Motu Proprio: Summorum Pontificum

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Zusatzinfo

Zur Wiederherstellung der Liturgie

Interview von Paolo Rodari mit SE Cardinal Cañizares, Präfekt der Gottesdienstkongregation

22. 1. 2010

Der italienischen „Vaticanista“ Paolo Rodari hat am 9. Januar in Il Foglio ein langes Interview mit Cardinal Cañizares veröffentlicht. Eine ausführlichere Fassung erschien am gleichen Tag auf palazzoapostolico - dem "Vatikanischen Tagebuch" . Es handelt sich offenbar um eine Tonbandabschrift mit vielen langen und nicht immer ganz fertigen Sätzen. Unsere geringfügig gekürzte Übersetzung stützt sich auf die englische Version in „New Theological Movement“ und den Abgleich mit dem Original.

Wir bringen zunächst nur den ersten Teil, der sich unmittelbar mit den Fragen der Liturgie beschäftigt. Der zweite Teil, der am Beispiel Spaniens die Aufgaben der Bischöfe unter dem Ansturm des Säkularismus behandelt, folgt später.

Was der Cardinal uns nach einem Jahr an der römischen Kurie zu seinen Erfahrungen sagte:

Ich habe den Auftrag erhalten, mit der ebenso wertvollen wie unentbehrlichen Hilfe meiner Mitarbeiter, die Aufgaben zu erfüllen, die der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramente in der Apostolischen Konstitution Pastor Bonus von Papst Johannes Paul II. zugewiesen worden sind: Die Ordnung und Förderung der heiligen Liturgie, in erster Linie der Sakramente. Wegen der religiösen und kulturellen Situation unserer Zeit und weil die Liturgie im Leben der Kirche die höchste Priorität einnimmt, denke ich, daß meine Hauptaufgabe darin besteht, mit vollem Einsatz und voller Hingabe darauf hinzuwirken, den Geist und das Bewußtsein der Liturgie im Gewissen und im Handeln der Gläubigen wiederzubeleben und zu entwickeln. Es geht darum, die Liturgie zu Mitte und Herz der Gemeinden werden zu lassen damit alle, die Priester wie die Gläubigen, darin den wesentlichen und unentbehrlichen Inhalt unseres Lebens erkennen . Nur dann können wir aus der Liturgie leben und nur dann kann sie so, wie das zweite Vatikanische Konzil es gesagt hat, „Quelle und Gipfel“ des christlichen Lebens sein.

Nach einem Jahr an der Spitze dieser Kongregation erfahre ich jeden Tag stärker die Notwendigkeit, in der Kirche auf allen Kontinenten einen starken und wirkungsvollen liturgischen Impuls zur Geltung zu bringen. Einen Impuls, der das überreiche Erbe des Konzils und der großen Liturgischen Bewegung des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Männern wie Guardini, Jungmann und anderen wiederbelebt, den die Kirche auf dem 2. Vatikanischen Konzil fruchtbar gemacht hat. Da liegt die Entscheidung über unsere Zukunft und die Zukunft der ganzen Welt. Ich sage das, weil die Zukunft der Kirche und der Menschheit in Gott liegt, im Leben Gottes und in dem, was von ihm kommt – und das geschieht in der Liturgie und durch sie. Nur eine Kirche, die aus der Wahrheit der Liturgie lebt, wird fähig sein, der Welt das zu geben, was sie erneuert, verwandelt und neu macht: Gott und nur Gott und seine Gnade. Die Liturgie in ihrer reinsten Form ist Gegenwart Gottes, das erlösende und wiederbelebende Handeln Gottes, die Mitteilung von und Teilhabe an seiner barmherzigen Liebe, die Anbetung und Anerkennung Gottes. Sie allein kann uns retten.

Guardini und Jungmann waren zwei Säulen der liturgischen Bewegung der vergangenen Jahrzehnte. Sie haben Josef Ratzinger bei seinem „Geist der Liturgie“ beeinflusst. Sie haben wohl auch den Erlass des Motu Proprio Summorum Pontificum inspiriert. Es heißt, daß das Motu Proprio auch (einige meinen, sogar an erster Stelle) eine ausgestreckte Hand des Papstes in Richtung der Priesterbruderschaft Pius X. darstellt. Stimmt das?

