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Zusatzinfo

„Alt – böse, neu – gut“

Wie man in Berlin schon begriffen hat, was Karlsruhe erst noch lernen muß

19. 7. 2008

Staatsoper "Unter den Linden" Bild:Staatsballet

Die Berliner Staatsoper „Unter den Linden“ behält ihren historischen Zuschauersaal im preußischen Rokoko auch nach der anstehenden Renovierung. Der bereits von einer Jury preisgekrönte Entwurf, der die Totalentkernung des Bauwerks und den Neubau der Inneneinrichtung in computergeneriertem Zeitgeist-Design vorsah, wurde von der politischen Spitze der Stad kassiert. Die heiße öffentliche Auseinandersetzung der letzten Wochen, bei der die Befürworter einer Renovierung ohne Abriss sich sogar in Nazi-Nähe gerückt sahen, hatte schließlich der Erkenntnis zum Durchbruch verholfen, daß die Propagandisten der Brutalsanierung keine anderen Argumente hatten als die Schlichtparole „alt – böse, neu – gut“.

In Karlsruhe, wo die diözesanen Entscheidungsträger die „liturgische Umgestaltung“ der Stephanskirche im Sinne der Demolierungsästhetik auf die Tagesordnung gesetzt haben, steht dieser Erkenntnisprozess noch bevor. Wir überlegen, ob da etwas zu vergleichen ist. Und wir gestatten uns dabei ein paar gedankliche Ausflüge auf hier sonst nicht hin gehörendes Gebiet – die uns schließlich umso sicherer zu unserem Thema zurückführen sollen.


Der preisgekrönte EntwurfBild:Büro Roth

Der Fall Staatsoper

Zuerst nach Berlin. Zunächst schien alles ganz glatt zu gehen. Die Politiker, die nicht unbedingt etwas von Kunst verstehen müssen, geben die Entscheidung über Baumaßnahmen im kulturellen Raum gerne in die Hände „kompetenter Juroren“, und diese Juries entscheiden fast unweigerlich zu Gunsten des spektakulärsten und teuersten Entwurfs. Das sind sie Ihrem Ruf als „Avantgardisten“ und „Enfants terribles“ des Kunstbetriebes schuldig. Außerdem gibt es da noch diesen leicht mafiösen Mechanismus des „geb ich dir heute nen Preis gibst Du mir morgen nen Preis“ - und so wandern die lukrativen Aufträge gerne im Kreis der jeweils aktuellen Modemacher herum.

Schwungvolle Architektenprosa zur Begründung der jeweiligen Auswahl stellt sich dann schon von selbst ein – im Fall der Staatsoper kreiste sie diesmal vor allem um die Behauptung, der alte Saal „klinge“ nicht zeitgemäß, und für die modernen Hörgewohnheiten brauche man etwas wissenschaftlicheres und mit Computerhilfe designtes. Das ging denn auch solange gut, bis jemand herausfand, daß Berlin bereits einen Saal hat – die Deutsche Oper an der Richard-Wagner Straße – der genau diesem akustischen Profil entspricht. Damit stand die Frage im Raum – und hier macht die Phrase denn einmal Sinn – warum man zweimal die gleiche Akustik brauche, wo es doch Opern aus unterschiedlichen Musikepochen mit unterschiedlichen Anforderungen an die Raumakustik gibt. Und ob man nicht in Zukunft die eine Sorte Musik an der Richard-Wagner-Straße und die andere eben in dem konventioneller klingenden Raum Unter den Linden aufführen solle – im weitgehend originalgetreu restaurierten Saal, versteht sich.

Da war aber Feuer am Dach! Der preisgekrönte Architekt sah die Chance auf ein grundstürzendes Zukunftsprojekt entschwinden, Obermusiker Barenboim fürchtete Übergriffe in den Raum seiner künstlerischen Unfehlbarkeit, und Obermanager Rosinski, der Feuer und Flamme für den Neubau gewesen war, fuhr im Kampf um die Lufthoheit über den Kulturstammtischen das schwerste Geschütz auf, das hierzulande in Stellung zu bringen ist: Der historische Fortschritt gebiete geradezu die Zerstörung des alten Saales, dieser „totalitäre Raum“ spiegele eine Nationalgeschichte der Verdrängung und drücke sich vor dem Problem „der Darstellung des Schreckens im Medium der Bühne“ nach dem Holocaust.

