Bruch oder Reform
Die Kirche ist die Kirche aller Zeiten
Das ist ganz besonders auffällig im Motu Proprio von Papst Benedikt XVI. zur „Freigabe der alten Messe“ und dem dazugehörigen Begleitschreiben: Dem Papst ist viel daran gelegen, herauszustellen, daß es in der liturgischen Entwicklung keinen harten Brüche gibt und auch nicht geben darf – nicht jetzt, da er die ältere Form des römischen Ritus wieder in ihr Recht einsetzt, und nicht vor 40 Jahren, als die nachkonziliaren Reformen manchmal den Eindruck erweckten, es ginge darum, die Kirche neu zu erfinden.
Ein Angriff auf das Konzil?
Genauso auffällig ist aber auch, daß viel Reaktionen auf dieses Motu Proprio den Eindruck hervorrufen, als ob die jeweiligen Autoren sich diesen Bruch durchaus nicht nehmen lassen wollen. Das fängt zum Teil schon bei den Überschriften an. Einen „Schlag ins Gesicht für konzilsbewegte Christen“ glaubt Otto Friedrich von der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“ zu verspüren; die NZZ hört das Kommando „Vorwärts in die Vergangenheit“, und „Wir sind Kirche“ fordert : „Das II. Vatikanische Konzil kann und darf nicht in Frage gestellt werden!“ - als ob das irgend jemand gefordert hätte.
In den Artikeln selbst geht es dann in dieser Tonart weiter. Die bekannt christlich orientierte Berliner „Tageszeitung“ notiert einen „Frontalangriff auf alle, die die Früchte des Konzils hochhalten“, und der Berliner Theologe Kampling befürchtet im Rundfunk „Zwischen der Intention des Papstes und den verschiedenen Lesarten dürfte schnell eine Kluft aufbrechen“. Am weitesten aber geht sicher Johannes Röser in „Christ in der Gegenwart“ (Ausgabe vom 22. Juli), der einen ganzen Abschnitt lang Begründungen dafür anführt, daß die Brüche, die der Papst nicht akzeptieren will, schließlich „aus guten Gründen“ erfolgt seien.
Eine Geschichte von Brüchen
Damit sind wir mitten in einer Diskussion darüber, was die gegenwärtige Kirchenkrise ausmacht. Die Medien, die Professoren der Theologie, aber auch viele Bischöfe und Pfarrer haben sich in den letzten Jahrzehnten darin gefallen, die Geschichte der Kirche nach dem Tod der letzten Jünger und Apostel in drei Epochen einzuteilen, die mehr durch Brüche voneinander geschieden als in Kontinuität miteinander verbunden sein sollen.
Die erste Epoche war die Zeit der Katakomben und der bitteren Verfolgung. Darüber weiß man zwar nicht allzuviel, aber genau das macht diese Zeit zur idealen Projektionsfläche aller denkbaren eigenen Wunschvorstellungen. Manchmal mußt man nur sagen: „Urchristentum“ - und schon erübrigte sich jede weitere Begründung. Dann kam Konstantin, und mit ihm der erste verhängnisvolle Bruch. Es begann die finstere Zeit des Mittelalters, ein tiefer Schlaf der Vernunft, und der dauerte, da die Kirche den Weckruf Luthers nicht hören wollte, sondern in tridentinischer Verstocktheit verharrte, bis ins 20. Jahrhundert. Dann setzte der zweite große Bruch ein: Ende der 50er Jahre öffnete endlich der gute Papst Johannes XXIII. die Fenster der Kirche, um die Welt hereinzulassen, und alles, alles wurde anders. Das Konzil befahl, Pfarrgemeinderäte zu wählen, das Latein abzuschaffen, die Altäre umzudrehen und – nach einer Serie von „Paradigmenwechseln“ - eine der modernen Zeit entsprechende Theologie zu schaffen. Die Kirche erkannte die anderen Religionen als eigene Wege zur Erlösung an, überließ die Entscheidung zwischen „richtig“ und „falsch“ dem Gewissen des/der Einzelnen, und verschrieb sich gerne der Arbeit an Projekten, die sich die Bildung von Paradiesen auf Erden auf die Fahne geschrieben hatten.
