Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Der Kampf um das Konzil

Der Brief des Papstes an die Bischöfe - warum Benedikt XVI. der Piusbruderschaft die Hand reicht

12. 3. 2002

Dieser Brief ist eine Wegmarke in der Geschichte des Papstamtes. Nicht, daß der Entwicklungsweg hier selbst eine neue Richtung genommen hätte – gradlinig war die Entwicklung nie, und die jetzt zu notifizierende Richtungsänderung zeichnet sich schon seit Jahrzehnten ab. Aber spätestens jetzt ist nicht mehr zu übersehen, daß sich der Boden unter unseren Füßen verlagert hat und sich noch weiter und noch tiefergehend verändern wird.

Daß der Papst sich öffentlich erklären muß, ist keine kleine Sache. Der Machtanspruch der Mediengesellschaft scheint vor nichts und niemandem halt zu machen – von wegen „Prima sedes a nemine judicatur“. Die Bedeutung des Geschehens wird nicht dadurch geringer, daß der Brief formal nicht an die allgemeine Öffentlichkeit, sondern an die Bischöfe gerichtet ist: Der Papst erachtet es als notwendig, seine Brüder im Bischofsamt darüber zu belehren, was eine Exkommunikation bzw. deren Aufhebung bedeutet, und was nicht. Viele von ihnen haben Anlaß gegeben, daran zu zweifeln, daß sie das wissen – oder daß sie das öffentlich vertreten wollen.

Der Oberhirte muß seinen Mithirten darlegen, was pastorale Sorge heißt und daß ihre pastoralen Anstrengungen allen zu gelten haben und daß das Gesetz der Zahl hier keine Anwendung findet: „Wenn einer von Euch hundert Schafe hat und eines verliert, würde er nicht die 99 Schafe in der Wüste zurücklassen und dem verlorenen nachgehen, bis er es gefunden hat?“. So verlangt es der Glaube an Jesus den Christus – aber der Glaube droht, wie der Papst schreibt, „in weiten Teilen der Welt zu verlöschen wie eine Flamme, die keine Nahrung mehr findet.“ Den Glauben an Gott wieder in der Welt gegenwärtig zu machen ist, so der Papst, die allererste Priorität unserer Zeit – aber „nicht irgendeinen Gott, sondern (den) Gott, der am Sinai gesprochen hat; (den) Gott, dessen Gesicht wir in der Liebe bis zum Ende (Joh 13, 1) - im gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus erkennen. Das eigentliche Problem unserer Geschichtsstunde ist es, daß Gott aus dem Horizont der Menschen verschwindet und daß mit dem Erlöschen des von Gott kommenden Lichts Orientierungslosigkeit in die Menschheit hereinbricht, deren zerstörerische Wirkungen wir immer mehr zu sehen bekommen.“

Das ist der Hintergrund, vor dem Papst Benedikt sein Amt wahrnimmt, ein Amt der Machtlosigkeit, ein Ziel wütendster Angriffe nicht nur von außen, sondern auch von innen, wo „Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten.“ Der Papst gibt vor aller Welt zu, daß er von Bosheit geschlagen, getroffen und verletzt worden ist. Wir beginnen zu verstehen, warum Papst Benedikt nach seiner Wahl gestand: „Als langsam der Gang der Abstimmungen mich erkennen ließ, daß sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindelig zumute“, und warum er die dreifache Krone des Triregnum nicht in seinem Wappen führt. Wieder einmal in der Geschichte erscheint als einzige Krone, die den Päpsten sicher ist, die Märtyrerkrone.

Wir leben in einer Zeit großer Bedrängnis, in der die Regierenden der Welt das, was Gott verboten hat, zum Gesetz erheben und als Freiheitsrecht verklären. Schon sieht man moderne Nachfahren der Christenverfolger des heidnischen Rom durch die Lande ziehen, und wer sich weigert, ihren Götzen Weihrauch zu spenden, kann seiner bürgerlichen Existenz nicht mehr sicher sein. In dieser Situation sieht der Papst die höchste Priorität darin, die Einheit der Glaubenden zu wahren und dort, wo sie verloren gegangen ist, wieder herzustellen. „Der Streit, der innere Widerspruch (der Kirche), stellt die Rede von Gott in Frage.“

Deutlich wie noch nie zuvor als Papst spricht Benedikt XVI. den Hauptgrund des Streites an, der das Leben der Kirche vergiftet: „Man kann die Lehrautorität der Kirche nicht im Jahr 1962 einfrieren - das muß der Bruderschaft ganz klar sein. Aber manchen von denen, die sich als große Verteidiger des Konzils hervortun, muß auch in Erinnerung gerufen werden, daß das II. Vaticanum die ganze Lehrgeschichte der Kirche in sich trägt. Wer ihm gehorsam sein will, muß den Glauben der Jahrhunderte annehmen und darf nicht die Wurzeln abschneiden, von denen der Baum lebt.“