Richard Paulick –
Gedenkmadaille der DDR

Das war denn doch eine Drehung an der Schreckensschraube zuviel. Der bestehende Raum ist nämlich weder eine Schöpfung im Auftrag der Preußenkönige noch des Nazi-Architekten Albert Speer, sondern des DDR-Architekten Richard Paulick aus den 50er Jahren. In vielem ist dieser Raum Ausdruck der Nationalgeschichte, wie man ihn sich typischer kaum denken kann: Unter Preußens erbaut, im Luftkrieg zerstört, von der DDR-Regierung – die ihren Bürgern auch etwas Abbitte für das gerade gesprengte Stadtschloss leisten wollte – unter dem ästhetischen Einfluss der 50er Jahre und unter Einbeziehung der gerade aktuellen Erkenntnisse zur „sozialistischen Aneignung der positiven Elemente der Nationalkultur“ zeittypisch rekonstruiert, ist er ein Geschichtsdenkmal allerersten Ranges.

Die Frankfurter Allgemeine zog aus dem Befund ein Fazit, das uns nachgerade von der „Hermeneutik der Kontinuität“ bestimmt zu sein scheint:

Zitat: „Wahr ist, daß die Republik, die immer noch dabei ist, in Berlin anzukommen, nach einem architektonischen Ausdruck ihres Selbstverständnisses sucht, Wahr ist auch, daß sie diesen Ausdruck nicht in der Spielbudenästhetik des Potsdamer Platzes oder der gargantuesken Waschtrommel des Lanzleramts findet, sondern in den klassizistischen Fassaden des Reichstags, der Museumsinsel und des Forum Fridericianum. In diesem Sinn ist Richard Pulicks Zuschauersaal keine Hypothek, sondern ein geschenk. Wer es zerstört, bringt nicht die Oper zum Klingen, sondern ein Kunstwerk zum Schweigen.“ (Andreas Kilb am 20. Juni)

Damit hatte die Abriß-Mafia ihr Pulver verschossen, die Politik fürchtete, sich lächerlich zu machen und beschloß in letzter Minute, was sie schon vorher hätte sehen und beschließen können: Renovierung nach Maßgabe des Denkmalschutzes.

St. Stephan Karlsruhe Bild: Wikipedia

Der Fall Stephanskirche

Und nun also nach Karlsruhe, wo die Diskussion über die „liturgische Umgestaltung“ der Stephanskirche erst in den Anfängen steht und natürlich in kleinerem Maßstab geführt wird. Sofern man von Diskussion überhaupt sprechen kann: Beschlossen werden solche Kirchenrenovierungen, die nur zu oft in Demolierungen enden, in vertraulichen Zirkeln, und die anschließende „Öffentlichkeitsarbeit“ hat primär das Ziel, Widerstände zu überwinden und freie Bahn zu schaffen.

Die Mechanismen, die dort zur Wirkung kommen, haben mit denen der Kunst- und Architekturkungelei im politischen Umfeld frappierende Ähnlichkeit. Vor allem diese eine: Die Verantwortlichen – hier letztlich also die Bischöfe – haben von Kunst meistens wenig Ahnung und sind froh, sich hinter einer Jury oder wenigstens einem diözesanen Kunstreferenten verstecken zu können. Die ästhetische Bildung und die Kunstgeschichte spielen für die Ausbildung katholischer Theologen noch eine weitaus geringere Rolle als die Betriebswirtschaft – der Zusammenhang zwischen Schönheit, Wahrheit und Heiligkeit, den das Wirken von Papst Benedikt so tief zum Ausdruck bringt, wird entweder nicht mehr gesehen oder sogar aggressiv bestritten.

Zur Begründung muß mal die jetzt auch in Berlin gebrauchte und verbrauchte Zauberformel von den „Schrecken des 20. Jahrhunderts“ herhalten, oder – denkwürdige Äquivalenz – die von der angeblich völlig veränderten Situation von Mensch und Kirche „nach dem Konzil“. Hermeneutik des Bruches in Reinkultur.