So ungefähr wurde es dargestellt, und so ähnlich stellt es sich denn inzwischen auch in vielen Köpfen dar. Die Feinheiten der „Volk-Gottes-Theologie“, die in der 2. Hälfte des 20. Jh. zeitweise zur führenden theologischen Denkschule aufgestiegen war, sind bei vielen Gläubigen nie angekommen, und die daraus manchmal abgeleiteten recht erstaunlichen Weiterungen akzeptiert das, was vom Kirchenvolk noch in die Kirche geht, oft mit der gleichen Langmut, mit der die Vorfahren das hinnahmen, was von der Kanzel kam. Das II. Vatikanische Konzil, so glaubt man, hat gewollt, daß nach dem Abschluß der Kirchenversammlung alles anders werde – und die Abschaffung des Lateinischen und das Umdrehen der Altäre sind der sinnfälligste Ausdruck des Wandels und der zuverlässige Indikator für die Unterscheidung „vorkonziliar – nachkonziliar“.
Was das II. Vatikanum alles nicht beschlossen hat
Wenn man heute dem durchschnittlichen Kirchenbesucher sagen wollte, daß „das Konzil“ (von den vorhergehenden 20 hat er wenig gehört) Latein als Kirchensprache beibehalten wollte und daß dort vom Umdrehen der Altäre nie die Rede war, sondern statt dessen befohlen wurde, bei notwendigen Weiterentwicklungen in der Liturgie sehr bedächtig zu verfahren – er würde es selbst dann kaum glauben, wenn man es in den Dokumenten schwarz auf weiß vorzeigen würde. Käme er aus dem Umkreis von „Kirche von unten“ oder ähnlicher Gruppen, würde er vielleicht auf den seinerzeit vielbeschäftigten „Geist des Konzils“ verweisen, denn nicht das tote Papier der Beschlüsse soll zählen, sondern der „Geist“ - und der weht bekanntlich wo er will.
Der „Geist des Konzils“ war die geniale – so schien es zumindest damals – Erfindung der „Progressiven“, die auf der Kirchenversammlung zwar wichtige Impulse zur stets notwendigen Erneuerung der Kirche gegeben hatten, sich aber mit ihren oft sehr viel weiter gehenden Vorstellungen nur in wenigen Fällen durchsetzen konnten. Sie nutzten den „Geist des Konzils“, um die Konzilsdokumente, die widersprüchliche oder unklare Stellen enthielten – dazu war es mehrfach im Ergebnis schwieriger Kompromissuchen gekommen – in ihrem Sinne umzuinterpretieren. In anderen Fällen war ihnen dieser „Geist“ behilflich, das, was in den Dokumenten stand, als einen „ersten Schritt“ darzustellen, dem selbstverständlich in der Kirche vor Ort weitergehende Schritte zu folgen hätten – alles im angeblichen Auftrag des Konzils.
Besonders gerne zeigte sich der Konzilsgeist in der Form der Vorstellung von einer „vorkonziliaren“ und einer „nachkonziliaren“ Kirche – damit ließ sich fast jedes Abrücken von den Traditionen der Glaubenslehre und der Glaubenspraxis als Erfüllung angeblicher Konzilsaufträge umdeuten und darüberhinaus die Vorstellung bestärken, daß es wirklich einen Bruch zwischen der Kirche vor 1960 und der nach 1970 gegeben habe.
Historiker als Ideologen
Tragischerweise war dieses Denken in Diskontinuitäten nicht nur das Privatvergnügen einiger Pofessoren. Es entsprach auch bis ins Kleinste dem Denken der „Ecclesia Dei, mit dem Johannes Paul II. schon 1988 den Bruch in der Liturgieentwicklung überspannen wollte, blieb weitgehend unbeachtet – nicht zuletzt deshalb, weil der Papst seine Umsetzung vom Wohlwollen der Bischöfe abhängig gemacht hatte. Ein bereits 1982 erstelltes Gutachten einer Kardinalskommission, das bestätigte, daß die alte Form des römischen Ritus nie „abgeschafft“ worden war, konnte wegen des Widerstands von Kurie und Bischöfen erst gar nicht veröffentlich werden.