Das ist so. aber ich denke, das Motu Proprio hat auch einen sehr bedeutenden Wert in sich selbst, für die Kirche und für die Liturgie. Auch wenn das einigen nicht gefällt – das sieht man an den Reaktionen, die uns erreicht haben und immer noch erreichen – muß man doch gerechterweise sagen, daß das Motu Proprio keinen Rückschritt und keine Rückwendung zur Vergangenheit darstellt. Es geht ganz einfach darum, die Schätze und das Erbe der großen Tradition, die in der Liturgie ihren wahrsten und tiefsten Ausdruck finden, anzuerkennen und anzunehmen. Die Kirche kann es sich nicht erlauben, die Schätze dieses reichen Erbes, das im Römischen Ritus enthalten ist, aufzugeben, zu vergessen oder zu widerrufen. Das wäre ein Verrat und eine Verneinung ihres inneren Selbst. Sie kann weder das historische Erbe der kirchlichen Liturgie abstreifen, noch versuchen, alles neu zu erfinden – so wie das einige geglaubt haben – ohne wesentliche Bestandteile der Kirche selbst abzuschneiden.

Einige haben die Liturgiereform des Konzils als einen Bruch und nicht als eine organische Weiterentwicklung der Tradition aufgefasst. In diesen Jahren nach dem Konzil ewar „Veränderung“ geradezu ein Zauberwort. Man mußte das, was gewesen war, verändern – bis dahin, es ganz aufzgeben; alles sollte neu werden, Neuheiten einzuführen war geradezu notwendig – und so entstand schließlich im Ergebnis ein menschliches Werk, eine menschliche Neuschöpfung. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Liturgierefom und die jahre nach dem Konzil in ein kulturelles Klima fielen, das gekennzeichnet oder beherrscht war von der Vorstellung des Menschen als „Schöpfer“. Und das ist nur schwer vereinbar mit einer Liturgie, die vor allem das Werk Gottes ist, seine Oberhoheit anerkennt, die Gott anbetet und eine Tradition darstellt, die wir empfangen und die uns ein- für allemal gegeben ist. Es ist nicht unsere Sache, Liturgie selbst zu gestalten, sie ist nicht unser Werk, sondern Werk Gottes.

Diese Vorstellung vom Menschen als 'Schöpfer', die zu einer säkularisierten Sicht aller Dinge führt und in der Gott keinen Platz hat, diese Leidenschaft für Veränderung und die Aufgabe von Traditionen ist immer noch nicht überwunden. Und das ist meiner Ansicht nach einer der Gründe, warum viele das Motu Proprio mit solchem Misstrauen betrachten, warum es einigen so schwer fällt, es anzunehmen und zu beherzigen, warum es ihnen so schwer fällt, sich dem großen Reichtum der römischen liturgischen Tradition wieder zuzuwenden und die gegenseitige Bereicherung der „ordentlichen“ und der „außerordentlichen“ Form des einen römischen Ritus anzustreben und anzunehmen.

Das Motu Proprio Summorum Pontificum hat einen großen Wert, den jeder anerkennen sollte, und das hat nicht nur mit der Liturgie zu tun, sondern mit der Kirche überhaupt, mit dem, was die Tradition ist und darstellt und ohne das die Kirche zu einer ständiger Veränderung unterworfenen menschlichen Einrichtung würde. Es ist offensichtlich, daß man das Motu Proprio ebenso sehen muß, wie man das zweite Vatikanische Konzil sieht oder sehen und interpretieren will. Wenn jemand das Konzil unter dem Schlüsselbegriff von Bruch und Diskontinuität sieht und interpretiert, dann mißversteht und entstellt er das Konzil völlig. Daher gestattet uns, wie der Papst betont, nur die Hermeneutik der Kontinuität eine richtige und zutreffende Sicht auf das Konzil. Nur so können wir die Wahrheit, die es ausspricht und lehrt, voll verstehen, und ganz besonders gilt das für die Konstitution Sacrosanctum concilium über die Göttliche Liturgie, die man auf keine Weise aus diesem Gesamtzusammenhang herauslösen kann. Dementsprechend hat das Motu Proprio den allerhöchsten Stellenwert für die ganze kirchliche Gemeinschaft.

