr. Soweit sie sich von der Erwartung eines überirdischen Paradieses emanzipiert haben, ist für diese Anhänger eines modernen Globalismus alles legitim, was sie – wie sie glauben – dem irdischen Paradies näher bringt.
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