Pontifikat gegen den Bruch
Als Leitmotiv des Pontifikates von Benedikt XVI. wird immer deutlicher erkennbar, daß er diesen Bruch schließen und das darauf ausgerichtete Denken gegenstandslos machen will. Schon Kurz nach Benedikts Wahl erklärte der im Namen des Papstes sprechende damalige Generalvikar Ruini (22.6.05) bei der Vorstellung eines neuen, nicht aus Bologna stammenden Buches zur Geschichte des II. Vatikanums, daß die bisherige Geschichtsschreibung in vielem der Ergänzung und der Korrektur bedürfe. Das 2. Vatikanische Konzil könne nicht nur in der Sache weder einen Bruch noch einen Neuanfang für die Kirche bedeuten – es sei „auch theologisch unzulässig“ in solchen Kategorien zu denken.
Im Dezember 2005 ging dann der Papst selbst in seiner Weihnachtsansprache vor den Mitarbeitern der Kurie ausführlich auf dieses Thema ein. Er verglich den Streit um die richtige Auslegung des Konzils mit dem Lärm eines Schlachtengetümmels und stellte schließlich fest: „Die Probleme der Rezeption entsprangen der Tatsache, daß zwei gegensätzliche Hermeneutiken miteinander konfrontiert wurden. Die eine hat Verwirrung gestiftet, die andere hat Früchte getragen, was in der Stille geschah, aber immer deutlicher sichtbar wurde, und sie trägt auch weiterhin Früchte. Auf der einen Seite gibt es eine Auslegung, die ich »Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches« nennen möchte; sie hat sich nicht selten das Wohlwollen der Massenmedien und auch eines Teiles der modernen Theologie zunutze machen können. Auf der anderen Seite gibt es die »Hermeneutik der Reform«, der Erneuerung des einen Subjekts Kirche, die der Herr uns geschenkt hat, unter Wahrung der Kontinuität; die Kirche ist ein Subjekt, das mit der Zeit wächst und sich weiterentwickelt, dabei aber immer sie selbst bleibt, das Gottesvolk als das eine Subjekt auf seinem Weg.“
Die Wahrheit duldet keine Brüche
Alles, was der Papst seitdem gesagt und geschrieben hat – insbesondere „Deus Caritas est“ und das Jesus-Buch – hat gezeigt, wie ernst er es mit diesem Ansatz nimmt. Dabei ist er nicht im geringsten rückwärts gewandt und kein Fürsprecher starrer Unbeweglichkeit. Aber die Wahrheit duldet keine Brüche. Und auch Entwicklungen können nicht dazu führen, daß das, was früher einmal wesentlich richtig war, heute als wesentlich falsch gelten müßte. Die Feststellung, daß die hl. Messe nach der älteren Ordnung nie verboten war und auch nicht verboten werden kann, lag von da auf der Hand. Und da der Papst hier nicht juristisch agiert – ein Gesetz kann immer durch ein anderes Gesetz geändert werden – sondern theologisch argumentiert, wird auch niemand sie in Zukunft verbieten können, denn eine „andere Theologie“, die in solchem Maße anders wäre, kann es nicht geben. Und was für die Messe gilt, gilt gilt natürlich auch für die in ihr ausgedrückte Ecclesiologie: Sie kann dazu lernen, sie kann andere Akzente setzen – aber sie kann nicht aus weiß schwarz machen.
Für alle, die in den letzten Jahren mit dieser Art von „schwarzer Kunst“ wissenschaftliche, journalistische oder kirchliche Karrieren gemacht haben, bedeutet das natürlich eine schwer erträgliche Provokation; die Wut, die sich in manchen Stellungnahmen äußert, ist verständlich. In den wenigen Jahren seines bisherigen Pontifikates hat Papst Benedikt zwar noch nicht den Bruch in der Kirche geheilt, aber doch das Denken und das Reden über die Kirche auf eine neue Grundlage gestellt. Es kann nicht länger angehen, daß eine selbstverliebte Gegenwart meint, die Vergangenheit vor ihren Richterstuhl ziehen und ganz nach dem Tageskurs beurteilen oder verurteilen zu können. Wer und was an der Kirche der Vergangenheit heilig und unvergänglich war – das können wir sicher wissen. Für alles Gegenwärtige steht die Probe noch aus – aber wir wissen jetzt schon, daß nichts bestehen kann, was auf der Vorstellung von Brüchen mit der Vergangenheit aufbauen will.
Mit diesem Beitrag beginnen wir eine Reihe von hoffentlich kürzeren Texten, die sich mit einzelnen Aspekten der Theorie und Praxis des Bruches auseinandersetzen sollen. Stichworte für die nächsten Themen auf der Liste sind "Bildersturm" und "Bücherverbrennung".