Der Papst unterstützt den langsamen, aber notwendigen Prozess der Wiederannäherung der Kirche an einen wahrhaft liturgischen Geist. Aber es gibt auch genug Spaltungen und Gegenpositionen. Kardinal Canizares spricht sie an:

Die große Leistung des Papstes besteht meiner Ansicht nach darin, daß er uns wieder näher an die Wahrheit der Liturgie bringt und mit kluger Pädagogik in den wahren „Geist der Liturgie“ (eines seiner Bücher bevor er Papst wurde) einführt. Zum ersten verfolgt er einen ganz einfachen erzieherischen Kurs, der diesen Geist oder wahren Sinn der Liturgie fördern will, um die reduktionistische Sicht zu überwinden, die in der Liturgie immer noch tief eingewurzelt ist. Als Papst ist er auch der erste, der seine auf diesem Gebiet so reichhaltige Lehre in die Praxis umsetzt. All die beschwörenden Hinweise, die seine Liturgien begleiten, zielen in diese Richtung. Wenn wir die Liturgie so leben wollen, wie das ihrem Wesen entspricht und wenn wir die Schätze und das liturgische Erbe der Tradition nicht verlieren wollen, sind wir verpflichtet, diese Hinweise und diese Lehre aufzunehmen. Darüberhinaus bedeutet das aber auch ein großes Geschenk für die so dringend nötige Glaubensbildung des christlichen Volkes. Das ist die Perspektive, in der man dieses Motu Proprio sehen muß, das die Möglichkeit zur Zelebration mit dem Missale Romanum Johannes' XXIII. bekräftigt – jenes Missales, das mit den im Lauf der Zeit erfolgenden Änderungen bis auf die Zeit des hl. Gregors des Großen und sogar noch früher zurückgeht.

Es ist gewiss wahr, daß diejenigen, die von ihrem Recht Gebrauch machen, die hl. Messe im „alten Ritus“ oder in der „außerordentlichen Form“ zu zelebrieren oder daran teilzunehmen, viele Schwierigkeiten haben. In der Sache selbst gibt es keinen Grund für diese Widerstände oder gar dazu, das als „vorkonziliar“ oder noch ärger als „antikonziliar“ zu verdächtigen oder zu bezeichnen. Dafür, warum das so ist, gibt es verschiedene Gründe. Aber in letzter Instanz gehen sie alle auf die Motive zurück, die zu einer als Bruch verstandenen Reform der Liturgie führen und die außerhalb der Tradition und der „Hermeneutik der Kontinuität“ liegen, wie das die wahre liturgische Reform nach der rechten Interpretation des Zweiten Vatikanums erfordert. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir in der Liturgie letztlich das innerste Wesen von Glauben und Kirche berühren, und deshalb hat es stets in der Geschichte, wenn etwas an der Liturgie geändert wurde, Spannungen und sogar Spaltungen gegeben.

Seit der Rede Papst Benedikt. XVI. vor der Römischen Kurie am 22. Dezember 2005 steht die Notwendigkeit, das zweite Vatikanische Konzil nicht im Licht des Bruches mit der Vergangenheit zu sehen, sondern in der Kontinuität, im Zentrum dieses Pontifikats. Was bedeutet das vom liturgischen Standpunkt her?

Das bedeutet unter anderem, daß wir die liturgische Erneuerung nicht vollenden und die Liturgie nicht zur Mitte und zur Quelle des christlichen Lebens machen können, wenn wir mit dem Verständnisschlüssel des Bruches an die frühere Tradition gehen, die diese reiche Quelle des Lebens und der göttlichen Gabe trägt, die das christliche Volk genährt und belebt hat. In diesem Sinne sind die Lehren und die Hinweise von Benedikt XVI. wirklich grundlegend. Und deshalb müssen wir die ernsten und tiefen Lehren, die er uns zu geben hat, nachdrücklich verbreiten, einschließlich dessen, was er vor der Papstwahl gesagt hat und was er in Sacramentum Caritatis so deutlich darlegt.

Die Congregation, der Kardinal Canizares vorsteht, hat sich im vergangenen März zu einer Vollversammlung getroffen und anschließend dem hl. Vater einige Vorschläge überreicht.

Die Vollversammlung der Kongregation befasste sich in erster Linie mit der eucharistischen Anbetung, mit der Eucharistiefeier als Anbetung und mit der Anbetung außerhalb der hl. Messe. Einige unserer gemeinsamen Beschlüsse haben wir dann dem hl. Vater vorgelegt. Diese Beschlüsse bestimmen die Arbeit der Kongregation für die kommenden Jahre, die der Papst genehmigt hat und zu der er uns ermutigt. Ihr Gegenstand ist die Wiederbelebung und Förderung einer neuen liturgischen Bewegung, die in Treue zu den Lehren des Konzils und von Papst Benedikt die Liturgie an die zentrale Stelle im Leben der Kirche stellt, die ihr zukommt.