Zustand um 1880Bild: Stadt Karlsruhe

Das praktische Ergebnis ist in jedem Fall das gleiche: Kontinuität ist verdächtig, alles Neue – und sei es noch so mittelmäßig oder gar mäßiger – ist allemal besser als das Ererbte. Und so kam es denn gerade im Bistum Freiburg, zu dem Karlsruhe gehört, dazu, daß noch im 40. Jahr nach dem Konzil im Freibürger Münster der historische Altarraum plattgemacht wurde mit der Begründung: "Wir wollen keinen Rückschritt vor das zweite Vatikanische Konzil zurück ins 19. Jahrhundert". Erzbischof Zollitsch, (http://www.freiburger-muenster.blogspot.com/). Und nun stehen dort die Retabeln der weggenommenen Seitenaltäre an den Vierungspfeildern da wie die sprichwörtliche Dame ohne Unterleib. Stumme Zeugen spiritueller Unfruchtbarkeit, und wie der Hochaltar an den Rand gedrückt von einer Altarinsel mit Möblierung im Lego-Stil. Aber zeitgemäß.

In Karlsruhe ist ähnliches beabsichtigt – wir haben uns nicht die Mühe gemacht, herauszufinden, ob die gleichen Personen dahinter stehen, es ist der gleiche Geist. Einige Angestellte dieses Geistes haben immerhin einen Namen: Stephan Langer, der im diözesanen „Konradsblatt vom 22. Juni in die Öffentlichkeitsarbeit zu dieser Sache eingestiegen ist, und Pfarrer Achim Zerrer, der zuständige „Leiter der Seelsorgeeinheit“, den Langer in seinem Artikel zitiert. An sie müssen wir uns hier zunächst halten – obwohl Erzbischof Zollitsch sicher mit im Spiel ist: Er fungiert als „Schirmherr“ des Projekts. So weiß jeder, der etwas dagegen sagt – noch gibt es viele Unüberzeugte – mit wem er sich einläßt.

Zustand um 1930Bild: Stadt Karlsruhe

Von den historischen Abläufen her gesehen hat die Anfang des 19. Jh. eingeweihte Stephanskirche mit dem Berliner Schauspielhaus, das seine historische Form 1843 erhielt, einiges gemeinsam: Zunächst die klassizistische Auffassung der ganzen Anlage; dann wurden beide im 2. Weltkrieg schwer beschädigt und in den 50er Jahren mit beschränkten Mitteln in Anlehnung an den alten Bestand wieder hergestellt. Und wie in Berlin soll dieser Charakter als Zeugnis gebauter Geschichte auch in Karlsruhe für die Renovierung keine Rolle spielen: Neugestaltung ist angesagt: „alt – böse, neu – gut“.

Das Gespenst des Konzils

Das Konzil will es so, belehrt uns Stephan Langer: „Die Konzilsväter waren überzeugt: Auch der Gottesdienst und damit der Gottesdienstraum mußten ein „Aggiornamento“, eine „Verheutigung“ erfahren.“ So steht es zwar in keinem Dokument des Konzils, aber die Behauptung ist in den letzten Jahrzehnten so oft wiederholt worden, daß sie im offiziellen Betrieb anscheinend keines Beweises mehr bedarf. Deshalb können wir uns also den Hinweis an Langer nicht ersparen, daß der Auftrag des Konzils zur Reform der Liturgie nirgendwo von „Verheutigung“ spricht, sondern das Grundprinzip aufstellt, die Gläubigen zur volleren Teilnahme an den Geheimnissen zu führen (SC 14). Dabei solle „die gesunde Überlieferung gewahrt bleiben“ und keine Neuerung eingeführt werden, „es sei denn, ein wirklicher und sicher zu erhoffender Nutzen der Kirche verlange es“ (SC 23). Daß diese Aussagen eines Tages zur Begründung herhalten müßten, die Kirchen umzubauen, hätte die Konzilsväter wahrscheinlich ebenso zu ungläubigem Gelächter gebracht wie die Warnung, ungenaue Formulierungen in den Abschnitten über den stärkeren Einsatz der Volkssprachen könnten dazu führen, daß das Latein insgesamt aus dem Gottesdienst verdrängt würde.

