Drei Jahre Summorum Pontificum
Erfahrungsbericht 4:
Was ist hier so ganz anders?
4. 8. 2010
Diesen sehr persönlichen Erfahrungsbericht schickt uns eine Leserin aus Süddeutschland. Er sollte den Liturgie-Ingenieuren und Sozialarbeitern zu denken geben, die sich so viel auf die von ihnen entwickelte „dem Volk zugewandte“ neue Form des Gottesdienstes zugute halten.
Bei meinem Wiedereintritt in die kath. Kirche vor neun Jahren war ich zunächst angenehm überrascht über die nette Atmosphäre, das freundliche Miteinander, die Leichtigkeit und milde Zwanglosigkeit im sonntäglichen Gottesdienst. Es fiel mir jedoch auf, dass nur sehr wenig jüngere Leute am Gottesdienst teilnahmen.
Dann kam das Motu proprio im Juli 2007.
Anfang Januar 2008 las ich in der Zeitung von einer Sonntagsmesse in der außerordentlichen Form alle 14 Tage. Die alte Messe kannte ich nur aus längst vergangenen Kindertagen. Damals bin ich mit Begeisterung fast jeden Tag vor der Schule in die 7-Uhr-Werktagsmesse gegangen. Ich hatte also gute Erinnerungen und wollte sehen, wie das heute sein würde.
Anfangs konnte die kleine Kirche den Andrang der Messbesucher kaum fassen. Mit der Zeit wurden es etwas weniger, doch dann pendelte sich eine konstante Zahl. Mit einiger Regelmäßigkeit nahmen mein Ehemann und ich an der Meßfeier teil. Immer wieder musste ich mich fragen: was ist es, das mich so anzieht und im Innersten erfüllt? Was ist hier so ganz anders als im neuen Ritus? Was ist hier so stark, dort so schwach?
Im neuen Ritus gibt es ein Beziehungsproblem
Folgende Erfahrungen habe ich durch den wöchentlichen Wechsel zwischen neuem Ritus und altem Ritus gemacht:
Mit der Umkehrung des Altars zum Volk hin, ist das Bild, das der Priester früher vor sich hatte, das Kruzifix, das Altarbild und der Tabernakel als Sitz des Allerheiligsten, in den Hintergrund getreten. Der Priester wendet diesem seinem früheren Gegenüber den Rücken zu und schaut statt dessen in Richtung Gemeinde. Das neue Bild, das er vor sich hat und anblickt, ist der Mensch.
Auf dem Volksaltar ist außerdem wenig Platz. Ein paar Kerzen, ein paar Blumen, aber das Kruzifix scheint sich nicht unterbringen zu lassen. Auf den allermeisten Volksaltären sucht man es vergeblich. Allenfalls findet man es neben dem Ambo als kleines Vortragekreuz, oben von der Decke herabschwebend oder hinter dem Zelebranten an der Wand. Es ist wie zur Nebensache geworden und wird auch nicht einbezogen in die Messfeier. Keine Verehrung, keine Verneigung, keine Kniebeuge, kein Weihrauch, kurz: keine Bezugnahme des Priesters zum gekreuzigten Herrn. Als wäre er gar nicht da. Die Gebete, die der Priester laut spricht, spricht er zum Volk hin. Kann man eigentlich beten, wenn einem Leute dabei ins Gesicht schauen?
Man sollte einmal versuchen, vor einem an der Wand hängenden Bild des gekreuzigten Heilandes den schmerzhaften Rosenkranz zu beten, und dann versuchen, das gleiche zu tun vor einer Gruppe von Leuten, die einem dabei ins Gesicht schaut. Wie steht es dabei mit der Konzentration, worauf sind die Gedanken gerichtet? Wie fühlt man sich? Und wenn einer diese Übung tag täglich macht, Jahr aus Jahr ein, was kommt dabei heraus? Zu wem bekommt er eine Beziehung? Zum gekreuzigten Heiland oder zu den Leuten vor sich? Liegt hier nicht die Ursache für die zunehmende Verweltlichung und die persönlichen Schwierigkeiten vieler Geistlicher?
Auch für die Gemeinde, die sich im Beten auf Gott hin ausrichten will, ist die Situation schwierig. Denn statt auf das (früher einmal vorhandene) Kreuz zu schauen, schauen die Leute auf die Person des Priesters. Man schaut sich gegenseitig an, bindet sich auf subtile Weise aneinander und behindert sich gegenseitig darin, über eine sehr menschliche Ebene hinauszukommen. Wie kann sich der Mensch da auf Gott hin ausrichten?
Der Priester als Mittler zu Gott ist den Laien Vorbild darin wie der Mensch betenderweise eine Beziehung zu Gott einübt. Eine Liebesbeziehung. Dieser Aspekt wird im neuen Ritus nicht erlebbar. Der neue Ritus behindert das Gebet mehr als dass er es fördert. Mit der Folge, dass der Mensch nach und nach das Beten verlernt. Statt dessen wird die Beziehung zum Mitmenschen gefördert, wo es nur geht, durch Händeschütteln, Klatschen und Wohlfühlgesänge. Dies mag im äußeren Leben berechtigt sein, im Gottesdienst ist es fehl am Platz. Der innere Mensch verkümmert. Und mit dem Verlernen des Betens geht der Verlust des Glaubens einher. Wie die Kirche betet so glaubt sie.