Die Vorschläge beziehen sich auf Anstoß und Förderung der Gott geschuldeten Anbetung des Herrn in der christlichen Liturgie, die untrennbar mit der wirklichen und wesenhaften Gegenwart Christi im eucharistischen Sakrament verbunden und für eine lebendige Kirche absolut unentbehrlich ist. Die Beendigung und Korrektur der Mißstände – von denen es leider sehr viele gibt – ist kein Ergebnis der Vollsitzung der Kongregation, aber das ist natürlich auch etwas, das eben diese Liturgie und die Zukunft der Kirche und ihrer Gemeinschaft betrifft. Zu diesen Fragen – also den zahlreichen liturgischen Mißbräuchen und ihrer Berichtigung – hat die Kongregation schon vor einigen Jahren eine höchst bedeutende Instruktion veröffentlicht, an die wir alle gebunden sind: Redemptionis Sacramentum. Wenn wir als Katholiken etwas zur Erneuerung der Welt beitragen wollen, ist die Korrektur der bestehenden Mißbräuche eine Pflicht von überragender Bedeutung.

Die Beschlüsse (der Vollversammlung) haben im Übrigen nicht das Ziel, jeder Kreativität ein Ende zu setzen, aber es geht darum, die Wahrheit der Liturgie, ihren innersten Sinn und ihren eigentlichen Geist, zu fördern und wiederzubeleben. Niemand von uns kann übersehen, daß liturgische Kreativität, so, wie sie oft verstanden und praktiziert wird, das Ende der Liturgie bedeutet und zur ihrer Säkularisierung führt, weil sie im Widerspruch zum Wesen der Liturgie selbst steht.

Sagen die Beschlüsse etwas zur Verwendung der lateinischen Sprache?

Nein, es wird nichts davon gesagt, der lateinischen Sprache auch im ordentlichen Ritus mehr Raum zu geben, auch nichts von der Veröffentlichung zweisprachiger Missale, wie sie tatsächlich an einigen Orten ja nach dem Konzil bereits erschienen sind. Aber man darf auch nicht vergessen, daß das Konzil in der Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ in keiner Weise die lateinische Sprache abschafft, sie bleibt die verehrungswürdige Sprache des Römischen Ritus.

Es gibt noch so viele andere wichtige Fragen, die Wendung nach Osten...

Wir haben die Frage „versus orientem“, die Mundkommunion und die anderen Fragen, die manchmal den Vorwurf der Rückschrittlichkeit, des Konservatismus oder Elitismus auslösen, (auf der Vollversammlung) nicht behandelt. Ich denke auch, daß man sich mit diesen wichtigen Fragen, die Wendung nach Osten, das sichtbare Kreuz in der Mitte des Altars, die kniend empfangene Mundkommunion, den gregorianischen Choral nicht leichtfertig befassen darf und über sie in jedem Fall fundiert und mit Kenntnis der Ursachen sprechen muß, so wie das der heilige Vater tut. All das betrifft und fördert auch eher die Wahrheit der Zelebration. Das gleiche gilt auch für die aktive Teilnahme, die in dem Sinne zu sehen ist wie es das Konzil ausgeführt hat, und nicht irgendwie anders.

Worauf es ankommt ist, daß die Liturgie in ihrer Wahrheit gefeiert wird und daß sie den Geist und den Sinne der Liturgie im ganzen Volk Gottes in der Weise fördert, daß man von der Liturgie her leben kann. Es ist von allerhöchster Bedeutung, daß die Liturgie den Geist der Heiligkeit und der Geheimnisses ausströmt und fördert, daß sie den Glauben an die Realpräsenz des Herrn und an das Geschenk Gottes, das darin wirksam ist, wiederbelebt. Dazu bedarf es der Anbetung, des Respekts, der Verehrung, der Betrachtung, des Gebets, des Lobpreises, des Dankens und vieler anderer Dinge die in der Gefahr stehen, verloren zu gehen. Wenn ich die Liturgien des Papstes betrachte oder selbst daran teilnehme, in denen schon viele dieser Dinge verwirklicht sind, wird mir immer klarer, daß es sich dabei nicht um Randerscheinungen handelt, sondern um Dinge, die große Ausdruckskraft und erzieherischen Wert in sich selbst und für die Wahrheit der Zelebration haben und deren Fehlen einen Mangel darstellt.