Planung 2008Bild: Konradsblatt

Was die vom Konzil befohlene „Verheutigung“ fordert, liegt für Langer auf der Hand: „Die Pläne für die Umgestaltung sehen vor, dass eine runde Altarinsel direkt in den Zentralraum gezogen wird. Die Bänke sind fast kreisförmig darum angeordnet. „Alle sind damit auf die gemeinsame Mitte, auf Jesus Christus, ausgerichtet“, erklärt Pfarrer Achim Zerrer, der Leiter der Seelsorgeeinheit. „Und zugleich wird deutlich: die da miteinander feiern, bilden eine Einheit, eine neue Gemeinschaft.“

Mag ja sein. Aber das ist offenbar eine ziemlich statische Gemeinschaft, die sich schon an ihrem Ziel angekommen wähnt – und darüberhinaus jenen den Rücken zuwendet, die nicht am gleichen Ort und zur gleichen Zeit anwesend sind. Von denen, die ihnen vorausgegangen sind, ganz zu schweigen. Sie sind sich selbst genug. Allerdings hat dieser Kreis um die „gemeinsame Mitte“, in dem es eher demokratisch zugeht, als „daß jeder das, und nur das und all das tut, was ihm aus der Natur der Sache und gemäß den liturgischen Regeln zukommt.“ (SC 28) nur noch wenig gemeinsam mit dem Pilgerzug, den Absatz 8 von Sacrosanctum Concilium beschreibt: „In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes, der Diener des Heiligtums und des wahren Zeltes“. Genau dieser Pilgerzug zum Herrn hin wird in der herkömmliche – und immer noch den Vorschriften gemäßen Form des Gottesdienstes – in so sinnfälliger Weise zum Ausdruck gebracht. Da ist also nichts mit der Berufung auf das Konzil.

Alter Grundriss mit nicht mehr bestehenden SeitengebäudenBild: Stadt Karlsruhe

Keinen fassbaren Inhalt hat auch das Argument Pfarrer Zerrers, dieser Entwurf füge sich stimmig in die Architektur ein und sei „die rundeste Lösung“. Der Architekt des 19. Jahrhunderts hat nämlich in Wirklichkeit gar keine reine Rundkirche gebaut, sondern unter der großen Kuppel ein griechisches Kreuz als Grundriss genommen – und dort ganz der Tradition gemäß ein Längs- und ein Querschiff eingerichtet. Aber selbst in reinen Rundbauten wie dem römischen Pantheon, von dessen Kuppel sich der Architekt des 19. Jahrhunderts inspirieren ließ, sah man nie einen Grund, den Altar zur Mitte zu ziehen – das Volk Gottes ist auf Erden immer auf dem Weg und nie am Ziel.

Der erste Architekt der Kirche war sich dessen offenbar noch völlig bewußt. Allerdings wurde dieses Verständnis des Architekten schon bei einem ersten Umbau gegen Ende des 19. Jahrhunderts und noch stärker bei der Wiederherstellung nach dem zweiten Weltkrieg verunklart – das kongregationalistische Mißverständnis ist nicht erst nach dem 2. Vatikanum entstanden. Nicht zuletzt um dem entgegenzuwirken, hat der Papst ja im Januar bei der Messe in der Sixtinischen Kapelle darauf verzichtet, einen Altar nach der Mitte zu aufstellen zu lassen, sondern am ursprünglichen Hochaltar und „ad Dominum“ zelebriert. Im historischen Raumgefüge ist auch heute noch die historische „Orientierung“ des Gottesdienstes überaus angebracht.

Papst Benedikt in der Sixtinischen Kapelle

Wie in Berlin liegt also auch den Karlsruher Umbauplänen eine sachlich nicht begründbare Neuerungssucht zugrunde, hinter der man eine Mischung unausgesprochener materieller und ideologischer Motive vermuten kann. Eines davon drängt sich beim Blick auf die neugeschaffene Altaranlage des Freiburger Münsters und auf das Modell der Neugestaltung von St. Stephan ganz unübersehbar in den Vordergrund: Eine Zelebration in der außerordentlichen Form des römischen Ritus ist an diesen Altären schwer vorstellbar (Karlsruhe) oder praktisch unmöglich (Freiburg).

Der Verdacht drängt sich auf: Bevor auch in der Kirche die Vertreter der Parole: „alt – böse, neu – gut“ endgültig die Vorherrschaft verlieren, wollen die Betonköpfe schnell noch mit Marmor und Granit Fakten schaffen.

Als ob man das nicht ebenso wieder wegräumen könnte, wie sie bis zum heutigen Tag hektisch abreißen, was der Kirche früherer Jahrhunderte richtig und wichtig war. Der Denkmalschutz wird schon nichts dagegen haben.