Die Beziehung Gott - Mensch im Alten Ritus
Das schöne am alten Ritus ist, dass die Beziehung zu Gott klar ersichtlich ist durch Worte und Gesten und dass sie mit der Zeit immer nachhaltiger wird. Priester und Gläubige wenden sich gemeinsam Gott zu, der in Seinem Heiligtum wesenhaft in der Eucharistischen Gestalt zugegen ist, im Tabernakel am Hochaltar. Dorthin begibt sich der Priester, dort steht er vor dem Kreuz, unter dem Kreuz wie Johannes und Maria. Er steht vor Gottes Angesicht, er wendet sich Ihm zu, betet zu Ihm hin, ruft Seinen Segen herab und teilt diesen Segen aus, indem er sich dem Volk von Zeit zu Zeit zuwendet. Dies ist eine klare Haltung, die eine eindeutige reale Beziehung des Priesters zu Gott ausdrückt. Auch tritt der Priester am Hochaltar nicht als Herr, sondern ganz klar als Diener in Erscheinung.
Im Auftrag des Herrn zeigt er dem Volk den Weg. Statt die Blicke und Gedanken der Gemeinde auf sich zu ziehen, weist er über sich hinaus auf ein größeres Ganzes, eine Wahrheit jenseits aller Dinge. Er schafft Beziehung, Bindung an den Herrn. Religio. Durch die Abwendung von der Welt verleugnet sich der Priester selbst. Er lässt die Welt mit ihren Freuden und Verlockungen hinter sich und bringt das Hl. Opfer dar, was gleichzeitig ein persönliches Opfer ist, ein Opfer, das auch in der zölibatären Lebensform seinen Ausdruck findet. Wer zu solchem Opfer bereit ist, der hat die Liebe bzw. wird sie finden.
Der alte Ritus ist ein einziges Gebet und eine Schule der geistlichen Liebe. Die Beziehung zu Christus wird mit der Zeit immer stärker. Und dies erfährt nicht nur der Priester, sondern in gleichem Maße das Volk.
Mit Form – ohne Form
Vielleicht kann man auch sagen, das Hauptproblem der neuen Liturgie ist es, den formlosen Aspekt Gottes zu betonen und die menschgewordene Form des Sohnes zu vernachlässigen. Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt, weil der Mensch, der selbst an die Form gebunden ist, die Formlosigkeit / das Abstrakte nicht fassen kann. Durch den Bildersturm wird die Form abgelehnt, die Menschheit Christi geschmäht. Paradoxerweise wird jedoch dafür der Mitmensch zur Beziehungsform erhoben. Denn irgendein Bild braucht der Mensch. Dadurch macht sich der Mensch selbst zu Gott und geht an der Gestalt des gekreuzigten Christus vorbei.
Warum ist dann Christus für uns Mensch geworden? Er ist das wahre Bild Gottes, ohne Ihn hätten wir keinen Anhaltspunkt. Darum ist es größte Ignoranz und nahezu Lästerung, das Geschenk des Gekreuzigten Christus nicht zu betrachten und anzubeten, sondern sich darüber zu stellen in der Meinung, man käme ohne diese Hilfe aus. Ein abstraktes Gottesbild kann den Menschen nicht weiterbringen. Der Glaube kann sich nicht festigen, er zerfällt noch bevor er wachsen kann.
Die für den neuen Ritus gebauten neuen Kirchen zeigen das Dilemma ganz deutlich. Je moderner ein Kirchenbau umso abstrakter ist das Kreuz dort, meist nur ein Balken quer und einer hoch, kein Korpus, ein angedeutetes notweniges Relikt vergangener Tage. Derart Abstraktes verweist nicht mehr auf das Kreuzesopfer Christi und die Erlösung, die er uns zuteilwerden ließ. Das ist in meinen Augen kein Bild unseres Herrn mehr, kann kein Objekt der Verehrung sein.
Das, was an Glaube schon vorhanden ist bei älteren Leuten kann sich auch im neuen Ritus durch die Jahre retten, doch wie soll in diesem Umfeld bei jungen Leuten etwas Neues entstehen? Die Zeichen sind zu schwach. Das erklärt wohl auch, warum so wenig junge Leute am Gottesdienst teilnehmen. Es vermittelt sich nicht mehr viel.
Abschließend ein vielleicht etwas gewagter Vergleich: Die Feier des NO erscheint mir wie ein Topf heißes Wasser auf einer kalten Herdplatte - zunächst ansprechend, aber mit der Zeit langweilig, weil irgendwie unstimmig. Das kühlt sich ab. In der alten Liturgie geradezu umgekehrt: Ein Topf kaltes Wasser auf einer heißen Herdplatte. Soll heißen: Wir kommen aus der Welt in die Kirche, kalt, wie wir sind, und empfangen dort das, was die Liebe zu Gott in uns entzündet. Das findet seine Bestätigung in den vielen Generationen von Menschen, die - kleine wie große - mit dem alten Ritus aufgewachsen, durchs Leben gegangen und im Glauben erstarkt und gereift sind.