Es wäre müßig, das kindische Spiel vom „Der hat aber angefangen“ zu spielen, aber es hilft auch nicht die in diesen Tagen gerne gebrauchte Formel von den zweierlei Extremisten, die sich darin einig seien, daß „das Konzil“ einen tiefen Bruch gebracht habe – den die einen begeistert begrüßen und die anderen vehement ablehnen. Die Prediger des Bruches sind keine kleine radikale Minderheit irgendwo am Rande der Kirche, sondern sie haben in weiten Bereichen die entscheidenden Positionen an sich gebracht und „vorkonziliar“ zu einem Schimpfwort gemacht, das den, der dieser Haltung bezichtigt wird, fraglos ins Unrecht setzt. Der Bruch mag sich nicht auf „das Konzil“ berufen können, aber er bestimmt Realität und Wahrnehmung.

Und so gedeiht im deutschen Sprachraum an den Universitäten eine „Theologie“, die die Enzykliken der Päpste oder das Jesusbuch Benedikts XVI. mit offener Mißachtung abtut und mit immer größerer Arroganz für sich das Lehramt beansprucht – im Namen des Konzils. An vielen Orten werden Gottesdienste praktiziert, die jede Kontinuität zur katholischen Tradition verneinen – und sich oft genug geradezu lustvoll dem Zeitgeist unterwerfen. In Österreich ist, wie inzwischen als belegt gelten kann, der Zölibat mit Duldung der Bischöfe praktisch aufgehoben – im Namen des Konzils. In USA (Connecticut) haben „progressive“ Katholiken die staatliche Gesetzgebungsprozedur in Gang gesetzt, um im Namen von Demokratie und Bürgerrechten die Hierarchie abzuschaffen und eine kongregationalistische Struktur zu erzwingen – im Namen des Konzils.

Nichts hat den Wert und die Würde des 21. Konzils der Kirche – und damit auch all seiner Vorgänger – so sehr herabgesetzt wie die Tatsache, daß seit Jahrzehnten die ärgsten Widersprüche gegen die Lehre, die Tradition und den Gottesdienst der Kirche von ihren Proponenten als „im Geiste des Konzils“ stehend gerechtfertigt wurden – und sich dann auch stets Theologen, Bischöfe und Kardinäle der Kirche fanden, die falschen Lehren zu verschleiern, zu rechtfertigen oder zu verteidigen Deshalb ist es von allerhöchster Bedeutung, daß die Kommission Ecclesia Dei jetzt im Rahmen der Glaubenskongregation die Aufgabe erhalten soll, im Gespräch mit der Piusbruderschaft klarzustellen, was die von jedermann anzunehmende Lehre des Konzils und des Lehramtes der vergangenen 40 Jahre darstellt, was zeitbedingtes Rankenwerk und was bedauerliche Entstellung ist. Damit beginnt auf höchster Ebene endlich der klärende Dialog, dessen Zustandekommen die, denen an undurchsichtigen Verhältnissen gelegen ist, bislang mit Erfolg verhindert haben – und wie die Mehrheit der Deutschen Bischofskonferenz erst jetzt wieder in Hamburg verdeutlicht hat, auch weiter nach Kräften verhindern wollen.

In diesem Zusammenhang wollen wir der Hoffnung Ausdruck geben, daß für die bisher sogenannten „Ecclesia-Dei-Gemeinschaften“, die in voller Einheit mit dem Papst die überlieferte Liturgie pflegen und nach dem traditionellen Katechismus lehren, eine strukturelle Anbindung an Petrus gefunden wird, die ihren Bedürfnissen und ihrer Aufgabe entspricht. Für die hoffentlich näherrückende endgültige Rekonziliation der Piusbruderschaft erscheint das ohnehin als unumgängliche Voraussetzung: Es ist schwer vorstellbar, daß Gemeinden, Priester und Bischöfe, die den unaufgebbaren Wert der fortdauernden Tradition betonen, von der Macht von Bischöfen abhängig sein sollten, die diesen Wert in Frage stellen lassen oder sogar selbst an dieser Infragestellung mitwirken.

Damit ist nun allerdings die schwierigste Frage überhaupt angerührt, die mit den Debatten und Auseinandersetzungen der letzten Wochen aufgebrochen ist: Wie weit kann der Papst den Schirm der Einheit aufspannen, ohne daß er überdehnt wird und zerreißt? Ist es denkbar, daß unter dem Dach der römischen Kirche Diözesen oder ganze Bischofskonferenzen existieren, die das Sakrament der Versöhnung nur noch im kollektiven „Bußgottesdienst“ spenden zu können glauben, während andere an Beichtstuhl oder Beichtzimmer festhalten? Könnten in dem einen Bistum Protestanten zur Interkommunion zugelassen werden und in dem anderen nicht? Hier verheiratete (und geschiedene?) Priester als Norm, dort Zölibatäre, wie menschlich gefährdet auch immer? In dem einen Land weiterhin entschlossener Kurs in Richtung Abschaffung des Weihepriestertums und Übergang zu priesterlosen Gottesdienstformen – im anderen Rückbesinnung auf das hl. Messopfer als Quelle und Höhepunkt christlichen Lebens? Wo enden – von allen praktischen Problemen, die mit der Herausbildung eines solchen Flickenteppichs einhergingen, einmal abgesehen – die erträglichen Unterschiede in Disziplin, Recht und Kultur, und wo beginnen die Unvereinbarkeiten in der jeweils darunter liegenden Lehre?

In dieser Krise, in der die Einheit der Kirche gefährdet ist wie seit der großen Verwirrung des 16. Jahrhunderts nicht mehr, hat der Nachfolger Petri kein anderes „Machtmittel“ mehr als die Apostel vor zweitausend Jahren: Den Brief. Er schreibt an die Nachfolger der Apostel, aber ob alle, ob viele ihn hören, ist ungewiß, die Versuchung im lokalen Opportunismus ein diesseitiges Heil zu suchen, erscheint übergroß. Viele Gemeinden, Priester und Bischöfe erliegen der Illusion, den Glauben und die Wahrheit aus sich heraus gestalten zu können, Einheit wird als Behinderung des authentischen Lebens wahrgenommen.

Benedikt XVI. weiß sehr wohl, was er auf sich nimmt, wenn er sich dieser Tendenz entgegenstemmt. Die Frage der Einheit in der Verschiedenheit hat den Heiligen Vater und Nachfolger Petri schon beschäftigt, als er noch Joseph Ratzinger war, und mehrfach kommentiert er in seinen Arbeiten die Erzählung Wladimir Solowjews vom Antichrist:

Zitat: Im Augenblick der letzten Entscheidung zeigt es sich dort, daß in allen drei Gemeinschaften, bei Petrus, Paulus wie bei Johannes Parteigänger des Antichrist leben, die ihm in die Hände spielen und sich ihm unterwerfen; aber ebenso zeigt es sich, daß es bei allen dreien wahre Christen gibt, die dem Herrn die Treue halten bis in die Stunde seines Kommens hinein. Im Angesicht Christi erkennen sich die Getrennten um Petrus, Paulus, Johannes als Brüder; es erkennen sich die getrennten wahren Christen als immer schon einig, wie umgekehrt die Schar des Antichrist ihrer Lüge überführt wird. Im Licht des Erlösers zeigt sich, wer die einen wie die anderen waren und sind."

(...) Man hätte nichts verstanden von Solowjews Erzählung, würde man sagen, sie verschiebe die christliche Einheit ans Ende der Tage. Sie zeigt vielmehr, daß diese Einheit „eschatologisch" im wahren Sinne des Wortes ist: immer schon gegenwärtig und doch innerhalb der Zeit nie vollendet, nie einfach zum fertigen empirischen Faktum gefroren. Was im Licht des wiederkommenden Christus sichtbar wird, enthüllt die Wahrheit unserer Zeit, einer jeden Zeit. In allen drei großen Gemeinschaften gibt es wahre Christen, aber auch in allen hat der Antichrist seine Parteigänger, immer auch bis in die höchsten geistlichen Ämter hinein. Die endgültige Scheidung wird erst am Tag der Ernte geschehen. Aber schon jetzt sollten wir zu unserem Trost und zu unserer heilsamen Furcht um dies Verborgene wissen. (...) Ebenso muß uns schon jetzt und immer auch die Sorge umtreiben, daß wir nicht mit großen christlichen Worten und Drapierungen zu Dienern des Antichrist werden, der sein Reich in dieser Welt einrichten und das künftige Reich Christi überflüssig machen will.“

Vor diesem Hintergrund ist das Ringen von Papst Benedikt um die Aussöhnung der Kirche nicht nur mit der Priesterbruderschaft, sondern mit sich selbst und ihrer eigenen Geschichte und Tradition zu verstehen – und auch die Wut derer, die ihn dabei bekämpfen.


Das Zitat zu Solowjew entnehmen wir dem Aufsatz „Zur Lage der Ökumene“ von 1995 nach der Wiedergabe in Josef Cardinal Ratzinger, Die Gemeinschaft des Glaubens, Augsburg 2002, S. 232-234.